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Ausgabe 2005/07
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nmz 2005/07 | Seite 17
54. Jahrgang | Jul./Aug.
Forum Musikpädagogik

Förderung oder Gefährdung der Stimme?

Gedanken zu einem Kriterienkatalog für die stimmliche Eignung von Kinderliedern

Sind die neuen Kinderlieder, wie sie in unzähligen Liederbüchern zu finden sind, geeignet, das Singen von Kindern zu befördern und zu verbessern? Oder ruinieren Kinderlieder die Stimmen unserer Kinder? Die Fragestellung mag provokativ erscheinen, jedoch zeigt sich schon bei ganz oberflächlichem Hinhören landauf landab, wie desolat es um das Singen der Kinder bestellt ist. Können die neuen Kinderlieder da „unschuldig“ sein?

Umfang der Kinderstimme

Die Meinungen über den Stimmumfang von Kindern werden sehr kontrovers diskutiert, wobei nicht immer sorgfältig genug zwischen physiologischen Möglichkeiten und modischen Strömungen unterschieden wird. Bei einem Gesamtumfang von etwa vier Oktaven (circa f0 bis über c4) ist ein im Laufe der Lebensjahre zunehmender und durch Übung erweiterbarer Ausschnitt für das Singen nutzbar zu machen.

Mit Beginn des Liedersingens bis etwa zum fünften Lebensjahr einschließlich ist der für das Singen taugliche Ausschnitt von etwa e1 bis e2 (f2) anzunehmen, ohne dass dieser Umfang immer vollständig genutzt würde. In den nächsten drei Jahren (sechstes bis zehntes Lebensjahr) wächst der Ausschnitt auf die Spanne c1 bis f2 (a2) an, um in den folgenden Jahren den ganzen physiologischen Stimmumfang zu umfassen, wobei die oberste Oktave (c3 - c4 und darüber) mit einer anderen Stimmlippenfunktion („Pfeifregister“) erzeugt wird und der „Liederstimme“ daher nur bedingt zugerechnet werden kann. Der Zuwachs nach unten bleibt bescheiden: die tiefsten erreichbaren Töne vor der Pubertät liegen beim kleinen g (g0) oder f (f0). In Liedern sollte das kleine a (a0) möglichst nur mit sehr geübten Kindern unterschritten werden. Allerdings sind tiefe Töne auch mit dem ungemischten Brustregister erzeugbar, was aber dem physiologisch richtigen und gesunden Singen nicht förderlich ist, da ein bevorzugtes oder ausschließliches Singen in der Lage f0 bis circa c2 zu einer Dominanz der Vollschwingung der Muskelmasse in den Stimmlippen führt, die höhere Töne unmöglich macht; die Stimmen der Kinder werden verkrüppelt.

Singen – Lernen

Es ist sehr wichtig, wie das Kind an den Umgang mit der Stimme herangeführt wird. Eltern heutiger Kinder stammen bereits aus Familien, in denen zum größten Teil nicht mehr gesungen wurde. Kaum mehr gefördert sucht sich der unbestritten vorhandene Drang von Kindern zum Singen seine eigenen Befriedigungen. Aber beim Anhören der Kinderlieder von Tonträgern oder Abspielen elektronischer Spielzeuge sowie Mitsingen mit einer Lautsprecherstimme erfahren die Kinder keinerlei zwischenmenschliche, emotionale Förderung und werden zudem enttäuscht durch die mangelhafte Möglichkeit, sich mit der elektronischen Stimme zu identifizieren. Ein Kassettenrekorder oder MP3-Player lässt sich kaum in derselben Weise lieb haben wie Mutter oder Vater.

Eine weitere Problematik der elektronisch konsumierten Musik ist in der Mitsinglage zu sehen, die häufig viel zu tief für die Kinderstimme ist. Wegen der lauten und harten Schlagzeugbegleitung von Pop-Songs ist zudem häufig große Lautstärke gefordert, was in tiefer Lage zu dem bekannten Registerproblem der Kinderstimme führt. In vielen Kindergärten wird viel zu wenig gesungen und wenn, dann häufig in zu tiefer Lage, was wiederum das Festsingen der Kinder im Bruststimmbereich provoziert.

