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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 28
54. Jahrgang | Juni
Jeunesses Musicales Deutschland
Modenschau, Sportstudio und Szenen einer Ehe
Der diesjährige Jugendorchesterpreis der JMD zeigte viele
Facetten
„Mitmachen heißt gewinnen“ lautet die Devise,
unter der die Jeunesses Musicales Deutschland ihren Jugendorchesterpreis
nun schon zum dritten Mal ausgeschrieben hat. „Mitmachen“
meint: die Mitglieder der teilnehmenden Ensembles sind aufgefordert,
ihren erwachsenen Orchestermanagern und -leitern zwar nicht den
Dirigentenstab, aber doch so weit wie möglich das organisatorische
Zepter aus der Hand zu nehmen.
Clara Schumann an ihrem
Schreibtisch. Foto: Studentenorchester Münster
Was dazugehört, ein Konzert von Anfang an selbst zu planen,
vorzubereiten und durchzuführen, merken die Jugendlichen dabei
meistens erst, wenn sie sich bereits auf das Abenteuer eingelassen
haben. Eine zündende Idee steht am Anfang des Prozesses. Gefordert
war in der Ausschreibung neben der organisatorischen Selbstverantwortung
auch ein Konzert unter dem Motto „Musik Plus“. Es sollte
darum gehen, andere Disziplinen in das musikalische Geschehen einzubeziehen,
wobei der Phantasie thematisch keine Grenzen gesetzt waren.
Der Idee jedoch müssen jede Menge Taten folgen. Zum einmal
gewählten Thema gilt es, geeignete Musik auszuwählen.
Hierbei wird der musikalische Leiter oftmals einbezogen, oft –
vor allem bei jüngeren Orchestern – behält er auch
das Heft in der Hand. Dennoch können sich auch Jugendliche
bei der Programmauswahl beweisen, indem sie zum Beispiel schon mal
Gehörtes vorschlagen oder eine Auswahl aus angebotenen Musikwerken
treffen. Vor allem aber können sie tätig werden, wenn
die Umsetzung der Konzertidee, die Auswahl von Partnern, die Moderation
des Konzertes, kurz: Gestaltendes innerhalb des Konzertes ins Haus
stehen.
Weiter geht es mit Fragen der Raumauswahl, mit dem Entwurf kreativer
Plakate und anschaulicher Programmhefte, die gleichzeitig pfiffig
und informativ sein sollten. Sponsoren werden gesucht und angesprochen,
ebenso die örtliche Presse oder auch Rundfunksender. Gerade
in diesem Bereich zeigen sich oft erstaunliche Talente, die erzielten
Erfolge hätten die jungen Leute vorher kaum für möglich
gehalten. „Das kann ich ja wirklich“, ist das oftmals
erstaunte Fazit, das solche Jugendlichen aus der sicher auch mühsamen
Arbeit ziehen. Dass sie dabei „fürs Leben lernen“
ist ein erwünschter Nebeneffekt. Schließlich will die
Organisation des Konzertes selbst geregelt werden: Dekoration, Kartenverkauf,
Buffet- und Pausengestaltung: Gibt es Ideen, die das Konzertmotto
auch in der Pause, in Speisen und Getränken oder anderen Aktivitäten
plausibel machen? Wie kann man das „Plus“ besonders
gut, informativ oder auch witzig darstellen? All diese Fragen beantworten
junge Musiker, die einmal Feuer gefangen haben, mit einer Flut von
Ideen. Gut umgesetzt bedeutet das für das Publikum oft einen
unvergesslichen Konzertnachmittag oder -abend.
Die Ensembles, die es nach einer Vorauswahl in die zweite Runde
der Bewertung geschafft hatten, wurden an den von ihnen gewählten
Konzertorten von einer drei- bis vierköpfigen Jury besucht.
Der Konzerteindruck wird ergänzt durch ein Gespräch mit
den Beteiligten im Anschluss an das Konzert. Ob im Einzelfall wirklich
ein Großteil der Orchestermitglieder selbst die Sache in die
Hand genommen haben, ob die ganze Arbeit an einem Klein-Team hängen
blieb oder ob der Orchesterleiter doch die Fäden in der Hand
behielt: dies lässt sich in einem solchen Gespräch sehr
schnell herausfinden, wobei das Durchschnittsalter der Ensembles
bei der Bewertung natürlich eine Rolle spielen muss. Immerhin:
es gibt durchaus auch jüngere Musiker, die ganz eigenständig
für den Erfolg ihres Konzertes sorgen. So hatte der elfjährige
Felix Harms aus Augsburg wichtige organisatorische Aufgaben für
das Gitarren-Ensemble „Chico Polifemo“ übernommen.
Freilich war die Arbeit hier auf viele Schultern verteilt worden,
aber Engagement und Organisations-Talent eines so jungen Musikers
riefen nicht nur in der Jury, sondern auch im Weikersheimer Büro
der JMD einhellige Begeisterung hervor.
