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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 10
54. Jahrgang | Juni
Cluster
Ein gewisser Professor
Ein Denkmal setzte er sich, dauernder als Papier. Damit vermied
er den Anblick einer Reihe von 15 gleichgebundenen Werken in einer
Seminarbibliothek. Dem müßigen Blättern schützte
er vor, nur mühsam kann man sich zu dem Stichwort scrollen,
will man die Volltextsuche umgehen. Nun liegt es also vor, das „Handbuch
Deutsche Musiker 1933-1945“ von dem ehemaligen Rundfunkjournalisten
Fred K. Prieberg, der nun seinen Rang als Musikwissenschaftler wortgewalttätig
verteidigt. Das Lebenswerk des 76-Jährigen ist auf zwei CD-ROM
in eine riesige pdf-Datei gebannt. Seine Kollegen auf dem Katheter
rüffelt er aus seiner überlegenen Position.
Da gibt es einen zu spät gekommenen Nachwuchsprofessor, Lehrstuhlhalter,
Experten für die Epoche Josquins – eben einer aus dem
„Establishment“, der ihn maliziöserweise als Journalisten
herabsetzte.
Schlimmer noch ist die Konkurrenz amerikanischer Provenienz, die
sich deutscher faktengerechter Tatsachenfeststellung nicht verpflichtet
fühlt. Dort finden sich auch metierfremde Autoren, die sich
ihr Mütchen (an wem?) kühlen und so auf – da ist
Prieberg streng und setzt das in Anführungszeichen –
„wissenschaftlichen“ Ruhm hoffen. Also nicht wissenschaftlichen,
sondern „wissenschaftlichen“ Ruhm erstrebt „die
ärgerlichste Erscheinung dieses Schlages“ Michael H.
Kater, den Prieberg in der Folge nur als „Distinguished Research
Professor of History“ anspricht – das Stichwort „distinguished“
gerät in dem „Handbuch“ zu einem der am häufigsten
genannten, immerhin 168 Mal zählt es die Suchfunktion meines
Readers.
Prieberg legt dieses Handbuch mit staatsanwältischer Korrektheit
vor – da verzettelt er sich beim braunen Liedgut, zu dem er
von „Wir haben Hunger, Hunger, Hunger“ bis zu Bellmans
„Tritt vor, du Gott der Nacht“ alles zählt, was
je in einem offiziösen Liedwerk der Zeit abgedruckt war. Was
sich Bellman, Mozart oder Beethoven wohl gedacht haben, dass sie
sich in etwa in einem „Liederbuch der NS-Frauenschaften“
oder in Schultens „Der Ring“ abdrucken ließen?
Aber das größte aller Verbrechen, das Prieberg anklagt,
ist das der Geschichtsfälschung. Dieses wird vor allem vom
„Distinguished Research Professor of History“ begangen.
Der ignoriert, täuscht seine Leser aber- und abermals. Geschichtsfälschungen
sind vermeintliche oder tatsächliche Irrtümer und Ungenauigkeiten,
sind die Notlügen und Verschweigungen von Beteiligten nach
dem Krieg. Täter ist also Kater, Mitläufer die etablierten
Musikologen und Opfer sind die „Leser“ (Prieberg). „Die
Abwesenheit von Menschen bedeutet das größte Maß
an Freiheit“, hat Fred K. Prieberg einmal gesagt...