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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 14
54. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Was Sie schon immer über Musik wissen wollten
SMS ShortMusicStories oder: Musik für Einsteiger auf SWR2
Das Projekt
„Alma Mahler und ihre Kerle“, „Die Schicksalssymphonie
– Entscheidung unter Flutlicht“, „Heavy Metal
– Eisenharte Töne“: So kann eine Wochenplanung
der Sendereihe SMS – Short Music Stories auf SWR2 aussehen.
Klassik, Jazz und Pop, grundsätzlich ist jedes Thema möglich.
Nur gut und anschaulich erzählt in zehn Minuten muss es sein,
eben so, dass nicht nur Musikexperten, sondern auch -liebhaber daran
Freude haben.
Selbstfahrer am Mischpult:
Matthias Kugler. Foto: Musikhochschule Karlsruhe
Eine Art Experiment, für das der SWR möglichst junge
und unverbrauchte Autoren beschäftigt. Den für seine Zwecke
idealen Kooperationspartner hat der SWR im LernRadio der Musikhochschule
Karlsruhe gefunden, das den Aufbaustudiengang Rundfunk-Musikjournalismus
anbietet. Innerhalb von vier Semestern lernen die Studierenden,
die in den meisten Fällen bereits ein Musikstudium absolviert
haben, das Rundfunkmachen, von der Planung bis zur fertigen Sendung.
Die Nachwuchsjournalisten, so die Idee, sollen das Kulturprogramm
SWR2 auch für ein jüngeres Publikum interessant machen.
Die Zusammenarbeit mit der nachrückenden Generation hatte allerdings
auch unerwartete Konsequenzen: Aus der ursprünglich geplanten
Bildungsreihe wurde ein Bilderbogen, erzählt die verantwortliche
Redakteurin von SWR2 Dr. Lotte Thaler. „Eigentlich sollte
es ja eine Art Kurzgeschichte der Musik oder auch eine Art Einführung
in die Grundbegriffe der Musik sein. Und daraus hat sich nun etwas
ganz Anderes entwickelt, nämlich Stories, also Geschichten
über Musik.“ Die Reihe spiegele auch ein erweitertes
Verständnis von Musikgeschichte wider. „Das, was wir
vielleicht vor 30 Jahren uns vorgestellt haben von Wertigkeit in
der Musikgeschichte, das hat sich verändert. Wir sind viel
weniger nur klassikorientiert; ein Musikliebhaber ist heute sehr
viel breiter in seinem Musikgeschmack.“
Die Fabrik
In der Praxis heißt das: Es laufen 250 Sendungen zu je knapp
zehn Minuten. Ein Jahr lang muss die Sendezeit montags bis freitags
zwischen 17.50 und 18.00 Uhr auf SWR2 bestückt werden. Zuviel
für die knapp achtzehn Studierenden des LernRadios. Also sind
auch die „Ehemaligen“ an dem Projekt beteiligt, die
Absolventinnen und Absolventen des LernRadios, die mittlerweile
schon längst als Musikjournalisten im Geschäft sind. Manche
Stories werden besonders aufwändig produziert, denn die Vielfalt
der Themen reizt vor allem die noch Studierenden zur Entfaltung
ihres persönlichen Gestaltungspotenzials. Die Geschichten handeln
von Komponisten oder Interpreten, Musikstilen oder Schauplätzen,
Instrumenten oder Musikerberufen. So unterschiedlich wie die Themen
ist auch ihre Verarbeitung: Eine fiktive Live-Reportage lässt
das Woodstock-Festival anno 1969 noch einmal aufleben, Fußballreporter
Günther Koch kommentiert den ersten Satz von Beethovens Schicksalssymphonie,
die Kunst der Variation wird in einer Kochsendung vorgestellt. „Die
größte Schwierigkeit ist der eigene Anspruch“,
meint denn auch LernRadio-Student und SMS-Autor Ben Alber. „Wir
legen natürlich großen Wert darauf, uns mit diesen Themen
intensiv auseinander zu setzen, und die Menge an Arbeit steht da
nicht mehr in Relation zu dem Produkt. Diese zehn Minuten sind ja
ein relativ kleines Format.“
Die Produktion
Im Hörspielstudio des Südwestrundfunks Karlsruhe herrscht
eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Der Techniker arrangiert
die sauber geschnittenen Audiofiles auf dem Bildschirm des digitalen
Schnittplatzes. Kurz vorher haben Sprecherin und Sprecher das Studio
verlassen. Die Autorin hat zu Händels Geburtstag eine Spielszene
entworfen: ein Paar besucht im London des 18. Jahrhunderts eine
Vorstellung von Händels „Xerxes“. Mittels gesprochener
Dialogszenen, Musik und Geräuschen entsteht ein kleines Hörspiel;
die technische Umsetzung dieser schönen Idee kann schon einmal
einen Arbeitstag in Anspruch nehmen. Die kleinen Kunstwerke erfordern
auch noch nach Fertigstellung des Manuskriptes einen erheblichen
Zeit- und Arbeitsaufwand, wenn das Produkt ästhetisch ansprechen
soll. Und die Studierenden, die im LernRadio alles selbst produzieren,
müssen sich erst an die Arbeit mit einem Techniker gewöhnen.
Die Motivation
Es ist erfreulich und überraschend, wie gut die teilweise
abwegig erscheinenden Ansätze im Radio funktionieren. Ben Alber
ist sich wie die anderen Studierenden auch der Chancen bewusst,
die das Projekt SMS bereithält. „Es ist so inspirierend,
was jeder da für eine subjektive Herangehensweise hat. Da kriegt
man viele Ideen, wie man in Zukunft mit seiner Arbeit auch umgehen
möchte.“
Alber selbst hat sich in seinem Beitrag mit der Reise des Blues
„von Timbuktu nach Tennessee“ beschäftigt, Studienkollegin
Deborah Schamuhn, mit sechzehn begeisterte Nirvana-Hörerin,
hat für SMS ein soziologisch angehauchtes Feature über
das Phänomen Grunge verfasst. Und Felix von Bally, ein leidenschaftlicher
Independent-Fan, bearbeitete für seinen Beitrag über Produzenten
von Independent-Musik sechs Stunden (!) Interviewmaterial. Das persönliche
Musikerlebnis kennzeichnet viele der Beiträge. So liegt es
nahe, dass etwa eine Geigerin den Klang „ihres“ Instrumentes
erklärt, eine Sängerin sich mit dem Phänomen Stimme
auseinander setzt.
Ist das vielleicht das Kulturradio von morgen? Die Beiträge
sind trotz der Fachkompetenz ihrer Verfasser jedenfalls weniger
von der Musikwissenschaft geprägt als von einer persönlichen
Begeisterung für Musik. In ihrer Machart orientieren sie sich
an der Sprache des aktuellen Journalismus, an der Kleinteiligkeit
des Popradios und an der Farbigkeit des Hörspiels oder der
akustischen Kunst. Die Vielfalt der Themen entspricht den Interessen
einer zukünftigen Hörergeneration. Für sie stehen
Abonnementkonzerte neben einem Rockfestival oder einem Weltmusikevent.
Entscheidend ist, was die Musik erzählt und in welchem Umfeld
sie wirkt, nicht, ob sie ausschließlich als „kulturelles
Erbe“ gilt.
Die Hörer
Für manche SWR2-Hörer ist dieser Umgang mit Musik ungewohnt.
„Woodstock im SWR2?“ fragt eine Hörerin konsterniert
im Gästebuch auf swr.de und führt weiter aus: „Mein
Mann ist zufällig dort vorbeigekommen und er erinnert sich
nur mit Ekel an das, was er dort gesehen, gehört und erlebt
hat. Unwürdig – dieses ‚Ereignis’ im SWR2
zu erwähnen!“ Aber solche Reaktionen bilden die Ausnahme.
Die meisten Hörer sind positiv überrascht von dem neuen
Programmelement. SMS sei zum Autofahren zu gefährlich, schreibt
ein Hörer, nachdem er vor Lachen beinahe in den Graben gefahren
wäre. Eine SMS-Reporterin hatte den „jungen Stockhausen“
(dargestellt von einem Studienkollegen) in den 50er-Jahren besucht.
Das Problem der Sendereihe ist, dass die jungen Hörer, die
angesprochen werden sollen, kaum zufällig um 17.50 Uhr das
SWR-Kulturradio einschalten. Zwar laufen ausgewählte Sendungen
auch im jungen SWR-Programm „Das Ding“, dessen Redaktionsleiter
Dr. Wolfgang Gushurst am Projekt beteiligt ist. Die meisten „jugendlichen“
Beiträge erreichen aber eher gestandene Musikfreunde als wirkliche
Einsteiger. Deshalb soll das SMS-Projekt nicht mit der Ausstrahlung
in SWR2 aufhören. Auch der Bayerische Rundfunk, dessen Redakteur
Wolf Loeckle ebenfalls zu den Betreuern von SMS gehört, möchte
einen Teil der Beiträge übernehmen. Außerdem wollen
die SMS-Macher, allen voran der Leiter des Instituts LernRadio an
der Musikhochschule Karlsruhe, Prof. Jürgen Christ, die Sendungen
dauerhaft verfügbar machen. Auf einer eigenen Internetseite
werden sämtliche Beiträge online bereitgestellt. Hintergrundinformationen,
Web-links und CD-Tipps machen es dem Nutzer leicht, selbstständig
weiter zu recherchieren.
Die gesamte Reihe soll auf DVD erscheinen und damit Lehrern an
allgemeinbildenden Schulen als Unterrichtsmaterial zur Verfügung
stehen. Dieser pädagogische Aspekt erklärt auch das umfangreiche
Engagement der PwC-Stiftung Jugend-Bildung-Kultur in Deutschland
beim SMS-Projekt. Weitere Unterstützung erfährt das Projekt
durch den Deutschen Musikrat und den Verband Deutscher Schulmusiker
(VDS).
Ines Stricker/Mischa Kreiskott
SMS – Short Music Stories im Programm SWR2, montags bis
freitags, 17.50 – 18.00 Uhr; Informationen unter www.swr.de/swr2/sendungen/sms