„Mitmachen“ also hieß das Motto und war auch
wichtigstes Entscheidungskriterium für die Jury. Natürlich
aber wurde auch die Realisierung des „Plus“ in die Wertung
einbezogen. Was hier an Ideenreichtum zusammen kam, lässt alle
Skepsis gegenüber einer vermeintlich unkreativen oder nicht
mehr zu sozialem Engagement fähigen Jugend in den Hintergrund
rücken. „Musik und Mode“ war Thema des Querflötenorchesters
„Chorus Tibiarum“ aus Lauf, das sich über einen
dritten Preis freuen durfte. Ein waschechter Laufsteg erzeugte im
Konzertsaal die reale Atmosphäre einer Modenschau. Die „Designerin“
präsentierte als Konzert-Moderatorin dem Publikum ihre neuesten
Entwürfe, die „Models“ waren selbstverständlich
Orchestermitglieder, die ihr Pult zu diesem Zweck kurzzeitig verlassen
mussten. Ob Nonne, Hexe, Casanova oder Alien: zu jedem Modell gab
es die passende Musik, wenn auch das Publikum einzelne Musikstücke
den richtigen Kostümen erst zuordnen musste und dadurch ins
Geschehen integriert war. Liebevoll und aufwändig hergestellte
Kleidermuster als Programmhefte und ein intern ausgeschriebener
Plakatwettbewerb rundeten das Konzerterlebnis ab. Den dritten Preis
teilen sich die Querflötisten mit der JugendBigBand Neubrandenburg.
Mit „Musik und Unterricht“ widmeten sich die jungen
Musiker einem sonst nicht sehr beliebten Thema und rollten in spannenden
und kreativen Unterrichtseinheiten die Geschichte des Jazz vor dem
Publikum auf. Schon im Vorfeld hatten sie verschiedene Schulklassen
besucht, so dass an jungen Zuhörern kein Mangel herrschte.
Von der Heimschule Lender in Sasbach bei Achern kommt der zweite
Preisträger. „Nomen est omen“ hatten sich die Mitglieder
des Streich- und Sinfonieorchesters gesagt – auch, wenn es
galt, den Namen der Herkunftsschule gewissermaßen zu europäisieren.
So machten sie sich unter der Überschrift „L(a)ender
– Menschen – Abenteuer“ auf eine „etwas
andere musikalische Rundreise durch Europa“. Europa übrigens
war ein Thema, das von verschiedenen Orchestern ausgewählt
und musikalisiert wurde. In diesem Fall nahmen die Zuschauer an
einer Zugfahrt teil, die nicht nur musikalisch, sondern auch durch
eine das Konzert untermalen-
de Fotoschau und im Nichtraucherabteil stattfindende Begegnungen
zwischen Bewohnern verschiedener Länder kurzweilig gestaltet
wurde. Passend zum Thema hatte sich das Orchester Partner in zwei
französischen Gymnasien gesucht, die das Konzert mit gestalteten.
Der erste Preisträger schließlich hatte sich ein weniger
griffiges „Plus“ gewählt, dessen Umsetzung gerade
deshalb größter Sorgfalt bedurfte – und erstaunlich
überzeugend gelang. „Die Schumanns – Szenen einer
Ehe“ hieß es in der Münsteraner Aasee-Aula. Die
Mitglieder des Studentenorchesters Münster hatten akribisch
recherchiert; die Ergebnisse wurden szenisch in ein musikalisches
Schumann-Programm eingebaut und vom Publikum fast atemlos verfolgt.
Clara und Robert Schumann kommentierten abwechselnd die Stationen
ihres Lebens und vermittelten eindrucksvoll die verschiedensten
Facetten ihrer Ehe.
Die herausragenden Leistungen der Preisträger wurden ergänzt
durch spannende Konzerterlebnisse anderer Ensembles, die leider
nicht prämiert werden konnten. Ein sportives Konzert erlebte
das Publikum des Jugendmusikkorps Bad Kissingen, das sich über
Rhönrad-Fahrer, Fechter und die Spieler der chinesischen Fußball-Nationalmannschaft
freuen durfte. In der DB-Lounge des Leipziger Bahnhofs variierte
das Akkordeonorchester Leipzig gemeinsam mit einigen Tänzern
das Thema „Reise“ in allen seinen Facetten. Und den
musikalischen Krimi „Musik im Blut“ präsentierte
das Oberstufenorchester der Kreismusikschule Kusel in spannungsgeladener
Atmosphäre. Natürlich hatten sich die Jugendlichen die
komplexe und abwechslungsreiche Story selbst ausgedacht.
Wieder einmal ist das Konzept des Jugendorchesterpreises der JMD
aufgegangen. Junge Musiker lassen sich gerne dazu animieren, über
die rein musikalische Arbeit hinaus für das eigene Orchester
aktiv zu werden – und sie haben Spaß daran. Die Konsequenz
für die Jeunesses Musicales lautet: Fortsetzung folgt –
mit dem Jugendorchesterpreis 2006/07.