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nmz-archiv
nmz 2005/07 | Seite 44
54. Jahrgang | Jul./Aug.
Rezensionen
Lichtgestalten in der Düsternis
Unitel-Schätze bei der Deutschen Grammophon und andere Neuveröffentlichungen
„Carmen“-Ouvertüre im dunklen Orchestergraben:
Die Kamera nimmt den Dirigenten ins Visier, die Pultlampen tauchen
ihn von unten in hellen Glanz – eine Lichtgestalt wird suggeriert,
die den Klang aus diesem umgekehrten Heiligenschein heraufbefördert.
Kaum anzunehmen, dass diese Einstellung zufällig entstand.
Eher darf man vermuten, dass Karajan damit den Beginn einer neuen
Ära in der fernsehtauglichen Klassik-Vermarktung sehr bewusst
auf seine Person fokussierte, gab er doch in dieser frühen
Opernproduktion der 1966 von Leo Kirch gegründeten Unitel nicht
nur den Ton an, sondern führte auch Regie.
Dass er dabei keine so virtuose Hand hatte wie bei der Selbstinszenierung,
ist dieser, nun mit anderen Unitel-Schätzen bei der Deutschen
Grammophon erschienenen „Carmen“ anzumerken, die –
bis ins Dirigat stets fremdenverkehrstauglich – eher einer
Karikatur ihrer selbst gleicht. Schließt man die Augen und
lauscht dem Gesang Grace Bumbrys, Mirella Frenis, vor allem aber
Jon Vickers’ in jeder Phase glaubhaft-brüchigem Don José,
ersteht aber doch ein Stück Musiktheater, vor dem inneren Auge.
Dieser großartige Tenor, der als echter Vokalinterpret auf
selbstherrliches Gebrüll verzichten kann, ist auch das Ereignis
in des Maestros ebenfalls ziemlich trostlos-pompöser „Otello“-Verfilmung.
Die von der Micaëla zur Desdemona gereifte Mirella Freni, der
eindimensionale, aber rollendeckende Jago Peter Glossops und José
van Dam als Luxusbesetzung für den Lodovico sind als Partner
auf Augenhöhe. Mit mehr visueller Einbildungskraft nahm Jean-Pierre
Ponnelle die neue Herausforderung an, wagte im „Figaro“
gar, die Rezitative nicht im sonst üblichen (und nie wirklich
befriedigenden) Playback, sondern live im Filmstudio aufzunehmen.
Hermann Prey offenbart hier einige Schwächen, auch mit Fischer-Dieskaus
besser gespieltem als gesungenem Almaviva freundet man sich nicht
so recht an (von Böhms altväterlichem Dirigat ganz zu
schweigen), dafür umso mehr mit Maria Ewings Cherubino und
der Susanna Mirella Frenis, die einmal mehr die Vielfalt ihrer stimmlichen
und stilistischen Möglichkeiten unter Beweis stellt. Die Cio-Cio-San
ist allerdings keine ihrer stärksten Partien, auch trübt
Ponnelles Kitsch-nahes Pathos den Eindruck seiner „Butterfly“-Version,
den Placido Domingo als Kaugummi kauender Yankee und Christa Ludwig
als Suzuki zumindest vokal machen. Im Rossini’schen Barbier
schließlich geht Ponnelles Einfallsreichtum, seine Genauigkeit
in der Personenführung eine glückliche Verbindung mit
der durchweg erstklassigen Besetzung und Abbados inspiriert- akribischem
Dirigat ein.
Das Glanzstück dieser insgesamt neun Opern umfassenden ersten
Staffel an Neuveröffentlichungen ist aber zweifelsohne Harry
Kupfers maßstabsetzende „Holländer“-Inszenierung
aus Bayreuth, die – wie die anderen Titel in guter, wenn auch
nicht überragender Bild- und Tonqualität – nun wieder
zur Besichtigung frei gegeben ist. Sein ganz auf Sentas Innenwelt
fokussiertes Konzept ist nach wie vor von bestechender Konsequenz
und Eindringlichkeit, das Sängerteam lässt sich von der
szenischen Intensität spürbar anstecken.
Ein weiterer Meilenstein in Kupfers Musiktheaterverständnis,
Glucks „Orfeo“, ist in der Londoner Übernahme der
berühmt gewordenen Berliner Produktion bei Arthaus zu erleben.
Als wenig fernsehkompatibel erweist sich allerdings die düstere
Beleuchtung, was Jochen Kowalski in seiner Paraderolle erst recht
zur Lichtgestalt werden lässt, aus eigener Kraft.
Was im veritablen Opernfilm aktuell möglich ist, stellen zwei
Produktionen faszinierend unter Beweis, die unterschiedlicher freilich
kaum sein könnten. Entgeht Christian Chaudet in seiner optisch
überwältigenden (und von der großen Natalie Dessay
schlicht atemberaubend gesungenen) „Rossignol“-Bebilderung
nicht immer der Gefahr, die Musik hinter der Brillanz von Computeranimationen
verschwinden zu lassen, so genügen Katie Mitchell in „The
Turn of the Screw“ sparsame Mittel, um mit Brittens vielleicht
stärkster Oper ein Maximum an Beklemmung zu erzeugen. Die erstklassige
musikalische Umsetzung, die nie zum Soundtrack verkommt, tut ein
Übriges, diese BBC-Produktion zu einer exemplarischen zu machen.
Juan Martin Koch
Erschienen bei DG/Universal:
Verdi: Otello (Karajan); Vickers, Freni, Glossop; Berliner Philh.,
Karajan
Bizet: Carmen (Karajan); Bumbry, Vickers, Freni, Diaz; Wiener
Philh., Karajan
Mozart: Le nozze di Figaro (Ponnelle); Prey, Freni, Fischer-Dieskau,
Te Kanawa; Wiener Philh., Böhm (2 DVDs)
Rossini: Il Barbiere di Siviglia (Ponnelle); Prey, Berganza, Alva;
Scala Orch., Abbado
Puccini: Madama Butterfly (Ponnelle); Freni, Domingo, Ludwig;
Wiener Philh., Karajan
Wagner: Der Fliegende Holländer (Kupfer); Estes, Balslev,
Salminen; Orch. Bayreuther Festspiele, Nelsson
Andere Labels:
Gluck: Orfeo ed Euridice (Kupfer); Kowalski; Covent Garden Orch.,
Haenchen; Arthaus
Strawinsky: Le Rossignol (Chaudet); Dessay, McLaughlin, Schagidullin;
Orch. Opéra National de Paris, Conlon; Virgin
Britten: The Turn of the Screw (Mitchell); Padmore, Milne, Montague;
City of London Sinfonia, Hickox; BBC Opus Arte (Naxos)