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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 16
54. Jahrgang | Juni
Forum Musikpädagogik
Die Meisterklasse im Internet
Neue Medien in der Violinmethodik – Computer als Weiterbildungsmöglichkeit
für Geiger
Am 17. September 2004 wurde der Öffentlichkeit in New York
ein einzigartiges Projekt präsentiert: Die erste komplette
Violinschule im Internet. Mit der Website www.violinmasterclass.com
beschreitet der Geiger Kurt Sassmannshaus einen völlig neuen
Weg in der Geigenpädagogik. Natürlich kann und soll dieses
Konzept nicht den Lehrer ersetzen. Ihm schwebt vor allem vor, dass
Interessierte überall in der ganzen Welt, ob Schüler,
Eltern, Studenten oder Lehrer an dieser Meisterklasse teilhaben
können, und das zu jeder Zeit und an jedem Ort, wo ein Computer
mit Breitband-Internetzugang (DSL) zur Verfügung steht.
Violinmasterclass.com
liegt die Idee zugrunde, dass ein (bewegtes) „Bild mehr sagt
als tausend Worte“. Das „Herzstück“ besteht
aus Filmsequenzen, die systematisch bei jedem Element der Violintechnik
den Bogen spannen von der „Definition“ über Übungen
für Anfänger, Fortgeschrittene und „Könner“
bis zu „Masterclasses“ und „Performances“,
wo hochbegabte Schüler und Studenten das „Endprodukt“
anhand der Geigenliteratur demonstrieren. Ergänzend dazu ist
das Wesentliche zu jeder Technik in Stichworten beigefügt.
Der Violin-Master: Kurt
Sassmannshaus. Foto: Ian Lodin
Kurt Sassmannshaus, der sich bereits während seines Studiums
in New York mit den Biographien der erfolgreichsten Geigenlehrer
intensiv beschäftigte, sieht sich durchaus in der Tradition
von Carl Flesch (Die Kunst des Violinspiels) und Yvan Galamian (Principles
of Violin Playing & Teaching), mittels eines Mediums allen „Wissbegierigen
des Violinspiels“ die Prinzipien des Lehrens und Lernens dieses
Instrumentes näher zu bringen. Nur geht er konsequenterweise
einen neuen „medialen“ Weg über das Internet, denn
gerade Bewegungsabläufe lassen sich nur schwer mit Worten beschreiben.
Filme sind wesentlich anschaulicher und wecken vermutlich im Zeitalter
der globalen Vernetzung gerade das Interesse von Schülern und
Studenten. Zudem lässt sich über das „World Wide
Web“ das interessierte Geigenpublikum in der ganzen Welt erreichen.
Der Zugang ist kostenlos, ein wichtiger Aspekt in diesen wirtschaftlich
schwierigen und deshalb auch für kulturelle Belange ökonomisch
bedrohlichen Zeiten.
Die klare und systematische Gliederung der einzelnen Komponenten
macht es jedem Nutzer leicht, in kürzester Zeit ein Detail
zu erforschen, aber auch der Bereich „Übetechnik“
zeigt deutlich, dass Sassmannshaus ein Pädagoge mit Herzblut
ist: In der Rubrik „The Power of Virtuous Moments“ wird
demonstriert, wie man sich die Übezeit ökonomisch und
zugleich umfassend einteilen kann, um in kürzester Zeit zum
Kern einer Technik vorzudringen. Man kann sich sogar dazu die von
ihm entwickelten Übe-Blätter mit Zeitrastern ausdrucken.
Im Bereich „Graded Repertoire“ sind progressiv angeordnete,
in Teilbereiche aufgeschlüsselte Literaturlisten zusammengestellt,
die für Unterrichtende als Orientierung sehr interessant sind:
Violintechnik und Etüden, Literatur für Violine und Orchester
oder Violine und Klavier, und für Violine Solo. In der Rubrik
„Competitions and Auditions“ kann man sich über
internationale Violin-Wettbewerbe und die Einzelheiten der Ausschreibung
informieren. Auch die kommunikative Seite kommt nicht zu kurz: In
der „Community“ gibt es sogar eine deutsche Abteilung.
Dort kann man Fragen stellen, die „Prof. S.“ selbst
beantwortet.
