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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 46
54. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Ein musikalischer Sommernachtstraum
Cavallis Barockoper „La Calisto“ in München
neu inszeniert
Elf Jahre ist es nun her, dass in München ein Opernboom besonderer
Art begann. Mit Händels Giulio Cesare stürzte der neue
Intendant Peter Jonas über Nacht die Münchner Hausheiligen
Mozart, Wagner und Strauss von ihrem Podest: eine neue Ära
brach an. Während sich konservative Opernbesucher im grellbunten
Licht des neuen Brit-Pop verdutzt die Augen rieben, wurde die Neuakzentuierung
des Musikrepertoires stürmisch, aber konsequent vorangetrieben.
Neben schrillem Outfit und einer manchmal penetrant und gewollt
wirkenden Aktualisierung der Stücke tat sich aber auch Bedeutendes
im Orchestergraben. Mit dem englischen Dirigenten Ivor Bolton an
der Spitze gelang der Umbau des Münchner Staatsopernorchesters
zu einem Barockensemble der Extra-Klasse.
Ob Monteverdis Orfeo oder Händels Ariodante: Frühe Musik
der Renaissance und des Barock genoss fortan Kultstatus. Mit der
Produktion von Francesco Cavallis Oper „La Calisto“
hat das Team Jonas/Bolton zusammen mit dem Hausregisseur David Alden
seinen Zenit erreicht, sind Regie und musikalische Aufführung
an ihrem endgültigen Höhepunkt angelangt.
Aufwendig war es bereits, die notwendigen Voraussetzungen, sprich
geeignetes Material für die Aufführung, zu beschaffen.
Da der überlieferte Notentext der venezianischen Tradition
des 17. Jahrhunderts folgend, nur einige wesentliche Stimm- und
Notenführungen enthielt, wurde für den Münchner Calisto
eine eigene Partitur nachschöpferisch von Alvaro Torrente erstellt
– im Bärenreiter Verlag mustergültig ediert –,
der schon mal auf Wunsch des Regisseurs ein paar neue Zwischenmusiken
dazu komponiert hatte. Weiteres Novum für München: Es
wird ausschließlich auf barocken Instrumenten gespielt, bei
den Streichern unter Verwendung alter Bögen. Dabei gelingt
es den achtzehn Spitzenmusikern jedoch immer, das große Rund
des Münchner Opernhauses mit ihrer gehaltvollen Präsenz
auszufüllen.
Die Sage um die schöne Diana-Begleiterin Calisto hat David
Alden als poppige Musikrevue im Vaudeville-Stil inszeniert, die
mit ihren Ränkespielen und sexuell ausschweifenden qui pro
quo vielfach an Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“
erinnert. Ob Oberon/Titania oder hier Jupiter und Juno, die Fallkonstellationen
ähneln sich – und doch kommt es dem quirligen Regisseur
nur oberflächlich darauf an: seine Manier ist die des Musicals
und der muss sich alles unterordnen.
Dass der Abend für das Münchner Haus ein großer
Erfolg wurde, ist aber vor allem auch den bezwingend schönen
Tierkostümen von Buki Shiff zu verdanken, die mit ihren Flügelpferden,
Faunen oder grell geilen Satyrböcken eine atmosphärisch
märchenhafte Zauberwelt schuf.
Das Sängerensemble wird angeführt von der hinreißend
agierenden Sally Matthews (Calisto), die sich im Laufe des Abends
zu akrobatischer Gesangsartistik steigerte. Umberto Chiummo (Giove)
und Guy de Mey (Linfea) gelang der Spagat zwischen stimmlicher Musikakrobatik
und revuehafter Unterhaltungskomik. Manieristisches hat also Tradition
in München und so darf man gespannt sein, wie die Ära
Jonas in ihrer letzten Spielzeit zu Ende geht.