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nmz-archiv
nmz 2005/07 | Seite 25
54. Jahrgang | Jul./Aug.
Verbandspolitik
Kampf um die Stellung als dritte Säule
Das nmz-Interview mit Stefan Meuschel, Geschäftsführer
der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer
Terminabsprachen mit ihm sind nicht ganz einfach. Meistens ist
er auf Achse: unterwegs zu politischen Gesprächen in Bonn oder
Berlin, zu Tarifverhandlungen, zu Theaterhäusern in ganz Deutschland
oder zur Redaktionssitzung von „Oper & Tanz“ in
Regensburg. Den Lesern dieser Zeitschrift ist Stefan Meuschel in
erster Linie als Geschäftsführer der VdO bekannt; das
ist zwar vermutlich das wichtigste, nicht aber das einzige Amt,
das den rührigen Kulturpolitiker umtreibt. Daneben ist er Vorsitzender
des Verwaltungsrates der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, geschäftsführender
Vorstand des Bundesverbandes Regie, Mitglied des Beirates der Künstlersozialkasse
und – für die FDP – des Bezirksausschusses Schwabing/Freimann;
eine sicher nicht vollständige Auflistung seiner Ämter,
die er mit Inhalt und Leben erfüllt.
Arbeitete mit Beckett, Frisch
und Zuckmayr: Stefan Meuschel. Foto: Archiv
neue musikzeitung: Die VdO ist Berufsverband der
Opernchorsänger und Bühnentänzer, und sie ist auch
Gewerkschaft, das heißt, sie ist tariffähig. Welche Position
können Sie in der heutigen Zeit gegenüber dem Verhandlungspartner,
dem Deutschen Bühnenverein angesichts allgemeinen Stellenabbaus
und Stellenunsicherheit einnehmen? Stefan Meuschel: Die Vereinigung deutscher Opernchöre
und Bühnentänzer (VdO) und der Deutsche Bühnenverein
(DBV) sind gleichermaßen ihrem Satzungsauftrag verpflichtet,
„die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder
zu vertreten“ und „das deutsche Theater zu erhalten,
zu festigen und fortzuentwickeln“. Es ist ja auch nicht der
Bühnenverein, der die Verantwortung für die zum Teil schon
existenzbedrohenden Kürzungen der Betriebszuschüsse für
kulturelle Einrichtungen und Bildungsinstitute trägt, sondern
der jeweilige Rechtsträger, der wiederum den Zwängen seiner
leeren Kassen und seiner Verschuldungen ausgesetzt ist. Insoweit
spiegelt die finanziell desolate Lage, in die immer mehr Theater
geraten, die allgemeine wirtschaftliche und soziale Situation der
Bundesrepublik und deren verfehlte Fiskalpolitik wider.
Bundesgenossen
VdO und DBV sind daher gezwungenermaßen Bundesgenossen,
die sich gemeinsam mit den vom Subventionsklau betroffenen Bühnen
bemühen, als sozial- und tarifpolitischer Reparaturbetrieb
Überlebensstrategien zu entwickeln: Haustarifvertraglich geregelter
solidarischer Gehaltsverzicht aller am betreffenden Theater Beschäftigten
(bis zu 16 Prozent Verzicht wurden schon vereinbart) soll die Arbeitsplätze
und den künstlerischen Betrieb sichern, soll Sparten –
gar Theaterschließungen verhindern. Mit nicht weniger als
31 der 84 deutschen Musiktheater inklusive der Mehrspartenhäuser
hat die VdO (zusammen mit den anderen Künstlergewerkschaften)
Haustarifverträge abgeschlossen beziehungsweise entsprechende
Verhandlungen aufgenommen. Und dennoch: Rund 6.300 Arbeitsplätze
gingen mit 1993 verloren, 15 Prozent der einstmals 42.000. Und selbst
ein bedeutendes Opernhaus wie das in Frankfurt an der Oder wurde
abgewickelt.
nmz: Was kann die VdO, was können die Ensembles
von sich aus tun, um Krisensituationen wie Finanzkürzungen,
Stellenstreichungen und Fusionen zu begegnen? Meuschel: Die Ensembles tun von sich aus schon
viel, wenn sie mit persönlichem Gehaltsverzicht auf die Krisensituationen
reagieren, wenn sie zum Erhalt ihrer Bühne beitragen. Doch
neben Haustarifverträgen und betrieblichen Vereinbarungen bedarf
es politischer Aufklärungs- und Lobbyarbeit auf allen Ebenen:
Die ekelerregende Frage, ob denn die Finanzierung einer Kindertagesstätte
oder eines Seniorenheims nicht wichtiger sei als die eines Theaters,
darf nur dahingehend beantwortet werden, dass beides gleich wichtig
ist. Eine Gesellschaft, die musische und ästhetische Bildung
vernachlässigt, wie die deutsche es tut, gibt sich selber auf
und landet im PISA-Ranking dort, wo sie hingehört.
Zukunftsinvestitionen
Der Hinweis, dass Aufwendungen der öffentlichen Hand für
Bildung und Kultur keine Subventionen, sondern Zukunftsinvestitionen
sind, muss in die Köpfe der politisch Verantwortlichen hineingehämmert
werden. Übergroß waren diese Aufwendungen für das
immer noch weltweit als vorbildlich angesehene deutsche Theater
ohnehin noch nie: Ziemlich konstant entfallen seit 1952 rund 0,4
Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf den Kultursektor; gerade mal
2,1 Milliarden Euro gibt die öffentliche Hand pro Jahr für
die staatlichen und städtischen Bühnen aus. Allerdings
handelt es sich hierbei, Kulturstaatlichkeit hin, Kulturförderungsauftrag
in der Verfassung her, um der Beliebigkeit ausgesetzte freiwillige
Leistungen der Gebietskörperschaften.