Erste Lehr- und Lernschritte mit kleinen Schülern (Geigen-
und Bogenhaltung, erste Stücke) inklusive Übungen komplettieren
den methodisch-pädagogischen Bereich.
Wer mehr über die Entstehung der Website erfahren möchte,
kann sich im Bereich „About Us“ über den aufwändigen,
aber auch spannenden Weg der Produktion informieren, der von der
Anfangsidee bis zur Fertigstellung circa drei Jahre dauerte und
neben der Finanzierung durch Sponsoren auch ganz besonders durch
die intensive Mitarbeit von Kollegen, Schülern, Studenten und
Assistenten von Kurt Sassmannshaus zu realisieren war. Bis zum jetzigen
Zeitpunkt ist violinmasterclass.com nur in englischer Sprache verfügbar,
die deutsche Version folgt Ende Mai.
Kurt Sassmannshaus ist letztendlich zu wünschen, dass seine
Idee, die Methodik des Violinspiels auf lebendige und anschauliche,
zugleich aber auch systematische Art und Weise über das Medium
des 21. Jahrhunderts in die ganze Welt zu tragen, die entsprechende
Resonanz erfährt.
Den Spagat zwischen Tradition und Moderne hat er jedenfalls erfolgreich
gemeistert und der (pädagogischen) Geigenwelt ein Stück
„innovativen Atem“ eingehaucht.
Kurt Sassmannshaus und seine Arbeit in Cincinnati/USA
Kurt Sassmannshaus erhielt den ersten Geigenunterricht von seinem
Vater, später von Gert Hoelscher und Conrad van der Goltz in
Würzburg. Nach seinem Studium in Köln bei Igor Ozim setzte
er seine Ausbildung an der Julliard School in New York bei Dorothy
DeLay fort, die er 1979 mit dem „Master of Music Degree“
abschloss. Danach unterrichtete er von 1980 bis 1984 am Sarah Lawrence
College in New York und für kurze Zeit an der University of
Texas, bevor er im Jahre 1981 nach Cincinnati berufen wurde. 1985
wurde er dort Leiter der Streicherabteilung und 2003 Nachfolger
von Dorothy DeLay in der Position des „Dorothy Richard Starling
Chair for Classical Violin“.
Nachdem Sassmannshaus bereits 1979 als Assistent in Aspen gewirkt
hatte, war er von 1981-2004 Mitglied der Fakultät des „Aspen
Music Festival“. 1987 gründete Kurt Sassmannshaus das
„Starling Preparatory String Project“ als Pre-College
zur Förderung von jungen Streichertalenten. Dies ist eine Samstagsmusikschule,
zu der die Kinder von weit her mit ihren Eltern angereist kommen.
In diesem Rahmen finden regelmäßig Instrumentalunterricht,
Theorie, Gehörbildung und Kammermusik statt. Für das „Starling
Project“ kann sich jeder Jugendliche mit einer Aufnahmeprüfung
bewerben: Von 10-Jährigen wird Haydns C-Dur-Konzert, von 15-Jährigen
ein Wieniawski-Konzert erwartet, die ganz Kleinen kommen ohne Prüfung
aus. Derzeit werden dort 60 Kinder unterrichtet. Die „Starling
Foundation“, eine Stiftung die sich zum Ziel gemacht hat,
Geigenunterricht für Höchstbegabte zu unterstützen,
greift erfolgreichen Absolventen dieser Vorspiele finanziell unter
die Arme, so beispielsweise bei den Lebenshaltungskosten und bei
der Erstattung von Studiengebühren.
Die Kinder haben je nach Ausbildungsstand verschiedenste Möglichkeiten
öffentlich aufzutreten. Die Älteren bilden ein Kammerorchester,
das mittlerweile weltweit erfolgreich unterwegs ist und welches
auch als Begleitorchester für herausragende Schüler dient.
