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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 43
54. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Bausteine aus einer zertrümmerten Landschaft
Die Oper „iOPAL“ von Hans-Joachim Hespos an der Staatsoper
Hannover
Die Oper als Institution wie auch als musikalische Gattung drängt
zur Selbstbefragung. Eigentlich dient sie heute schon mehr der repräsentativen
Schau und stellt aus innerbetrieblichen Tendenzen heraus Verjüngungsstrukturen
per se in Frage. Natürlich reizt dieser Zustand zur schöpferischen
Gegenaktion. Kagel tat dies in „Staatstheater“, John
Cage in seiner „Europeras“-Folge. Andere Bestrebungen
zielten zumindest zur Aufhebung von Handlungsstringenz, zum Verlassen
des Guckkasten-Orts. Hans-Joachim Hespos, radikaler Denker von Musik
seit gut 40 Jahren, hat nun die Grundstrukturen der großen
Oper neu befragt: durch den totalen Rückzug des Komponisten
von der Verantwortung für Ablauf und Geschehen. Ziel war, einen
offenen Raum zu schaffen, in dem sich andere Kräfte des Betriebes
spielerisch frei bewegen sollten. Zur Verfügung gestellt wurde
einzig eine Sammlung von Musikstücken mit dem Fokus auf Gesang.
Szene aus iOPAL. mit Monika
Kauke und Hannelore Girod, Christoph Homberger, Francesca
Scaini. Foto: Matthias Horn
So sieht sie also heute aus, die arme alte Oper. Ihren Inhalt,
gar eine Handlung, hat sie längst an der Garderobe abgegeben,
mit kleinen Stoff-Resten bedeckt sie notdürftig ihre Blößen.
Die Pracht des Bühnenbildes ist dem holzverkleideten Betonplatten-Charme
eines Versammlungsraums im real existierenden Sozialismus gewichen,
der mehrteilige Deckenleuchter aus Plaste oder Elaste ist inklusive.
Die Musiker im Graben haben längst ihren Betrieb eingestellt
und sich nach hinten, wohl in die Kantine verdrückt. Der Dirigent
war einer der ersten der Fahnenflüchtigen – weil die
Ratten zuerst das sinkende Schiff verlassen? Und ganz in der Ecke
der Bühne lamentiert ein Mann in der Umarmung einer Frau: eine
Wein- und Klagearie von unersättlicher, ja gerade unanständiger
Länge des wiederkehrenden, subtil nuancierten und zugleich
enervierenden Aufschluchzens.
So endete die Uraufführung der großen (ausdrücklich
so benannt!) Oper „iOPAL“ von Hans-Joachim Hespos an
der Staatsoper Hannover. Zertrümmert, geschunden, ihrer Wirkungsmechanismen
beraubt. Für Hespos aber ist dies ein Gesundheitssymptom. „ja
inhaltsschutt, oder wie jemand das nannte: die scheiße im
kopf. so etwas interessiert kaum mehr, uns beschäftigen wirkungszusammenhänge.
... literaturoper, handlungsmusical, alte geschichten voller symbolik
und staubiger requisite tendieren qualitativ etwa in richtung kultur-heino.
heimatlieder vom ewigen gestern.“ Das hat Wucht des Klein-
und Niedergeschriebenen, wie wir sie von Hespos kennen.
Leicht hat er es dem Publikum noch nie gemacht. Im zeitgenössischen
Musikbetrieb ist er die Verkörperung des Widerspruchs von feinster
Hellhörigkeit und Terminator-Mentalität. Seine erste größere
Oper „itzo-hux“ war als körperlicher Überfall
aufs Publikum konzipiert, in „za’khani“ wurden
die Ohren durch den Schalldruck großer, heftig traktierter
Stahlplatten geschunden. Sicher ist man sich nie in seinen Aufführungen.
Gut, da war etwas, woran man sich reiben konnte, wogegen man Widerstand
errichtete. Und Unsicherheit macht wach. Aufs Äußerste
gereizt, und reizen möchte Hespos immer, baut der Hörer
neue Rezeptionsweisen auf. Die Musik von Hespos ist immer Purgatorium,
auch für die Interpreten, die er durch semantische Ketten von
Neologismen der neuen Klarheit wie etwa „querduftig“
oder „zereilt“ zur Präzision und äußersten
Hingabe des Ausdrucks beziehungsweise der Tongestaltung animiert:
Reinigung hin auf neue Wahrnehmung. „hellhörig riskieren
wir wache ohren ins akut musikalische wagnis zu einer neu-anderen
gegenwart in freiheit.“ (Hespos)
Jetzt anders, aber ebenso schonungslos. Die Oper ist eine leere,
schlaffe Hülle. Ihre Wirkungsmechanismen sind längst den
Bach hinunter gegangen. Sie ist nur mehr Gestell und dieses wurde
zur Aufhängevorrichtung für „iOPAL“. Hespos
schrieb zwanzig Partien oder Nummern, viel davon für Solostimme
oder Chor, aber auch rein orchestrale Sequenzen sind darunter. Das
Realisierungsteam (vor allem der junge, ins Kühne denkende
Dirigent Johannes Harneit und Anna Viebrock, für Regie, Bühne
und Kostüme verantwortlich) hatte daraus in freier Reihung
einen Verlauf zu konzipieren. Die Nummern ließen sich auch
zerschlagen und stückchenweise in die Abfolge integrieren.