Erzieher/-innen und Grundschullehrer/-innen müssen einige Regeln beachten, wenn sie sinnvoll mit Kindern singen wollen:

• Nachahmung ermöglichen
Sie müssen mit ihrer eigenen Stimme so vorsingen, dass die Kinder etwas für ihre eigene Stimme Nachzuahmendes erkennen können.
• Musik nicht vergessen
Nach ausführlicher Texterklärung kommt oft als letztes die Melodie an die Reihe. Besser ist es, von Anfang an das Lied als Ganzes zu behandeln.
• Kinder möglichst in der Lage zwischen c1 und f2 singen lassen
In der tiefen Lage harte und überlaute Stimmgebung vermeiden und solche Lieder aussuchen, bei denen nicht-bruststimmige Klänge suggeriert werden.
• Begleitinstrumente sorgfältig aussuchen
Das beste Begleitinstrument ist die eigene Stimme! Daneben können Blockflöten (am besten die Alt- oder Tenorflöte), Orgel (im leisen, flötigen Achtfuß), Streichinstrumente und weiche Stabspiele von Kindern gut wahrgenommen werden und erzeugen einen der Kinderstimme genügend ähnlichen Klang, so dass die Kinder „etwas zum Nachahmen“ finden.

Gestalt von Kinderliedern

Es wird wesentlich darauf ankommen, dass die richtigen Lieder gefunden werden, die in Lage und Umfang, in melodischer Faktur und rhythmischer Prägnanz, aber auch in phonetischer Gestalt und textlichem Gehalt die Kinder stimmlich (stimmbildnerisch) fördern sowie geistig und seelisch ansprechen – und daneben auch noch Spaß machen!

Tonumfang

Winfried Adelmann, Sänger und Gesangslehrer an der Sängerakademie Hamburg postuliert in seiner Dissertation („Geeignete Tonlagen und Umfänge für das Singen von Liedern in Vorschulklassen“, Hamburg 1999) das Singen bis zu einer großen Terz tiefer als in Liederbüchern notiert. Dies entspräche dem Vorbild der die Kinder fast ständig umgebenden populären Musik. Diese Brustlage sei den Kindern vom täglichen Sprechen bekannt und vertraut, führe aber nicht zwangsläufig zu verbrusteten Kinderstimmen, vielmehr wird die Stimme aus diesem Bereich heraus entwickelt und der Übergang zur Kopfstimme durch allmähliche Zurücknahme der Vollstimmfunktion trainiert.

Selbst wenn es dem erfahrenen Stimmpädagogen gelingen mag, so zu verfahren, wie Adelmann beschreibt, bleibt doch die Tatsache, dass Zigtausende von Lehrpersonen, die mit Kindern singen, die spezifische Qualifikation eines Gesanglehrers nicht besitzen. Länger andauerndes Festhalten am Singen in der Sprechstimmlage gleicht dann einem Spiel mit dem Feuer. Das Ergebnis zeigt sich landauf, landab bei den bruststimmig singenden Kindern in Kindergärten und Schulen. Das „allmähliche Zurücknehmen der Vollstimmfunktion“ ist eine stimmbildnerische Maßnahme, die auch erfahrenen Stimmpädagogen durchaus nicht immer gelingt und Kindern, deren bruststimmiges Singen bereits den Verlust der hohen Lage bewirkt hat, häufig nicht mehr zu einer gesunden Singstimme verhelfen kann.