Der große Erfolg dieses Systems, das übrigens auch
Dorothy DeLay und ihre Assistenten praktiziert haben, ist vor allem
auch damit zu erklären, dass die Hochschullehrer und ihre Assistenten
bis zu 50 Prozent ihrer Wochenstunden Kinder im Alter zwischen 7
und 18 Jahren unterrichten. Dahinter steht das Ideal, dass die Kinder
von Anfang an die besten Lehrer haben müssen und diese Arbeit,
wie diverse Musikerbiographien beweisen, strukturell an den Musikhochschulen
umgesetzt werden sollte. Ist es doch bekannt, dass die Größe
der Klasse und damit die Größe und die Qualität
des geigenden Umfeldes einen enorm positiven Einfluss gerade für
die Leistungsträger bedeutet.
Diese sehr erfolgreiche Arbeit mit Hochbegabten ermöglicht
den nahtlosen Übergang vom Vorstudium zum Berufsstudium am
College-Conservatory in Cincinnati.
1996 wurde das „Starling Kids“-Programm von Sassmanshaus
ins Leben gerufen, ein Gemeinschaftsprojekt von Hochschule und verschiedenen
lokalen Schulen. Einerseits fungiert es als Lehrer-Trainingsprogramm
für College-Studenten, andererseits als Förderprogramm
für sechsjährige Anfänger mit der Verpflichtung der
Eltern, für das tägliche Üben von einer halben Sunde
zu sorgen. Bindend ist auch die Teilnahme an einer Spielgruppe.
Natürlich tragen auch die vielen Sommercamps, von denen Aspen
wohl am bekanntesten ist, und mit dessen Festival und Kursen eine
enge Zusammenarbeit besteht, mit ihren vielfältigen Möglichkeiten
zum Erfolg dieser Ausbildungsmöglichkeiten bei.
Generell gibt es zwischen amerikanischen Conservatories und deutschen
Musikhochschulen einige markante Unterschiede: Die amerikanischen
Institute sind wesentlich eigenständiger in ihren Lehrplänen
und Schwerpunkten. Durch Stiftungsgelder von privaten Geldgebern
können amerikanische Musikhochschulen spezielle Projekte bewerkstelligen
und Curricula und Klassen nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Ausbildungssystems in Amerika
ist, dass die Studenten durch Vorlesungszwang an die Lehrpläne
gebunden sind, ist Orchesterpräsenz nicht nur Pflicht, sondern
versteht sich bei den Studierenden gleichwohl als Selbstverständlichkeit.
Neue Wege geht Kurt Sassmanshaus mit der Anfang 2005 gegründeten
„Great Wall International Music Academy“ in Beijing/China.
Bei aller Systematik in der Ausbildung ist jedoch die menschliche
Führung für Kurt Sassmannshaus ein sehr persönliches
Anliegen. Die wichtigsten Kernpunkte für ein erfolgreiches
Unterrichten sind für ihn:
1. Es ist sinnlos etwas zu kritisieren, was man nicht sofort erfolgreich
korrigieren kann. Deshalb muss der Lehrer wissen, wofür der
Schüler im Moment aufnahmefähig ist, denn nur dies gilt
es entsprechend zu ändern.
2. Ein guter Pädagoge sollte sich die Mühe machen, die
psychologische Verfassung des Schülers zu kennen sowie dessen
gesamtes Umfeld. Eltern, Geschwister und Freunde haben viel mehr
Kontaktstunden und dadurch auch mehr Einfluss als ein Geigenlehrer.
Gerade in Problemsituationen sollte man deshalb am Umfeld ansetzen.
3. Der Unterrichtende muss im Unterricht möglichst schnell
analysieren, ob die musikalische Vorstellung vorhanden ist. Des
Weiteren gilt es herauszufinden, ob es an technischem Rüstzeug
mangelt diese Vorstellung umzusetzen. Bisweilen mangelt es auch
an Selbstvertrauen und Mut. Dementsprechend benötigt der Geigenpädagoge
ein breites Repertoire an methodischen und pädagogischen Mitteln,
um diese Probleme schnell und effizient zu lösen.
Ganz besonders großen Wert legt Sassmannshaus auf die Erhaltung
des sozialen Umfeldes, gerade bei höchstbegabten Kindern. So
lehnt er es ab, diese von der Schule nehmen zu lassen, um ihnen
mehr Zeit zu verschaffen, denn gerade sie brauchen Erfahrung im
Umgang mit anderen Menschen, um beispielsweise den Stress einer
Solokarriere durchstehen zu können.