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nmz-archiv
nmz 2005/07 | Seite 15
54. Jahrgang | Jul./Aug.
www.beckmesser.de
Hightech defekt
Viel wird gegenwärtig über den Stillstand im Land geredet.
Die Politiker ergehen sich in Aufrufen und versprechen alles zu
ändern, die Unternehmerverbände rufen nach Freiheit und
Herr Westerwelle kräht, an allem seien die Gewerkschaften Schuld.
Glaubt man den hektischen Willensbekundungen, so scheint das Erwachen
aus der Starre nur noch eine Frage von Wochen. Vielleicht ist aber
auch nur eine höhere Stufe jenes Zustands erreicht, den Nietzsche
so umschrieb: „Alles gackert, doch niemand will Eier legen.“
Ein Blick in den banalen Alltag legt dies nahe. Das folgende Beispiel
gleicht einer Kurzversion von Karl Valentins Buchbinder Wanninger
im Zeitalter der digitalisierten Nicht-Kommunikation. Schauplatz
ist der Computerbildschirm, „Kommunikationspartner“
eine führende Internetbank. Wir befinden uns im Zentrum des
rasenden Fortschritts, wo es vor lauter unternehmerischer Effizienz
und Hightech nur so blitzt. Als Schnittstelle zwischen Unternehmen
und Bittsteller, pardon: Kunde, fungiert die technische Hotline.
Grund der Mitteilung: Irgendwo auf der hoch gestylten Website klemmt
ein Link. Die Namen und Daten sind im folgenden elektronischen Dialog
geändert.
+++
Formulartext, gesendet am 6. 6. an <info@x-bank.de>:
Wenn man einen bestehenden Auftrag ändern will, funktioniert
der Absende-Button zu Schritt 2 nicht – der Auftrag lässt
sich nicht ändern. MfG Max Nyffeler
+++
Antwort der x-bank am 8.6. um 8:00 Uhr:
Sehr geehrter Herr Nyffeler,
vielen Dank für Ihre E-Mail. Das von Ihnen geschilderte Problem
ist uns bekannt und bereits mit der Bitte um Klärung an die
zuständige Abteilung weitergeleitet worden. Wir möchten
Sie bitten, die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen und bitten um
Geduld.
Mit freundlichen Grüßen, Hannes Traxler, Technische Hotline
TRACKING NUMBER: A00000124474-00000580734
Originalnachricht:
F_Kundennummer: 117*****; F_Interessentennummer: 245*****; F_Identstatus:
2; F_System: Mac OS X; F_Browser: Safari 312; F_Provider: gmx; F_Firewall:
Nein; F_Proxies: Nein; F_Fehler: Keine Fehlermeldung
Wenn man einen bestehenden Auftrag ändern will, funktioniert
der Absende-Button zu Schritt 2 nicht – der Auftrag lässt
sich nicht ändern. MfG Max Nyffeler
x-bank Aktiengesellschaft
Vorstand: Anton Carlsberg (Vorsitzender), Vera Katzer; Vorsitzender
des Aufsichtsrates: Bernhard Tarnow
+++
Antwort an die x-bank am 8.6.:
Sehr geehrter Herr Traxler,
besten Dank für Ihre Nachricht. Die Sache ist klar, ich bin
aber doch erstaunt über diese bürokratische Art, so ein
Problemchen anzugehen.
Wenn der nicht funktionierende Link bekannt ist, wäre es doch
für Ihre IT-Leute eine Angelegenheit von zwei Minuten, ihn
einzurichten. Doch statt zu handeln wird aus dem Detail offenbar
ein Vorgang gemacht, der an eine „zuständige Abteilung
weitergeleitet“ wird, und diese scheint dann tagelang zu prüfen,
ob und wie sie die Sache klären möchte. Und das zu einem
Stundenlohn von vermutlich 150 Euro. Auch so kann ein Unternehmen
Geld verbrennen: das eigene und das der Kunden, die ihre Zeit mit
fruchtlosem Herumprobieren verschwenden. (Der Verlust ist sicher
gering im Vergleich zu den Kosten Ihres schlecht funktionierenden
Internet-Auftritts.)
Mir scheint das Ganze symptomatisch zu sein für die heutige
Situation, in der individuelles Denkvermögen und individuelle
Verantwortungsbereitschaft so gründlich an den Computer delegiert
worden sind, dass wir nun bald Zustände wie in Honeckers SED-Bürokratie
haben – nur auf einer höheren technischen Stufe, was
aber umso verheerender ist. Kein Wunder, dass in diesem Land nichts
mehr läuft.
Es ist mir klar, dass diese Mail nichts bewirkt und irgendwo im
Datenfriedhof Ihres Firmen-Intranets verschwindet. Ich bin ja auch
nur ein kleiner Kunde, und Sie sind nicht die zuständige Person
für Beschwerden. Die Verantwortlichen für den ganzen Betrieb
wiederum interessieren sich nicht für Details, sondern nur
für die ganz großen Strategien und das, was sie in ihren
Managerkursen eingetrichtert bekommen haben. Sie, Herr Traxler,
werden also genau so wenig ändern können wie ich. Sie
können nur nette E-Mails zum Abwiegeln verschicken –
ein unersprießlicher Job, da Sie genau wissen, dass es nichts
nützt. Ich beneide Sie nicht darum.
Für mich ist das die erneute Bestätigung, dass hinter
den dynamischen Logos und Effizienz simulierenden „Erscheinungsbildern“
vieler Unternehmen gewaltig viel Leerlauf produziert wird. Ihre
Bank liegt da voll im Trend.
Ich bin sicher, Sie nehmen mir die offene Sprache nicht übel,
denn es ist ja nicht persönlich gemeint. Sie brauchen mir auch
nicht auf diese Mail zu antworten, denn Sie haben sicher Wichtigeres
zu tun.
Mit freundlichen Grüßen, Max Nyffeler
+++
Anmerkung am 15.6.: Eine Antwort ist nie eingetroffen, was ja auch
verwundert hätte. Der Link ist noch immer defekt. Was weiter
nicht verwundert.