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nmz-archiv
nmz 2005/07 | Seite 6
54. Jahrgang | Jul./Aug.
Magazin - Siegfried Palm
Das komponierende Cello unter Anleitung des Herrn Palm
Für Siegfried Palm schrieb B.A. Zimmermann seine wegweisende
Solosonate für Violoncello · Zum Tod des großen
Musikers
Siegfried Palm ist tot. Das ist eine jener Nachrichten, die einen
mehr als einen schmerzhaften Augenblick innehalten lassen. Der neuen
musikzeitung war Siegfried Palm über viele Jahrzehnte als redaktioneller
Berater und Freund verbunden. Die sehr persönliche Hommage
an den Cellisten auf dieser Seite schrieb Palms Weggefährte
seit frühesten Tagen, Klaus Bernbacher.
Wort und Ton geschwisterlich
vereint: Siegfried Palm in seinem Studierzimmer in Frechen.
Foto: Charlotte Oswald
Die Geschichte der Neuen Musik schrieben und schreiben nicht nur
die Komponisten. Als Mitschöpfer erscheinen zugleich die Namen
der Interpreten, mit denen sich eine Werkgeschichte verbindet. Mit
der traditionellen „Widmung“ einer Komposition hat das
nichts mehr gemein. Vielmehr inspirierten die technischen Fähigkeiten
eines Instrumentalisten die Komponisten überhaupt erst zu bis
dahin „unerhörten“ Klangerfindungen, deren Umsetzung
in die klangliche Realität dann dem jeweiligen Interpreten
vorbehalten blieb. In diesem Sinne haben, um nur einige Namen zu
nennen, die Pianisten Alfons und Aloys Kontarsky, die Oboisten Lothar
Faber und Heinz Holliger, der Flötist Severino Gaz-zelloni
oder die Sängerin Cathy Berberian schöpferisch gewirkt.
Und natürlich der Cellist Siegfried Palm. Die Liste der Uraufführungen,
die sich mit seinem Namen verbinden, ist unendlich lang, und die
Namen der Komponisten lesen sich wie ein Gotha der Neuen Musik:
György Ligeti, Winfried Zillig, Boris Blacher, Rolf Liebermann,
Morton Feldman, Miko Kelemen, Wolfgang Rihm, York Höller, Dimitri
Terzakis, Tilo Medek, Wolfgang Fortner, Giuseppe Sinopoli, Mauricio
Kagel, Cristobal Halffter, Isang Yun und Bernd Alois Zimmermann.
Mit B.A. Zimmermann verband Palm eine tiefe Freundschaft, die etwas
scheinheilig von Seiten des Komponisten begann. Dieser zeigte ihm
die Partitur für das Cello-Konzert „Canto di speranza“
und verschwieg dabei heimtückisch, dass schon mehrere bekannte
Cellisten, darunter Palms Lehrer Enrico Mainardi, das Werk wegen
Unspielbarkeit abgelehnt hatten. Die Uraufführung des „Canto“
unter Ernest Bour gelang dann 1958 „respektabel“, wie
Palm selbst sagte. Zu einem zentralen Ereignis in der Geschichte
der Neuen Musik überhaupt wurde B.A. Zimmermanns für Siegfried
Palm komponierte Solosonate für Violoncello.
Mit dem 1959/60 geschriebenen Werk nahm Zimmermann kompositorische
Erfindungen vorweg, von denen die Neue Musik noch zwei Jahrzehnte
zehrte. Siegfried Palm hat das ihm dedizierte Werk im Laufe der
Zeit weit über zweihundertmal gespielt, und was damals als
äußerst schwierig galt, das wird von der heutigen Musikergeneration
oft als Pflichtstück verlangt und, wie es sich für den
Fortschritt ziemt, entsprechend souverän gemeistert. Das große
Vorbild Siegfried Palm spornt unverändert an. Kurz vor seinem
Tod ist noch ein Buch von und mit Siegfried Palm im ConBrio Verlag,
Regensburg, erschienen (Rezension, Seite 45). Der Titel „Capriccio
für Siegfried Palm“ klingt fast altmodisch locker, so
irgendwie nach Paganini. Es ist ein Gesprächsporträt entstanden,
von Michael Schmidt arrangiert, das „Siggi“ Palm von
einer weiteren Seite zeigt: als lockeren Plauderer und Geschichtenerzähler
aus jungen und älteren Tagen. Der erste Lebensabschnitt verlief
dabei eher „normal“: Jugendzeit in Wuppertal, wo der
Vater Cellist im Wuppertaler Opernorchester und zugleich Palms erster
Lehrer war. Manchmal durfte der junge Palm als Aushilfe sogar im
Orchester mitspielen. Mit sechzehn erhielt er seinen ersten Vertrag.
Palms Opernbegeisterung stammt aus diesen frühen Tagen, sie
verleitete ihn später zum bekannten Berliner Intendanten-Abenteuer
an der Deutschen Oper, bei dem er immerhin Kagels „Aus Deutschland“
durchsetzte. Entscheidend für Siegfried Palms Lebensweg wurde
nach dem Krieg die lange Mitgliedschaft als Solocellist im Sinfonieorchester
des Norddeutschen Rundfunks unter Hans Schmidt-Isserstedt. Der Konzertmeister
des NDR-Sinfonieorchesters Bernhard Hamann nahm Palm in sein Streichquartett
auf. In dieser Hamburger Zeit entstanden bei Palm das Interesse
und die Begeisterung für die Neue Musik.
Von diesen Zeiten schwärmen auch ältere Musica-Nova-Freunde
heute noch. Palm fielen zuletzt dazu nur noch eher melancholische
Kommentare ein, wenn er auf die musikalische Gegenwart gerade in
dieser Stadt blickte. Im übrigen war der am 25. April 1927
in Barmen geborene Siegfried Palm bis zuletzt, ehe ihn gesundheitliche
Schwierigkeiten bedrängten, ein vitaler Aktivist und ein bei
aller Skepsis humorvoller Optimist. Für die Belange der Musik
setzte er sich nicht nur als Cellospieler ein, er war zugleich eine
wichtige Persönlichkeit des musikpolitischen Lebens in der
Bundesrepublik: als Leiter der Musikhochschule Köln, als Präsident
verschiedener großer Musikverbände, darunter der Internationalen
Gesellschaft der Neuen Musik IGNM, als langjähriger Präsident
des Deutsch-Französischen Kulturrates, zu dessen Ehrenpräsident
er nach seiner aktiven Zeit ernannt wurde. Siegfried Palm hat sich
über seine solistische Karriere hinaus stets für die gesellschaftlichen
Belange der Musik verantwortlich gefühlt. Dazu gehörte
auch der unermüdliche Einsatz für die jungen Musiker.
Ihnen hat Siegfried Palm bis zuletzt auf internationalen Kursen
sein reiches Wissen und seine Erfahrungen weitergegeben. Wer mit
seinen Schülern über ihren Lehrer spricht, vernimmt nur
Worte der Hochachtung, Zuneigung und Bewunderung. Einer dieser Palm-Schüler
übrigens heißt Georg Faust und brachte es bis zum Ersten
Solocellisten bei den Berliner Philharmonikern.
Siegfried Palm starb im Alter von achtundsiebzig Jahren in seinem
Haus in Frechen. Nehmt alles in allem, so würde es Shakespeare
am Ende gesagt haben, Siegfried Palm war ein großer Künstler
und ein großer Mensch.