Die Ensembles müssen also noch mehr tun: Sie müssen,
gerade an kleinen und mittleren Häusern, dem schleichenden
Personalabbau durch Steigerung ihres Einsatzes und ihrer künstlerischen
Leistung begegnen. Die 44 Sängerinnen und Sänger im Chor
eines renommierten sächsischen Opernhauses dürfen das
Publikum nicht hören lassen, dass sie vor kurzem noch 54 waren.
nmz: Die VdO hat für ihre Verbandsvertreter
erstmals im Oktober 2004 eine Bundesversammlung durchgeführt,
die unter dem Motto „Schaut her, wir sind’s!“
in Halle stattfand. Im Vorfeld wurde unter anderem vom Opernchor
als „fünftes Rad am Wagen“ gesprochen. Wie kommt
es zu dieser Positionierung des Chores – im Haus und auch
in der Öffentlichkeit? Wie können Chöre dem begegnen,
was ist zu tun? Meuschel: Manche Opernchöre müssen tatsächlich
immer wieder darum kämpfen, ihre Stellung als „dritte
Säule“ des Operntheaters neben Solisten und Orchester
zu behaupten. Die Gründe dafür sind so vielfältig,
dass sie hier nur angedeutet werden können. Teils sind sie
in der Theatergeschichte zu finden und bei Goethe und Wagner nachzulesen
(„arme Gesellen“), teils liegt es an der Position der
Chordirektoren und ihrer anonymen „Klangkörper“
in der immer noch merkwürdig gestelzten Theaterhierarchie.
Außerdem haben sich die Sängerinnen und Sänger im
Opernchor erst sehr spät als Berufsstand emanzipiert. Jetzt
sind Selbstbewusstsein und Eigeninitiative gefragt – und auf
den Aufstand der jüngeren Chorleiter und Chorvorstände
darf gehofft werden.
nmz: Wichtiges Thema für die VdO-Mitglieder
sind Fragen der Mitbestimmung innerhalb des Theaters. Wie sind hier
die tarifvertraglich festgelegten Möglichkeiten? Welche Modelle
können Sie sich vorstellen? Meuschel: Der Begriff „Mitbestimmung“
ist im Theater durch die tollpatschigen, schlimmer noch: gutgemeinten
Experimente in den 70er-, 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts so
diskreditiert, dass besser vom kommunikativen Miteinander im Theater
die Rede sein sollte. Bei der erwähnten Bundesversammlung der
VdO in Halle wurde leitmotivisch immer wieder die Frage gestellt:
Wie kommt es, dass in einer Kultur-Kommunikationseinrichtung die
interne Kommunikation meist so schlecht funktioniert? Die von der
VdO auch angestrebte Stärkung der – in der Tat schwach
ausgestatteten – tarifvertraglichen Beteiligungsrechte der
Ensemblevorstände ist für die Behebung dieses Missstandes
aber nicht das wichtigste Instrument. Weniger die Paragraphen als
vielmehr die mentale Haltung der Theaterleitungen muss sich ändern.
nmz: Stichwort: Sänger- und speziell die
Chorsänger-Ausbildung. Es gibt wenig spezielle Chorklassen
an den Hochschulen, die Sänger fühlen sich auf das sehr
breite Anforderungsspektrum ihres Berufes schlecht vorbereitet.
Was muss sich hier ändern? Was kann die VdO in diesem Zusammenhang
leisten? Meuschel: Das Millionengrab der am Universitätsbetrieb
orientierten Gesangsausbildungseinrichtungen muss zugeschaufelt
werden. Nicht Reform, sondern Neubeginn ist angesagt. Das Lehren
und Lernen von Singen und Darstellen an praxisorientierten, mit
der Bühnenpraxis verzahnten Gesangsakademien für Opernsänger,
die Solo und Chor gleichermaßen beherrschen, muss das Ziel
sein. Rund 60 Prozent aller an den deutschen Musiktheatern beschäftigten
Sängerinnen und Sänger sind nicht-deutschsprachiger Herkunft;
ob es da nicht kostengünstiger ist – um die ebenso polemische
wie abgegriffene Scherzfrage zu wiederholen –, die Gesangsabteilungen
der deutschen Musikhochschulen gleich in den Fernen Osten zu verlagern?
Nur Dresden und Stuttgart könnten bleiben.
nmz: Wagen Sie einen Ausblick auf das Jahr 2010?
Wie wird die Situation der Musiktheater, wie die der Chöre
und Ballettcompagnien aussehen? Meuschel: Wenn nicht unerwarteter Weise ein auf
die Haushalte von Ländern und Kommunen durchschlagendes Wirtschaftswunder
ausbricht, wird sich innerhalb dieser wenigen Jahre wenig ändern.
Selbst ein Bewusstseinswandel hinsichtlich des Stellenwerts der
so gern verunglimpften bürgerlichen Kultur wird nicht verhindern
können, dass der Trend der letzten zehn Jahre sich zunächst
fortsetzt. Für die jetzt schon armen Theater wird der Überlebenskampf
mit dem Resultat einschneidender Strukturveränderungen beginnen,
die großstädtischen Bühnen werden trotz weiterer
Sparauflagen zu überwintern wissen.