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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 5
54. Jahrgang | Juni
Magazin -
60 Jahre nach Kriegsende
In was für einem Deutschland lebe ich?
Brothers Keepers – Afrodeutsche Künstler gegen 551
rechtsextreme Angriffe im Jahr 2004
Im Sommer 2000 wurde der afrodeutsche Familienvater Alberto Adriano
von drei jungen Deutschen brutal getötet. Für viele afrodeutsche
HipHop-Reggae & Soulkünstler (unter vielen anderen Xavier
Naidoo, Samy Deluxe, Afrob, Sékou, Torch, Denyo, D-Flame)
bedeutete dieses Verbrechen den – mit Respekt formuliert –
endgültigen Motivationsschub, sich zusammen und unmissverständlich
gegen Rechts zu positionieren. Das Musikprojekt Brothers Keepers
(BK) wurde 2001 unter Federführung von Adé Bantu gegründet,
im gleichen Jahr wurde der Verein „Brothers Keepers e.V.”
offiziell und mit amtlich bescheinigter Gemeinnützigkeit ins
Vereinsregister eingetragen. Parallel erschien 2001 die Single „Adriano
(Letzte Warnung)“, gefolgt vom Album „Lightkultur”.
Ursprünglich nicht als kommerzieller Hit geplant, schaffte
die Single Platz vier der Charts und stellte im Kampf gegen Rechts
eine nicht unbedeutende Hilfe dar, konnte doch im Kontext der Single
bundesweit klar gemacht werden, dass rechte Gewalt und der rassistische
Alltag in die Schranken gewiesen werden müssen. Brothers-Keepers-Initiator
Adé Bantu sprach über den Verein und die neue Platte
mit der neuen musikzeitung.
Vier Jahre sind seit der Vereinsgründung und dem letzten Album
vergangen. Vier Jahre, in denen bei BK gearbeitet wurde. Schnöde
Vereinsarbeit. Der HipHopper als Vereinspräse. Adé Bantu
grinst wissend: „Ja, aber das musste sein. Wir möchten
den Opfern von rassistischen Übergriffen helfen. Als eingetragener
Verein muss man Vorraussetzungen erfüllen, um diese Hilfe leisten
zu können. Dazu gehörten etwadie Familie Adriano und ein
junger Mann aus Äthiopien, der in einem voll besetzten Zug
in Halle angegriffen wurde und von uns während der Gerichtsverhandlung
betreut wurde. Ferner haben wir versucht bei den letzten Bundestagswahlen
Jungwähler zu mobilisieren, besuchten in den neuen und alten
Bundesländern zwischen 30 und 40 Schulen. In den neuen Bundesländern
war uns das sehr wichtig, um zu erfahren, was da passiert. Wir wollten
niemanden zuquatschen sondern mehr zuhören.
Als Schirmherr konnten wir Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
gewinnen“. Über eine Woche war BK in den neuen Bundesländern
unterwegs und kooperierte mit den örtlichen Initiativen. „Diese
Kooperation war sinnvoll, denn es sollte nicht so sein, dass wir
als große Stars auftreten und wieder verschwinden“,
erklärt Adé Bantu. „Die Jugendlichen erhielten
durch die Zusammenarbeit mit den Initiativen eine kontinuierliche
Anlaufstelle. Die Initiativen waren überwältigt vom Zuspruch
und konnten enorme Zuläufe von Jugendlichen, die mitarbeiten
möchten, verzeichnen.“ Doch nicht nur in der Jugend sieht
BK eine relevante Zielgruppe. Man besuchte Gefängnisse, Polizeiwachen,
Asylbewerberheime. Die Musiker nahmen Platten auf, spielten Konzerte,
gaben Interviews, standen für Podiumsdiskussionen zur Verfügung
und suchten den Dialog mit Politikern wie Lobbyisten.
Ein Mammut-Programm; noch dazu kein alltägliches Musikerprogramm
(Songs schreiben, aufnehmen, touren Promotion). „Ich hatte
zwischendurch kaum Zeit als Musiker zu arbeiten“, erinnert
sich Adé Bantu, „denn so ein Schulbesuch geht an die
Substanz. Wenn man in den neuen Bundesländern aus Angst vor
Brandanschlägen in der zweiten oder dritten Etage schlafen
muss, wenn man permanent mit Begleitschutz durch die Gegend läuft
– selbst wenn man sich eine Pizza holt – dann wird einem
ganz anders. Oder wenn Neo-Nazis vor der Schule stehen und versuchen
einen einzuschüchtern, dann fragt man sich, in welchem Deutschland
man eigentlich lebt.“ Adé Bantu weiß es in diesem
Moment zu schätzen, dass er Mitstreiter hat. „Das Gute
ist, dass man es nicht alleine erleben muss, sondern mit dem BK-Kollektiv
verarbeiten kann.“ Der Zusammenhalt ist es auch, der Adé
Bantu hilft, sich nicht vollends in der Vereinsarbeit zu verlieren
und ihm erlaubt wieder musikalisch tätig zu werden, denn das
gerade erschienene neue Album „Am I my Brother’s Keeper?“
(SonyBMG) ist wesentlicher Bestandteil des BK-Konzeptes. Man braucht
die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit. Und letztendlich
die Finanzen, die aus diesen Verkäufen erzielt werden. Nur
so bleibt es möglich, Opfern rassistischer Übergriffe
bei der Übernahme der Kosten für Rechtsanwälte, psychologische/medizinische
Betreuung, den Umzug in eine andere Stadt oder den behindertengerechten
Ausbau der Wohnung dezidiert zu helfen. Hilfe, die immer noch notwendig
ist, obwohl uns Politiker andere Fakten und Zahlen auftischen und
schlichtweg verkennen, dass sich die Neo-Nazi-Szene neuer Methoden
der Rekrutierung bedient und ihre Anhängerschaft nicht nur
via Internet ausbaut. Dass Schulen längst ein umkämpfter
politischer Kontakthof sind, dass es seit vielen Jahren einen mehr
als latenten Rechtsruck in Politik und Medien gibt. Adé Bantu
fügt bedrückendes hinzu: „Zeitgleich verschweigt
man aus Hilflosigkeit rassistische Übergriffe, die nur dann
die Medien erblicken, wenn sie mit Körperverletzungen einhergehen.
Dass dazu auch Telefon-Terror gehört und immer öfter Streetworker
oder Obdachlose miteinbezogen werden, nimmt doch kaum jemand wahr.“
Tatsachen, die beschämen. Untermauert von Zahlen, die uns
bewusst machen, wie sehr wir die Augen verschließen und Nachrichten
selektieren. Nach Angaben von BK gab es im Jahr 2004 insgesamt 551
rechtsextreme Angriffe. Die meisten dieser Gewalttaten ereigneten
sich in Sachsen (146), gefolgt von Brandenburg (136) und Sachsen-Anhalt
(109). Von den 551, in ihrer Intensität sehr unterschiedlichen
Angriffen, waren mindestens 822 Personen direkt betroffen. In der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle handelte es sich um Körperverletzungsdelikte.
In den letzten 15 Jahren sind mindestens 134 ausländische,
andersfarbige, andersdenkende, behinderte oder obdachlose Menschen
Todesopfer von rechtsextremer Gewalt in Deutschland geworden. Sie
wurden meist auf brutalste Weise getötet. 60 Jahre nach Ende
des zweiten Weltkrieges, 60 Jahre nach Ende der NS- Diktatur hält
uns Brothers Keepers einen traurigen Spiegel vors Gesicht.