Die freilich ist notwendigerweise absurd, ohne Logik, pendelnd zwischen
heraufdämmernden und wieder verschwindenden Welten, die man
konventionell als Szenen bezeichnen würde. Ratlosigkeit ist
Konzept und Hespos weigerte sich auch konsequent, dem Team Vorgaben
über schlüssige oder weniger schlüssige Reihungen
zu geben. Hier setzte er ganz unbedingt auf musiktheaterimmanente
Arbeitsteilung. Und plötzlich mochte sich die Regie, geworfen
in die Freiheit, die sie sich sonst stets zu erobern sucht, allein
gelassen fühlen bei der Frage: „Was machen wir eigentlich,
wenn wir Musiktheater machen?“
Ging das auf? War es überhaupt etwas, das aufgehen sollte?
Unsicherheit jedenfalls wurde zum Prinzip. Die Chorsänger etwa
fläzten unbeteiligt und angeödet von den Unannehmlichkeiten
des Betriebes auf den Stühlen des Orchesters, das dann mit
einer durchs Stück gezogenen Spiegelidee über die Bühne
kommend seinen Platz einnahm. Denn die Bühne hatte einen vielleicht
zehn Meter breiten Durchgang nach hinten zu einem Raum gleicher
Einrichtung. Und hier ließen sich Spiegelimaginationen zelebrieren:
Der Geiger vorne spielte mit dem Bogen in der rechten Hand, der
parallel auftretende dahinter hatte ihn in der linken. Auch der
Chor schloss sich dieser in sich gebrochenen Aufrittsgala an. Und
diese Welt von Zwillingen schlich sich immer wieder ins Spiel: zwei
unbeteiligte, blondhaarige Alte im Freizeit-Look, zwei blondhaarige
spielende Kinder, ein sich am Spiegel streitendes Paar, das sich
nichts mehr zu sagen hatte.
Das alles hatte die Trostlosigkeit der inneren Leere. Die Aktionen
klapperten in Strindberg-artigem Leerlauf, die Protagonisten auf
der Bühne standen sich in der Quere. Und alles nahm den Charakter
einer Probensituation an, bei der noch nichts klappt und viele an
falschen Plätzen stehen, wovon sie sich freilich nur gezwungenermaßen,
also geschoben oder geschleppt, entfernen lassen. Lachen und später
dann Schluchzen wirkten wie hilflose Gesten der Anteilnahme am Geschehen
beziehungsweise Nicht-Geschehen. Sie setzten allenfalls Ansteckungssequenzen
in Gang. Man lachte über das Lachen und weinte über das
Weinen. Und immer wieder kehrte man zur Stille zurück, Stille
als Leere, als Raum für noch ungenutzte Entfaltungsmöglichkeiten.
Stets freilich schob sich subtil komponierte Musik vor allem vokaler
Natur dazwischen, die vielleicht als einzige den Standort der Oper
behauptete. Doch auch hier knirschte der Betrieb. Der Schreibstil
von Hespos hat sich auf dem Notenpapier zur Graphik, zum kalligraphischen
Gestus hin entwickelt. Die Idee des frei agierenden Interpreten
steht dahinter, die freilich einem Opernhaus kaum zuzumuten ist.
So wurde der Job eines Score Managers (Kay Ivo Nováck) installiert,
der aus den Vorwürfen von Hespos mensurierte Partien für
die Realisation vor Ort erarbeitete. Auch hier also eine Utopie
mit Konzessionen.
So blieben viele Fragezeichen. Sie gehörten zum Stück,
das sich dennoch anlasten muss, dass sie von der Mehrzahl des immer
wieder protestierenden Publikums als Leere, als Nonsens aufgefasst
wurde. Es war eine komische Oper im doppelten Sinne des Wortes.
Die Komik geht Hand in Hand mit der Situation heutigen Musiktheaters.
Es ist eine tragikomische mit Ausblicken (vor allem in Bezug auf
die beachtliche Ensembleleistung der Hannoveraner Oper). Hespos
hat die Personalunion des komponierenden Individuums, das für
das gesamte Geschehen auf der Bühne letztendlich verantwortlich
zeichnet, aufgegeben. Er zog sich dorthin zurück, wo sich die
Komponisten der Musikgeschichte längst befinden, denn die Regie
hat das Zepter übernommen und dominiert über das musikalische
Ereignis. Dadurch aber entzog er dem Ablauf auch die Reibefläche,
den Frevel, den Tabubruch. Spürbar fühlten sich Musiker,
Dirigent und die Regie vom Komponisten allein gelassen. Der Auftrag
„Macht was ihr wollt oder wie es euch gefällt“
drohte zu versanden.