Singlage

Bewegt sich eine Melodie überwiegend im Bereich der unteren Hälfte der eingestrichenen Oktave oder gar im oberen Bereich der kleinen Oktave und weist keine oder nur wenige Töne um c2 auf, befinden wir uns in einer tiefen Singlage für Kinder (Beispiel: F. Vahle, Der Frosch zog Hemd und Hose an. Umfang: g0-a1, in: Gisela Walter (Hrsg.), Neue Kinderlieder. Ravensburg: Maier 1992, S. 110)

Diese Lage ist grundsätzlich gefährlich wegen des hier ungehindert einsetzenden Brustregisters, das oftmals von den Lehrpersonen gar nicht als schädlich erkannt wird. Wenn wir mit Kindern in dieser Lage singen wollen – dies ist aus stimmtherapeutischen Gründen oft notwendig –, müssen wir an Melodiequalität und Textausdruck besondere Ansprüche stellen, die das weiche, leise und behutsame Singen fördern und das Abgleiten in harte, reibende Klanggebung sicher verhindern (Beispiel: A. Mohr, Finsternis. Umfang: b0-a1, in: Praxis Kinderstimmbildung. Mainz: Schott 2004; S. 122).

Melodien, die sich vorwiegend in der oberen Hälfte der eingestrichenen Oktave bewegen und möglichst auch Töne über c2 aufweisen, haben eine höhere Singlage. In dieser Lage singen bedeutet, dass elastisch lockeres Benützen der Stimme möglich und das Abgleiten in Brustregister relativ erschwert ist (Beispiel: U. Führe, Was macht ein Regenwurm bei Sturm. Umfang: d1-d2, in: Mobo Djudju. Boppard: Fidula 1997, S. 18).

Melodiestruktur, Tonart und phonetische Elemente sind weitere wichtige Kriterien bei der Beurteilung, ob ein Kinderlied stimmfördernd wirkt oder nicht. Ob die stimmentspannende Abwärtsführung der Melodie eingesetzt wird oder kontinuierlich größer und kleiner werdende Sprünge das Zielvermögen schulen, ob durch raffinierte Texterfindungen artikulatorische Aufmerksamkeit gefördert wird oder durch Textwiederholungen die Bewegungen der Sprechwerkzeuge trainiert werden, alle Parameter müssen sinnvoll und nutzbringend eingesetzt werden, im Sinne der Hinführung zu einer gesunden Stimmgebung.

Zusammenfassung

Beantworten wir also die eingangs gestellte Frage. Können die neuen Kinderlieder die Stimme fördern? Ja, sie können es, wenigstens einige – allerdings müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein.

• Der Liedumfang passt für die Altersgruppe
• Es wird in günstiger Singlage gesungen
• Die Melodie ist logisch und sinnvoll
• Das Lied ist in der zu singenden Tonart notiert
• Der Text ist klangvoll und hindert nicht beim Singen und/oder trainiert die Sprechwerkzeuge
• Der Inhalt passt zu Melodie und Altersgruppe

Die Durchsicht von Liederbüchern für Kindergarten und Grundschule macht deutlich, dass es heute kein einheitliches Repertoire an Liedern für diese Entwicklungszeit mehr gibt. Dass bei circa 1.000 befragten Erzieherinnen und Erziehern nach den meistgesungenen Liedern im Kindergarten weit über 700 verschiedene Titel genannt wurden und „Dornröschen war ein schönes Kind“ mit lediglich 23 Nennungen das meistgesungene Volks-lied war (Quelle: Peter Brünger, Singen im Kindergarten. Augsburg: Wißner 2003, S. 98 f.) zeigt den Verlust eindrucksvoll auf.

Wollen wir nicht riskieren, ein Grundbedürfnis und ein Kulturgut des Menschen frühzeitig und endgültig zu verlieren, muss es uns gelingen, Elternhaus, Kindergarten und Grundschule wieder zu der Stätte werden zu lassen, wo gesundes gemeinsames Singen zum selbstverständlichen Tun gehört, an jedem Ort, zu jedem Anlass, zu jeder Stunde.

Autor Andreas Mohr hielt diesen Vortrag beim „Tag der Kinderstimme“ an der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz/Donau am 6. Oktober 2004. Der ungekürzte Vortrag kann heruntergeladen werden unter folgender Internet-Adresse: www.kinderstimmbildung.de

 

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