[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 7
54. Jahrgang | Mai
Wortlaut
Sonntags reden – montags handeln?
Diskussion zur Arbeit der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland” auf der Frankfurter Musikmesse
Notwendige Themen
Hans-Herwig Geyer (GEMA-Kommunikationsdirektor): Die
Enquete-Kommission tagt fast wie ein Konklave und separat von denjenigen,
die draußen Kultur machen. Es gibt keinen direkten Kontakt,
und ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Musik eine zentrale
Rolle spielt. Es ist eine Mär zu sagen, dass das Musikleben
und die Musikwirtschaft so kompliziert sind. Die Themen und Konflikte
sind nicht versteckt, sondern öffentlich. Öffentlich ist
zum Beispiel, dass von heute auf morgen die Phonografische Wirtschaft
den angemessenen Anteil der Autoren an ihren Werken um 50 Prozent
reduzieren wollte. Wir warten seit einem Jahr darauf, darüber
in der Enquete-Diskussion etwas zu hören. Da geht es nämlich
wirklich um Existenzsicherungen, da geht es um die Grundlage, nämlich
um das Kapital kreativer Menschen. Ein weiteres Thema: Die EU schickt
sich an, die Verwertungsgesellschaften in einen falsch verstandenen
Wettbewerb hineinzuhetzen, indem sie das Territorialitätsprinzip
in Frage stellt, was letztlich dazu führen wird, dass die Tarife
der Verwertungsgesellschaften nach unten gehen werden. Auch das
ist ein öffentliches Thema, das uns sehr stark bewegt und von
dem wir nichts hören. Wir hören weiter nichts zum Thema
der Ausrichtung der europäischen Förderprogramme. Die
EU verabschiedet im Moment Nachfolgeprogramme von „Kultur
2000”, die ab 2007 greifen werden und bis ins nächste
Jahrzehnt Rahmenbedingungen schaffen dafür, wie wir in Europa
die „cultural diversity” auch finanziell und ideell
begleiten wollen. Das sind Themen, die zentral im Vordergrund stehen.
Wir haben den Eindruck, dass die Enquete-Kommission sich hier sehr
bescheidet und nicht angemessen reagiert.
Kulturfinanzierung
Hans-Joachim Otto (FDP, Mitglied der Kulturenquete):
Es geht auch um das System der bürgerlichen Zivilgesellschaft.
Wir sind uns über Parteigrenzen hinweg einig, dass wir in Deutschland
mehr private Verantwortung und Mitwirkung brauchen. Wir haben ei-u
u ne Staatsquote von fast 50 Prozent. Da werden wir die Probleme
der Kultur nicht durch einen noch höheren Staatsanteil dauerhaft
regeln können. Deswegen fragen wir uns: Wie können wir
diese private Mitwirkung stärken, die ja nicht nur in finanziellen
Leistungen, sondern auch in zeitlichem Engagement liegt, in Verantwortungsgefühl?
Christian Höppner (Generalsekretär des Deutschen
Musikrates e.V.): Der Staat muss sich nicht nur bekennen,
der Staat muss auch finanzieren. Das ist immer auch eine Frage der
Prioritäten. Ich erwarte von der Enquete, dass sie sagt: Wir
geben uns nicht mit dem Status Quo zufrieden, sondern wir müssen
mehr Ressourcen fordern. Was wir im Moment in Deutschland tun, gleicht
einem Verbrechen, denn die Potenziale lassen wir brach liegen. Gerade
in der Frühförderung von Kindern und Jugendlichen bauen
wir Barrieren auf, indem Zugänge mehr und mehr zugeschüttet
werden. Das fängt in der Musikschule an, und das hört
in der Schule und für ältere Menschen nicht auf. Unsere
Erwartung an die Enquete ist, hier nicht nur für ein Bewusstsein
zu sorgen und für eine öffentliche Diskussion, sondern
auch für konkrete Vorschläge. Ich warne davor, dass wir
uns damit abfinden, weniger Ressourcen einzusetzen für Bildung
und Kultur und uns auf mehr privates Engagement verlassen.
Otto: Ziel der Enquete-Kommission ist es, die
Kultur zu fördern, aber wer glaubt, dass das staatliche Fördervolumen
in den nächsten zehn Jahren wesentlich angehoben werden kann,
der verspricht den Menschen zu viel. Wir müssen die Mittel
besser einsetzen. Es wäre nicht ehrlich, wenn wir die dramatische
Situation der öffentlichen Haushalte nicht in unsere Überlegungen
einbeziehen würden.
„Ohne Kreativität nix los: Am Anfang
steht der Einfall“
Karl Karst (Programmchef WDR3): Es ist in der
derzeitigen Staatssituation von hoher Dringlichkeit darauf zu achten,
dass Räume für die Präsentation von Kreativität
und künstlerischer Arbeit weiterhin erhalten bleiben und nicht
den insgesamt drängenden Sparzwängen zum Opfer fallen.
Ich denke dabei an die Bühnen, an die Musikschulen und Musikhochschulen,
aber auch an die Sendeflächen in den Rundfunkprogrammen der
ARD, die nur durch Gebühren ermöglicht werden. Wir haben
darüber hinaus die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen,
dass professioneller Raum bleibt für die Umsetzung kreativer
neuer Ideen. WDR3 hat eine eigene Sendestrecke eingeführt:
Sie heißt programmatisch „WDR3 open”. Jeden Tag
von 23.00 bis 24.00 Uhr finden dort avancierte Formen von Musik
und Wort ihren Ausdruck. Freiräume dieser Art sind lebensnotwendig.
Sie sind ein Signal in die Gesellschaft: „Macht was, tut was,
entwickelt neue Ideen!” Gerade das Neue brauchen wir, um uns
weiter zu entwickeln. Und wir brauchen es als Programmmacher, um
die Beteiligung der nächsten Generationen der Kulturinteressierten
am Prozess der Kulturvermittlung zu gewährleisten. Der WDR
ist mit seinen Programmen für diese Belange gut aufgestellt.
Beim Westdeutschen Rundfunk ist auch keine Infragestellung der Orchester
gegeben. In anderen, namentlich den kleineren Bundesländern
sieht die Situation ganz anders aus.