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nmz-archiv
nmz 2005/07 | Seite 4
54. Jahrgang | Jul./Aug.
Magazin - Weblogs
Ein Blick in die musikalische Blogosphäre
Streng subjektiv unter die Lupe genommen: Weblogs
Sie haben bisweilen kuriose Namen wie Mehrzweckbeutel, Sperrsitz,
Vorspeisenplatte oder Kopfhoch-Studio. Sie sind seit einiger Zeit
sogar durch Fernsehsendungen ins Gerede gekommen: die Weblogs und
die so genannte Blogosphäre. Aktivitäten im Netz und einer
nicht genau bestimmbaren Netzkultur, die sich weit entfernt hat
von der Klicki-Bunti-Welt der „privaten Homepages“ vom
Ende des letzten Jahrhunderts. Sie machten dem Klingeltondienst
„Jamba“ das Leben schwer als ein Weblog die Praxis der
Kundenakquise aufs Korn genommen hat. Weblogs dienen in Ländern
wie dem Iran als Nachrichten- und Informationsdienst, wo die offiziellen
Medien entweder unfähig oder politisch gegängelt sind.
In anderen Ländern wie China benötigt man daher selbst
für diese Informtionskanäle eine Genehmigung. Hier in
Deutschland freilich darf man alles, was man auch im normalen Leben
darf. Jetzt, unter den Bedingungen eines voraussichtlichen Wahlkampfes
mehren sich auch Weblogs von Politikern. In den USA betreiben auch
angesehene Wissenschaftler wie Lawrence Lessig und Noam Chomsky
beispielsweise derartige Weblogs.
Technisch gesehen sind Weblogs allerdings nichts Neues. Während
vor einigen Jahren der Aufbau und die Wartung von so genannten Content-Management-Systemen
(CMS) sehr teuer war, gibt es heute zahlreiche Möglichkeiten
im Kleinen wie im Großen derartige Systeme zu entwickeln und
zu nutzen. Das Ziel solcher Systeme ist es, Form und Inhalt von
Internetseiten zu trennen. Es war noch nie so einfach, kontinuierlich
im Internet zu publizieren. Wer noch kein Weblog hat, der holt sich
eines bei kommerziellen Anbietern wie two day.net, blogg.de, 20six.de,
antville.de, blogger.com. Diese stellen komplette Softwaresysteme
bereit und sind je nach Nutzungsweise kostenlos oder kostenpflichtig.
Daneben gibt es Software-Lösungen – in der Regel basierend
auf Programmiersprachen wie PHP, Perl, Python oder ASP –,
die man selbst installieren kann, wenn man über eigene Internetpräsenzen
verfügt (Dazu gehören zum Beispiel: Nucleus, Greymatter,
Movabletype, Sunlog, Wordpress, Pivot. Einen Überblick darüber
findet man im Bloghaus: http://www.bloghaus.net/eguide.php?cat=7.).
Wer einen Netzanschluss hat, kann loslegen. Und das machen in Deutschland
offenbar viele. Über 50.000 halbwegs aktive Weblogs zählte
im April der Webloganbieter blogg.de.
Inhaltlich gibt es bei Weblogs keinerlei Vorgaben, da sie vom
Prinzip her nur ein Werkzeug zur einfachen Herstellung und Veröffentlichung
von Texten (oder Fotos, oder Musik, oder andern Medien) im Internet
sind. Manche Musikjournalisten nutzen diese Veröffentlichungsform
auch als Ergänzung ihrer Arbeit bei alten Medien, wie der Stuttgarter
Journalist Jürgen Hartmann: „der kulturchronist –
weblog oper konzert kultur medien“ (http://www.20six.de/kulturchronist).
Eberhard Klemm, ein Dirigent, nutzt sein Weblog zur Verbreitung
von musikalischen und außermusikalischen Themen und Fragen
(http://www.20six.de/klemmdirigiert).
Weblogger „Mehr Licht“
mit einer Analyse des Amselgesangs. Foto: Mehr Licht
Anderes Beispiel: „Mehr Licht“ (http://www.20six.de/mehrLicht),
ein Komponist und Journalist, der über Veranstaltungen in Dresden
wie eine Aufführung von Schostakowitschs 9. Symphonie, Hiphop-Berichte
im Fernsehen oder Amselgesänge zu schreiben weiß. Zwischendrin
dann kürzere oder längere Passagen zum Leben und der Politik
im Allgemeinen und Besonderen. Aus dem eher privaten Bereich kommen
Aktivitäten wie die von „Sperrsitz - Oper, Konzert, Musik.
