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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 46
54. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Wiegenmusik, Kinderspiel und Meisterwerke
Zur 59. Arbeitstagung des Darmstädter Instituts für
Neue Musik 2005
Zum 59. Mal lud das Darmstädter Institut für Neue Musik
und Musikerziehung zwischen dem 31. März und dem 3. April zu
seiner Arbeitstagung ein. Beinahe schon eine Routinemeldung: Es
waren auch dieses Jahr ereignisreiche, spannende vier Tage. Auf
dem Programm standen die Inszenierung und Vermittlung Neuer Musik,
sowie Diskussionen mit Helmut Lachenmann und Wolfgang Rihm über
ihre musikalische Ästhetik.
Helmut Lachenmann. Foto:
Charlotte Oswald
Ein fester Punkt des Tagungsprogramms waren die Konzerte. Am zweiten
Tag trat Erwin Stache auf, Komponist und Performer aus Lepizig –
seine Klangskulpturen, Klangobjekte und Gesten waren ungewöhnlich.
Er spielte auf Telefongeräten, nutzte Lichtsensoren, automatische
Scherengitter und selbstentwickelte „Midi-Räder“
– kaum beschreibbar, wie das alles klang und ebenso wie es
aussah – die sichtbare Schicht war mindestens so wichtig wie
die hörbare. Das wurde auch ein Thema der Diskussion am folgenden
Tag, bei der ein Teil des Publikums verurteilte, dass dieses Konzert
„durchinszeniert“ war, anderen aber gefiel gerade das.
Eines der faszinierendsten Konzerte, die der Rezensent in letzter
Zeit gehört hatte. Die Musik nicht als Werk, sondern als Tätigkeit,
als Spiel. Weiter wurden Werke von Pei-Yu Shi aufgeführt, einer
aus Taiwan stammenden und zur Zeit im ZKM in Karlsruhe arbeitenden
Künstlerin. In ihren Kompositionen „Außerdem…I“
und „Ich bin another yourself?“ für Pipa (traditionelles
chinesisches Instrument) und Elektronik konnte man nicht nur sehr
interessante Elektronik, sondern auch ein subtiles Spiel mit musikalischen
Symbolen chinesisch-taiwanesischer Tradition hören. Ohne ins
Banale abzugleiten suchte Pei-Yu nach einer musikalischen Identität
zwischen Ost und West, zwischen Tradition und neuen Technologien.
Wolfgang Rihm. Foto: Charlotte
Oswald
Es folgte eine freie, elektronische Improvisation der namhaften
Experimentatoren Markus Schmickler und Thomas Lehn, die das Publikum
kontrovers aufnahm.
Am Freitag, 1. April, gab es keine Aprilscherze, sondern „kritisches
Komponieren“ von und mit Helmut Lachenmann, der auch persönlich
anwesend war und es nicht versäumte, manches zu den Referaten
hinzuzufügen oder persönlich seine Klavierstücke
zu spielen.
Am Morgen und am Abend spielte er „Wiegenmusik“ und
„Ein Kinderspiel“, im Abendkonzert schloss sich ihm
seine Frau Yukiko Sugawara an. Zusammen stellten sie den langen
Schaffensweg Lachenmanns vor: von Stilübungen („Schubertvariationen“),
durch Verweigerung und Sturm („Guero“) bis zum Meisterwerk
(„Serynade“).
Im Mittelpunkt standen außerdem Vorträge und Diskussionen:
besonders Martin Kaltenecker (Autor des Buchs „Avec Helmut
Lachenmann“) begeisterte durch fundiertes Wissen und einen
breiten Überblick (von der französischen und deutschen
Aufklärung bis hin zur Bedeutung des Geräuschs in der
Geschichte der Kunst). Auch Eclát-Festivalleiter und SWR-Musikredakteur
Hans-Peter Jahn sprach mit Kennerschaft über die ungewöhnliche
Weise der Umwertung des Schönen in den letzten Lachenmann-Werken.
Die Beteiligung der Komponisten an allen Diskussionen und Erörterungen
war nicht zu unterschätzen: Das beteiligte „Objekt“
der „Untersuchung“ konnte sich spontan einmischen –
berichtigend und aufklärend. Zum Teil waren das sehr menschliche,
private Anmerkungen, oft humorvoll – sie öffneten dem
Publikum andere Dimensionen des Werkes.
Der Ideenaustausch zwischen Ulrich Mosch und Helmut Lachenmann
erschien dabei am spritzigsten: Etwa wenn es um die (Un?-)Möglichkeit
der Aufführung von Solostücken ging, zum Beispiel „Pression“
für Cello, ein Stück, das so kompliziert und leise ist,
dass es kaum jemand richtig aufführen kann.
Wie immer trafen in der (ehemaligen?) Hauptstadt der Neuen Musik,
Musikwissenschaftler und Komponisten aufeinander. Die dialektische
Beziehung zwischen Schöpfern und Forschern war in diesem Jahr
besonders fruchtbar und man kann nur hoffen, dass diese Arbeitsweise
in der Welt der Universitäten und Akademien zur Gewohnheit
wird.