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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 47
54. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Megalopolis zeitgenössischer Musik
Die Biennale in Zagreb 2005: Bemühen um europäische
Integration
Die Wunden des Balkankrieges sind zwar noch nicht völlig verheilt,
aber in Kroatien bemüht man sich vehement um Frieden stiftende
Kulturveranstaltungen. Mit hoffnungsvollem Blick auf eine europäische
Integration entwickelt sich Zagreb zu einer Megalopolis der Musik.
„Für mich war immer klar, dass die Wurzeln meiner Heimatstadt
Zagreb mit denen der westeuropäischen Kultur verwachsen sind,
und dass etwas zu tun sei, um Zagreb als ein Zentrum für Neue
Musik zu etablieren“, erinnert sich Milko Kelemen. Als er
1961 die Biennale Zagreb mitten im Kalten Krieg gründete, konnte
er nicht voraussehen, dass dieses Festival sich nach nun 46 Jahren
zu einem der renommiertesten Musikschauplätze in Europa entwickeln
würde. Im Jahr 2005 konnte die Gesellschaft kroatischer Komponisten
und die International Society for Contemporary Music (ISCM) das
bisher umfangreichste Programm präsentieren, auch weil zwei
Festivals – die Biennale und die Weltmusiktage – vom
künstlerischen Direktor Berislav Šipuš zusammen gelegt
worden waren. Von 79 Komponisten aus 37 Ländern hat eine internationale
Jury unter dem Vorsitz des kroatischen Seniorkomponisten Stanko
Horvath 103 Werke ausgewählt:
„Wir haben versucht, so viele Länder und so viele stilistische
Richtungen wie möglich zu berücksichtigen, um eine internationale
Polyphonie zu bekommen. Das ist die Funktion eines solchen Festivals.
Wir wollten weniger Dogma und mehr Vielfalt. Das ist heilsam für
die Musikszene“, erklärte Frank Corcoran aus Irland,
der mit Giampaolo Coral aus Italien, Zygmunt Krauze aus Polen, Arne
Norheit aus Norwegen und Berislav Šipuš aus Kroatien in
der Jury gearbeitet hatte. Zu den Tendenzen der kroatischen Musik
der Gegenwart gehören Reflektionen über die Bewegung der
Zeit, die Vjekoslav Njezic als Szene aus dem alttestamentarischen
Traum von der „Jakobsleiter“ für Saxophon-Quartett
gestaltet hat.
Repräsentativ für aktuelle Interessen der jungen Komponistengeneration
ist die Erforschung von Klangfarben. Von deren Magie hat Srdan Dedic
sich in seiner Erinnerung an Freunde aus Nordeuropa leiten lassen:
„In ‚Ich vergesse dich nicht’ für 14 Instrumentalisten
habe ich intuitive, abstrakte und visuelle Ideen mit tonalen und
rhythmischen Strukturen kombiniert.“
In seinem Konzert für Alt-Saxophon und Orchester hat Perttu
Haapanen aus Finnland die Rede eines imaginären Charakters
dargestellt. Er bezieht sich auf die expressiven Monologe des Hynkel
aus Charlie Chaplins Film „Der Große Diktator“
und versucht, die Überzeugungskraft bedeutungsloser Rhetorik
in die Musik zu übertragen. Dabei hat er auch Spieltechniken
des modernen Jazz verwendet.
Auch Raminta Šerkšnyte aus Litauen hat sich vom Film
inspirieren lassen, nämlich „Oriental Elegy“ des
russischen Regisseurs Alexander Sukurov. Die mysteriöse Welt
der Natur, nicht die Klänge des Orients, bestimmen ihr Streichquartett.
Ur- und Erstaufführungen von Opern wie „Diotime e Euridice“
von Nicola Sana aus Italien oder „Mariuo and The Magician“
(nach Thomas Mann) von János Vajda aus Ungarn präsentierten
das enorme Spektrum der Musik.
Das Rekordprogramm der Musikbiennale Zagreb 2005 wurde auch von
einem Besucherrekord und großer Begeisterung in jeder Hinsicht
positiv bestätigt. Zagreb bot bei schönstem Wetter ein
Festival mit kosmopolitischer Atmosphäre. Für den Generaldirektor
Ivo Josipovic ist es wie die „Farbpalette im großen
Garten von Epikur“.