Kritiken und sonstige Anmerkungen“ (http://www.20six.de/no_namia).
Das bewegt sich nicht unter dem Niveau sonstiger Kulturberichterstattung,
eher darüber. In Leipzig, der Osten vorn, berichten die Autoren
des „Leipzig-Almanachs“ (http://www.leipzig-almanach.de/index.html)
von Musik über Bühne bis zum Film über Kultur, im
hauseigenen Forum wird eifrig diskutiert.
Weblogs können sich aber auch wie ein Informationsdienst verstehen
und fachlich streng eingegrenzt sein wie Janko Röttgers „Mix,
Burn & R.I.P.“-Weblog (http://www.mixburnrip.de/index.php).
Gleichzeitig dient dieses Weblog übrigens auch der stetigen
Aktualisierung der gleichnamigen Publikation des Autors; das Weblog
als verlängerter Arm einer statischen Publikation im Printbereich.
Eine geschickte Idee, alte und neue Medien sich ergänzen zu
lassen. Mit Hilfe von Weblogs lassen sich aber auch umfangreiche
musikjornalistische Projekte verwirklichen. „Phlow“
(http://www.phlow.net/)
nennt sich ein Magazin für Musik und Netzkultur, das die einfache
Handhabung und Stuktur eines Weblogs nutzt. Hier dreht es sich im
Wesentlichen um die Welt der Netlabels, es geht also über Musik,
die fast ausschließlich über das Internet vertrieben
wird. Der besondere Reiz der Weblogs ist, dass durch sie zahlreiche
und schnelle Interaktionsformen zwischen Autoren und Lesern möglich
werden. Es gibt sozusagen Weblogs, die untereinander kommunizieren,
die sich gegenseitig aufeinander beziehen. Kommentarfunktionen sind
in der Regel fakultativ, werden aber gerne eingesetzt und genutzt.
Eine netzwerkartige Kommuniaktionsstruktur wäre damit möglich.
Von Anfang an wurde bei der Entwicklung in dieser Sphäre
immer wieder die Parallele zum Journalismus gesucht und untersucht.
Lösen Weblogs den „offiziellen“ Journalismus aus
der Welt der Print-, Funk- und Fernsehmedien ab? Treten sie in Konkurrenz?
Die Frage ist nicht beantwortbar und vermutlich auch töricht.
Weblogs leben in der Regel von der individuellen und subjektiven
Sicht ihrer Autoren oder Autorenteams. Da wird schnell ein Anschluss
an offizielle Töne, selbst „unabhängiger, überparteilicher“
Printorgane oder ihrer Ableger im Internet als parteilich und abhängig
wahrgenommen. Daniel Fiene schrieb in der Netzzeitung „Die
Gegenwart“: „Weblogs haben viele Vorteile. Ihre Aktualität
veranlasst Leser regelmäßig vorbeizuschauen. Außerdem
schätzen die Leser das menschliche Urteil. Während Google,
Yahoo, MSN und demnächst auch die „Netzeitung“
automatisch sortierte und generierte Nachrichtenseiten anbieten,
bürgen Weblogs für die subjektive Auswahl durch den Menschen.“
(http://www.diegegenwart.de/ausgabe40/klaerung.htm).
Damit sind Weblogs für gewöhnlich kein Tummelplatz für
akkurate, aber dröge Pressemitteilungen.
Mittlerweile werden aber auch Weblogs immer häufiger als
Marketingmittel eingesetzt. Letztes Jahr lancierte die amerikanische
Plattenfirma „Warner Music“ eine Musikdatei zur Besprechung
in sogenannten MP3-Weblogs. Gleichzeitig schienen Mitarbeiter von
Warner in diesen Weblogs dieses Stück Musik positiv zu besprechen.
Zum weiteren Hintergrund: „Tonspion“ (http://www.tonspion.de/newsartikel.php?id=839).
Weblogs sind in der Regel jedoch keine Orte zum Geld verdienen,
gleichwohl sind sie nicht immer deswegen zwingend nur Hobbies. Und
die alten Medien, die Zeitschriften und Zeitungen? Sie springen
nach und nach mit auf den Zug und bedienen sich des Mediums Weblog
immer stärker, wenngleich nicht immer erfolgreich. So betreiben
die „ZEIT“, das „Handelsblatt“ und der „Focus“
eigene Weblogs mit ihren Mitarbeitern oder für Prominente.
Kennen Sie interessante Weblogs mit musikalischen Themenschwerpunkten?
Mailen Sie bitte die Adresse und ein paar Informationen dazu an
hufner@nmz.de.