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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 44
54. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Anas und Saras böses Erwachen aus dem Traum von Europa
Jörn Arneckes Musiktheater „Butterfly Blues“
im Hamburger Opernstudio uraufgeführt
Die Opernszene lebt. Junge und auch ältere Komponisten –
siehe die neuen Bühnenwerk von Hespos und Trojahn auf der nebenstehenden
Seite – beschäftigen sich mit „Opern“, die
sie dann Musiktheater, Performance, Szenische Aktion oder, bescheiden
sich absichernd, Kammeroper nennen. Eine solche hat der noch junge
Hamburger Komponist Jörn Arnecke im Auftrag der Hamburgischen
Staatsoper geschrieben. Der Titel: „Butterfly Blues“,
entstanden nach dem gleichnamigen Theaterstück des schwedischen
Autors Henning Mankell.
Der Fluchtweg endet am Boden:
eine Szene aus Jörn Arneckes Musiktheater „Butterfly
Blues“. Foto: Matthias Baus
Puccinis Madama Butterfly darf nicht sterben. Jedenfalls so lange
nicht, wie böse, habgierige oder auch nur leichtfertige Leute
aus kapitalistischen Regionen in fremden Erdteilen Frauen quälen,
ausbeuten, sexuell mißbrauchen und als Menschenware nach dem
alten Europa entführen. Puccinis japanische Madama wurde von
den Amerikanern mißbraucht, Henning Mankell und Jörn
Arnecke entdeckten ihre Butterflys in Afrika. Ana und Sara heißen
sie, jung, hübsch und voller Sehnsucht nach Europa, wo sie
glauben, ihren Lebenstraum verwirklichen zu können.
Der Weg dorthin jedoch ist nicht nur mit den sprichwörtlichen
Dornen, sondern auch mit sogenannten „Schleppern“ gepflastert,
und wer regelmäßig Zeitung liest oder Nachrichten hört,
weiß, dass dabei kaum etwas Gutes herausspringt. So ergeht
es also auch Ana und Sara miserabel: Sara wird von den Schleppern
ins Wasser geworfen, statt eines Passes besitzt sie danach nur einen
toten blauen Schmetterling (Symbol!) zur Legitimation. Ana wiederum
erleidet ein besonders häufiges Schicksal: Sie wird beim Autostopp
vergewaltigt. So wird alsbald aus dem „Traum“ ein „Aus
der Traum“. Ana gleitet ins Kriminelle ab, Sara wird verkauft.
Mankells Theater strebt eine Art von neudefiniertem Living Theatre
an: Reale Geschichten, die dann szenisch arrangiert werden, nicht
im Sinne einer narrativen Kausalität und Psychologie, sondern
zeichenhaft, assoziativ, bildhaft. Bei Mankell besitzt die Geschichte
eine gesellschaftspolitische Dimension: Das Thema steht im Vordergrund,
nicht die Menschen. Diese erscheinen oft überzeichnet, als
Typen oder auch als Karikaturen. Arnecke möchte diese direkte
kritische Aggression wohl nicht übernehmen. Seine beiden „Butterflys“
und sogar die „bösen Männer“ gewinnen mehr
humanes Volumen. Sie interessieren den Betrachter als menschliche
Wesen, aus deren Schicksalen sich Anteilnahme, früher in der
Klassik sagte man: „Mitleid“ gewinnen läßt.
Nicht ein System wird angeklagt, sondern wir werden aufgefordert
zum Hinsehen, Erkennen und dann wohl auch zum Helfen. Diese Vermittlung
zwischen den Vorgängen selbst und der weiterreichenden Wirkung
übernimmt in Arneckes Kammeroper die Musik. „Butterfly
Blues“ ist ein Musiktheater für vier Sänger und
Ensemble: 2 Flöten, Oboe, Klarinette, Horn, Posaune, Klavier,
2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabaß sowie zwei Schlagzeuger
mit dem üblichen umfangreichen Instrumentarium. Für die
Sänger sieht der Komponist für die Ana einen hohen Sopran
vor, für Sara, die auch zwei weitere Rollen übernimmt,
einen lyrischen Mezzosopran. Die beiden Schlepper, die ebenfalls
weitere Typen darstellen müssen, sind einem Charakterbariton
und einem seriösen Bass zugewiesen.
Jörn Arneckes Partitur wirkt sorgfältig gearbeitet.
Sie stellt sich dramaturgisch überlegt zu den verschiedenen
Situationen, in denen sich vor allem die beiden Frauen befinden.
Tonfall und Gestik erscheinen klanglich verschärft, sehr direkt
und oft auch aggressiv. Dann wiederum findet sie für Momente
der Reflexion und der Sehnsuchtsträume der beiden Frauen fein
ausgehörte Klänge und komponierte Bewegungen, die die
jeweilige innere Situation klang-seismographisch zu durchdringen
versuchen. Arneckes Musik gewinnt in solchen Augenblicken eine schöne
Dichte und emotionale Direktheit. Dann wieder aber auch gibt es
dünnere Partien, weniger inspirierte Passagen, auch gängige
Klang-Geräusch-Erfindungen, die eigentlich keine sind, weil
von Vorgängern allzu oft verwandt. Oft entgeht der Komponist
auch nicht der Gefahr, die Geschichte und ihre Personen mit einer
leisen Sentimentalität aufzuladen. Dann empfindet man das als
eine unangemessene Veredelung der Geschehnisse: Musik als Dämpfungsmittel
für allzu krasse Vorgänge. Damit wäre man wieder
bei Puccini, was sicher nicht in Jörn Arneckes Absicht liegen
dürfte.
Die Inszenierung Christoph von Bernuths imaginiert gemeinsam mit
dem Bühnenbild Oliver Helfs eine Art abstrakter Straße
ohne Wiederkehr: Der Weg erreicht nicht das Ziel, bricht abrupt
ab, ist selbst auch nicht: das Ziel. Weil es keines mehr gibt. Die
beiden Frauen stürzen ins Bodenlose – die Musik übersetzt
das mit einem oszillierenden Rhythmus eindrucksvoll. Junge Sänger
aus dem Opernstudio tragen die Aufführung mit ihrem Engagement
und ihrer Intensität, Ingrid Froeseth als Ana und Tamara Gura
als Sara an der Spitze. Unter Boris Schäfers musikalischer
Leitung agieren die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters,
in langer Reihe nebeneinander sitzend, mit Sachkompetenz. Der Instrumentalklang
verbindet sich mit den Aktionen auf der Bühne in der Opera
stabile zu einem geschlossenen Raum-Klang-Theater, das eine autonome
ästhetische Qualität gewinnt.