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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 12
54. Jahrgang | Mai
Semmelmann
Cry Baby
Was die Musik angeht, bin ich kein besonders großer Fan
der Digitalisierung. Bereits die Abkehr von der Röhre hin zur
Transistorenschaltung ließ erahnen, was Jahre später
die CD bringen würde. Stöpselte ich eine meiner E-Gitarren
in einen Transistorverstärker, kamen mir fast immer die Tränen,
weil es sich eher so anhörte, als würde ich Rasen mähen.
Und ich hab’ ja gar keinen Rasen. Zumindest keinen, den ich
mähen muss. Nochmal später baute man Verstärkerschaltungen
digital nach. So genannte Amp-Simulationen. Ich konnte als Gitarrist
wählen, ob ich „Smoke on se water“ über einen
virtuellen Marshall-Stack mit einem 4*12-Lautsprecher-Kabinet spielen
wollte, oder doch nur mit einem kultigen VOX 30, den die meisten
heute nur noch vom Hörensagen kennen. Jahrelang hat man gerätselt
und rumprobiert, wie Jimi Hendrix seine Stratocaster so zum klingen
brachte, wie sie klang. Heute nehme ich ein Effektgerät, wähle
ein bestimmtes Preset und sofort stehe ich auf der Bühne von
Hendrix’ „The Band Of Gypsys“ und spiele das Intro
von „Voodoo Chile“ nach. Oder bilde es mir zumindest
ein. Dazu brauch’ ich nicht mal Jimis Cry Baby-Wah, denn wozu
hat mein Preset ein Auto-Wah? Besonders kreativ hört sich das
allerdings nicht an. Isses auch nicht. In der ersten Reihe meldet
sich sofort ein junger Mann und stellt spitzbübisch die Frage,
ob es denn überhaupt um Kreativität geht.
Ob es nicht wie immer primär darum geht, zu verkaufen. Ein
intelligentes Bürschle. Ich gebe die Frage zur Diskussion frei
und eine muntere Debatte über die Genese musikalischer Ideen
und den Sinn von Fortschritt im Allgemeinen und im Speziellen beginnt.
Doch lassen wir den Nachwuchs unter sich und gehen weiter.
Im Bereich des passiven Musikkonsums ist alles noch viel, viel
schlimmer. Die CD war nur der Einstieg in die digitale Verkrüppelung
von Klang. War ich zunächst ganz begeistert von der glasklaren
Reinheit des CD-Sounds, ging mir dieses aseptische und nach Desinfektionsmitteln
riechende Ambiente schon bald mächtig auf den Sack. Mein Plattenspieler
bekam wieder seinen angestammten Platz und sogar einen neuen Diamanten.
Tja, und das Internet hat aus der Musik – zumindest aus der
populären – ein komprimiertes, runzliges Etwas gemacht,
einen zu 99 Cent handelbaren Wirtschaftsfaktor, der der maroden
Musikindustrie wieder auf die Beine helfen soll. Wie lächerlich.
Mal ganz abgesehen davon, dass die Qualität nur als minderwertig
bezeichnet werden kann. Im Bereich der aktuellen Popmusik mag das
wurscht sein, denn deren minderjährige und unter Essstörungen
leidende Konsumenten ist das sowieso egal. Außerdem kennen
sie es nicht anders. Aber wenn ich ein paar meiner musikalischen
Lieblinge in mp3s konvertiere, bin ich immer wieder überrascht
wie Scheiße das klingt. Selbst wenn ich eine höhere Qualität
als die bei den 99 Cent-Krüppeln üblichen 128kbit wähle.
Man höre sich beispielsweise nur mal die Becken eines Schlagzeugs
(das sind diese bronzefarbenen Topfdeckel, die über dem Kopf
des Schlagzeugers hängen) oder ein perlendes E-Piano in der
Originalkonserve und dann als mp3 an. Grauenhaft. Da reg’
ich mich jedes Mal drüber auf, wenn ich mit meinem iPod auf
dem Klo hocke.
Wie? Was? iPod? Hier über Digitalisierung und Verkrüppelung
gottgegebener Laute rumproleten und dann heimlich mit dem mp3-Player
kacken gehen. Ja geht’s denn noch?
Äh, na ja, bin ich halt günstig dran gekommen.