Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2005/06
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2005/06 | Seite 15
54. Jahrgang | Juni
Gegengift

Gegengift
Das Ende der Kunst

Es gab Kunst, bevor es autonome Kunst gab. So sieht man das zumindest heutzutage. Jemand, der, wie das Jürgen Habermas nennt, „religiös unmusikalisch“, soll wohl heißen: unempfänglich ist, kann unter Umständen sehr viel mit der Musik Bachs anfangen. Das ist merkwürdig, ja paradox. Denn für Bach war die Gläubigkeit, der Bezug zur Transzendenz, das Innerste seiner Musik. Aber die Merkwürdigkeit, ja Paradoxie wird seit dem 19. Jahrhundert nicht wahrgenommen. An die Stelle der Religion trat ohne weiteres die Kunstreligion – und an die Stelle der sakralen Ehrfurcht eine profane. Bach wurde weiterhin durchaus weihevoll rezipiert, nur dass das Erhabene eben nicht mehr Gott hieß. Der bürgerliche Hörer hatte das Gefühl, dass die Musik Bachs, die ihr Urheber nicht-autonom „meinte“, als autonome authentischer wirkte. So wie er auch fand, dass die Noten, die fürs Cembalo gedacht waren, auf dem Klavier viel schöner klangen. Die Autonomisierung der Kunst war ein gewaltiger Bruch, eine Revolution. Nichts war nachher mehr so wie eben noch. Aber die autonom gewordene Kunst erfand sich sofort eine Geschichte, in der Auftrag, Funktion, Indienstnahme der Kunst immer nur Äußerlichkeiten waren, der Künstler also immer schon darauf wartete, autonom sein zu können. Die Adepten der Kunstreligion lasen die Geschichte der Kunst gegen den Strich und entdeckten selbst noch in den frühesten Kulthandlungen den Willen zur Autonomie, der sich bloß maskieren, verbergen musste.

Was aber bedeutet Autonomie der Kunst? Mindestens zweierlei: Dass der Künstler nicht mehr im Dienst eines Auftraggebers steht, sondern frei, das heißt für einen anonymen Markt produziert, also nicht mehr, worin schon Kant den allerwesentlichsten Unterschied sah, seine Arbeitskraft, sondern eine Ware verkauft. Und: Dass die Kunst nur mehr ihren eigenen Regeln und Imperativen folgt, nicht mehr außerästhetischen wie das von Plato bis Hegel üblich war. Autonome Kunst ist nicht mehr bloß das Äußere, der sinnliche Schein des Wahren und Guten. Sie ist sich selbst genug; es ist nicht mehr kognitive oder ehtische Relevanz, die ihr Wert verleiht. Am Ende emanzipiert sich die autonome Kunst sogar von dem Zwang, „schön“ sein zu müssen.

Die vor-autonome Kunst konnte sich die autonome einverleiben. Aber kann es so etwas wie eine nicht-mehr-autonome, eine nach-autonome Kunst geben? Die Frage kommt nicht von ungefähr. Denn es gibt starke Tendenzen in Politik und Kulturbetrieb, die Autonomie der Kunst nicht als conditio sine qua non, sondern als Problem zu sehen und sie folglich wieder zu binden und in Pflicht zu nehmen.

Die autonome Kunst lässt sich nicht ins Kalkül ziehen, mit ihr kann man zwar Geschäfte, aber keinen Staat machen. Deshalb wurde das Ästhetische von Anfang an als anstößig, ja als Skandal empfunden. Übrigens auch von den Künstlern selbst: Die Avantgarden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ertrugen weder die Kunst noch das Leben. Und sie versprachen sich eine Rettung, eine Erlösung aus der Entfremdung von der Transformation des Lebens durch die Kunst, die in einem derart verwandelten Dasein verschwinden sollte. Die wahre Kunst war, so gesehen, das gesteigerte, ja verklärte Leben. War erst die Existenz nicht mehr entfremdet, war auch Kunst als eine eigene, autonome Sphäre nicht mehr nötig.

Für die politischen Avantgarden war dagegen Kunst legitim nur als Propaganda (oder Agitation, wie es auf der Linken vornehmer hieß) und jenseits des Zwecks, den sie für die gute Sache erfüllte, verdächtig. Noch die Pädagogen aller Couleur suchten nach dem Sinn der Kunst und wollten partout nicht begreifen, dass die Katstrophen der jüngeren Vergangenheit sich nicht einem zuwenig, sondern einem zuviel an Sinn verdankten. Sinnhaft ging die Welt zugrunde. Niemand empfand das so unmittelbar und heftig wie die Dadaisten während und nach dem Ersten Weltkrieg, die in der Zerstörung und im Entzug von Sinn den einzigen Ausweg sahen. Der Un-Sinn war die „Notbremse“, wie Walter Benjamin das in seinen geschichtsphilosophischen Thesen nannte, die dem tobenden Unheil, das wir gern auch „Fortschritt“ nennen, notdürftig Einhalt gebietet.

Und jetzt also erneut, als schlechtestes aller Zeichen, fast schon als Menetekel, das Wiedererwachen des Sinnbedürfnisses, das Verlangen nach einer verständlichen Kunst und heftiger werdende Rufe nach einer Reinigung des ästhetischen Saustalls. Selbst der Bundespräsident beschimpfte das „Regietheater“, also all die Text- und Bildstörungen, die uns aufschauen und aufhorchen lassen sollen, und verlangte nach einem Schiller der Sinnsprüche, der uns sagt, wo es lang geht. Und dazu dann „Freude, schöner Götterfunken“, also der pathetische Beethoven und nicht der dissonante.

Aber so einfach ist das nicht: Auch die bürgerlichen Helden Beethoven und Schiller haben sich immer nur geirrt, wenn sie über die Autonomie hinausstrebten (das ist das richtige Wort), wenn sie uns mehr sagen wollten als ihnen ihre Kunst sagte. Schiller träumte vom großen Pariser Staatskunstwerk „der Freiheit“ und erschrak dann fürchterlich, als er sah, was das in der Praxis bedeutete. Erst gab er dem großen Enthusiasmus die Stimme, dann jammerte er: „Da werden Weiber zu Hyänen“ und zog sich ins reaktionäre „Glocken“-Idyll zurück. Und Beethoven, der sich anders als Goethe vor keinem Fürsten (ver)beugen wollte? Er widmete Bonaparte, dem großen Konsul der Freiheitsrevolution seine „Eroica“ und entzog sie ihm wütend, als der sich als Napoleon selbst zum Kaiser krönte.

Helmut Hein

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |