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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 1
54. Jahrgang | Juni
Leitartikel
Der Bundeskulturwahlkampf hat begonnen
Ein kulturpolitisch spannender Sommer steht bevor · Von
Olaf Zimmermann
Der Coup war perfekt. Kaum wollte sich die CDU über ihren
Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen freuen und ihren Wahlsieger Jürgen
Rüttgers feiern, kündigte SPD-Parteichef Franz Müntefering
Bundestagsneuwahlen für diesen Herbst an. Zur besten Tagesschauzeit
trat Bundeskanzler Schröder staatsmännisch vor die Kameras
und teilte mit, dass er es nun wissen wolle, ob die Bevölkerung
seine Politik bejahe oder nicht. Die zur Schicksalswahl hochstilisierte
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist tatsächlich so etwas
wie eine Zeitwende. Bundeskanzler Schröder will offensichtlich
nicht dasselbe Schicksal erleiden wie sein Vorgänger Kanzler
Kohl, der nach Jahren der Agonie und einer Reihe verlorener Landtagswahlen
im Bund den Hut nehmen musste. Also wird die Flucht nach vorne angetreten.
Die politischen Kommentatoren prognostizieren bereits einen Wahlkampf,
bei dem es um eine Richtungsentscheidung gehen wird, „soziale
Marktwirtschaft“ oder „neue soziale Marktwirtschaft“,
wie es die voraussichtliche Kanzlerkandidatin Angela Merkel vor
einigen Jahren nannte. Aller Voraussicht nach wird es tatsächlich
so, dass dieser Bundestagswahlkampf wesentlich pointierter geführt
werden wird als noch der vorherige. Wahrscheinlich auch deshalb,
weil bereits seit einigen Jahren eine heimliche große Koalition
regiert. Die rot-grüne Koalition war mit jeder verlorenen Landtagswahl
mehr auf die Mitwirkung der Union an der Gesetzgebung im Bundesrat
angewiesen. Nun werden statt der gemeinsamen Vorhaben die Unterschiede
deutlicher werden.
Es wird sich zeigen, was dieses für die Kulturpolitik und
speziell die Musik bedeutet. Die Union ist bislang dadurch aufgefallen,
dass die Länder die Kulturhoheit und damit die Zuständigkeit
für Kultur und Bildung allein für sich beanspruchen. Sie
haben daran letztlich die Föderalismusreform, die auch ihnen
mehr tatsächliche Gestaltungsspielräume ermöglicht
hätte, scheitern lassen. Die Bund-Länder-Kommission für
Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), dank derer auch
im Musikbereich viele Modellprojekte verwirklicht werden konnten,
sollte abgeschafft werden. Es wird sich nun zeigen, ob die Union
im Wahlkampf Flagge zeigen wird für Innovationen im Bildungswesen,
die vom Bund mitfinanziert werden.
Zu wichtigen Fragen wie zum Beispiel der sozialen Lage der Künstlerinnen
und Künstler, zu der die SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und die FDP Anträge im Deutschen Bundestag vorgelegt haben,
hat die Union bislang geschwiegen. Aber auch die SPD ist in dieser
Legislaturperiode nicht gerade durch kulturpolitische Akzente hervorgetreten.
Sie hat mit der Novelle des Deutsche-Welle-Gesetzes und der Fortführung
der Novelle des Filmförderungsgesetzes nur ihre Hausaufgaben
gemacht. Von einem kulturpolitischen Aufschwung war nichts zu spüren.
Der nächste Wahlkampf wird ein Richtungswahlkampf. Im Mittelpunkt
wird das Thema Arbeitsmarkt stehen. Weil es voraussichtlich um die
so genannten großen Themen geht, wird es umso notwendiger
sein, zu zeigen, dass Kulturpolitik – und damit auch Musikpolitik
– ein wichtiges Politikfeld ist.
Der Arbeitsmarkt Kultur ist ein wichtiger, nicht zu unterschätzender
Arbeitsmarkt. Die Potenziale dieses Bereiches gilt es deutlicher
herauszustellen und die Gestaltung optimaler Rahmenbedingungen einzufordern.
Deutschland als rohstoffarmes Land muss in seine Köpfe investieren.
Bildung ist der unabdingbare Rohstoff zur Entwicklung neuer Ideen
und Produkte. Welchen Beitrag kulturelle Bildung, so auch die am
stärksten entwickelte musikalische Bildung, bei der Entwicklung
des Denkens und der Kreativität leistet, muss ebenfalls noch
viel mehr herausgestellt werden und eine Investition des Bundes
in die kulturelle Bildung eingefordert werden. Dem Wert kreativer
Leistungen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Urheberrecht
ist kein Hemmschuh gegen wirtschaftliche Entwicklung, sondern im
Gegenteil eine wichtige Voraussetzung damit Künstlerinnen und
Künstler von ihrer kreativen Leistung leben können und
damit weiter schöpferisch tätig sein können. Die
Sicherung der Rechte der Urheber, der ausübenden Künstler
und der Verlage muss weiter das Hauptziel der Urheberrechtspolitik
sein. Dieses muss von den Parteien eingefordert werden. Es wird
jetzt auf den Kulturbereich ankommen, ob er sich klein macht und
den Wahlkampf den anderen überlässt oder ob deutlich gemacht
wird, dass die Kulturpolitik des Bundes wesentlich die Rahmenbedingungen
des kulturellen Lebens vor Ort bestimmt und daher eine kulturpolitische
Positionierung der Parteien eingefordert wird, die zur Wahl des
nächsten Deutschen Bundestages in der dann 16. Legislaturperiode
antreten. Besonders spannend werden die Positionierungen der SPD
und der Union bei der Frage nach einem Bundeskulturministerium sein.
Die SPD hat mit der Einrichtung des Amtes der Kulturstaatsministerin
beim Bundeskanzler einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem eigenständigen
Ministerium gemacht. Aus der Union hat bislang nur der Vizepräsident
des Deutschen Bundestages und Vorsitzende der einflussreichen CDU-Landesgruppe
Nordrhein-Westfalen im Deutschen Bundestag, Norbert Lammert, laut
über ein eigenständiges Kulturministerium auf Bundesebene
nachgedacht.
Es kann also gerade auch kulturpolitisch ein spannender Sommer
und Wahlkampf werden. Der Bundeskulturwahlkampf hat begonnen!