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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 5
54. Jahrgang | September
www.beckmesser.de
Kälbermarsch
„Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger
selber“, wetterte Edmund Stoiber neulich in einer Wahlkampfrede
und meinte die ostdeutschen Wähler, die seiner Meinung nach
der Linkspartei auf dem Leim kriechen. Etwas Schöneres kann
in der Sauregurkenzeit und dazu noch im Wahlkampf nicht passieren.
Es war tagelang das große Thema in den Medien. Scharen von
Politikern aller Sorten beklagten scheinheilig diese ungeheure Beleidigung
der Menschen in Ostdeutschland, staatstragende Empörung wurde
gemimt und die moralischen Saubermänner riefen nach dem in
solchen Fällen üblichen Entschuldigungsritual. Es war,
als ob eine riesige bayerische Weißwurst über Deutschland
geplatzt wäre und sich alle die Spritzer von der Backe wischen
müssten. Einzig der Bundeskanzler fühlte sich bei der
ganzen Geschichte sauwohl, obwohl er ja eigentlich Currywurst lieber
mag.
Erstaunlich am ganzen Theater ist nicht die inszenierte Aufregung,
die höchstens von denen ernst genommen wird, auf die der Spruch
zutrifft. Erstaunlich ist, dass alle so tun, als ob er bisher nicht
existiert hätte und es sich dabei um die persönliche Fantasie
eines Politikers handle, die nur durch einen Ausrutscher in die
Öffentlichkeit gelangt wäre. Sozusagen als ultrapeinliche
Fehlleistung, durch die sich das notorische bayuwarische Querulantentum
ein für alle Mal als unanständig entlarvt hat. Man wusste
ja schon immer, dass in diesen Bierzelten die nackte Unkultur herrscht!
Doch diese triumphierende Entrüstung gehört zur allgemeinen
Schmierenkomödie.
In Wahrheit ist der Ausspruch, und zwar in der verschärften
Formulierung als „allerdümmste Kälber“, Teil
einer handfesten, genuin deutschen Tradition der politischen Auseinandersetzung.
Er hat seine Wurzeln in der Weimarer Zeit, wenn nicht noch früher.
Brecht hat ihn, wenn auch vermutlich nicht erfunden, so doch öffentlichkeitswirksam
benutzt, John Heartfield machte dazu eine satirische Fotomontage,
in der ein Nazi-Metzger in Erwartung der Wähler genüsslich
sein Messer wetzt. Hanns Eisler komponierte für Brechts Schauspiel
„Schweyk im zweiten Weltkrieg“ den Kälbermarsch
als Parodie auf das Horst-Wessel-Lied: „Der Metzger ruft.
Die Augen fest geschlossen, das Kalb marschiert mit ruhig festem
Tritt. Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen,
sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit.“
Soweit die Geschichte. Das blutrünstige Bild ist inzwischen
zur Moritat verblasst und in den allgemeinen Volksmund eingesickert.
Gibt man bei Google den Suchbegriff „allerdümmste Kälber“
ein, gehen die Treffer in die Hunderte. Der Blick auf eine echte
Volkskultur tut sich auf. Mit dem Zitat schmücken sich Redner
und Schreiber jeder Couleur: Politiker, Publizisten, Psychologen,
Anarchisten, Kiffer, Nicht-wähler, Linke, Rechte, Neoliberale,
Arbeitslose und unzählige Blogger. Es geht gegen Kommunisten,
Kapitalisten, Toscanalinke und Reaktionäre, Juden und Muslims,
gegen Brüssel, Bush und Westerwelle. Der Schönhuber Franz
wettert damit gegen die Osterweiterung, die Kommunistische Plattform
gegen die Volksvertreter, Reinhard Bütikofer gegen einen politisch
nicht gefügigen Betriebsrat, und ein Bauernvertreter im Zürcher
Kantonsrat schließt seine Rede mit den Worten: „Ich
persönlich halte es mit dem Sprichwort ,Nur die allerdümmsten
Kälber wählen ihre Metzger selber’. Folgen Sie deshalb
dem Antrag des Regierungsrates und lehnen Sie diese Initiative ab.
Ich danke Ihnen.“
Ein untrügliches Zeichen, dass der Ausspruch zur Folklore
geworden ist, ist die zunehmende Unklarheit über seine Urheberschaft.
Als Autor gilt neben Brecht auch Wilhelm Busch, für Heribert
Prantl von der SZ ist es ein Frankfurter Sponti-Spruch, und viele
sehen in ihm einfach eine „alte Volksweisheit“. Inzwischen
gibt es auch Varianten wie „Nur die allergrößten
Kälber brau’n ihr Bier nicht selber“ nebst Übersetzungen
ins Französische und Englische: „Les veaux les plus bêtes
choisissent eux-mêmes leurs bouchers“ und „The
most stupid of all cows choose their own butcher.“ Das klingt
ja auch ganz hübsch, doch fehlen hier der Reim und der leiernde
Rhythmus, zwei Eigenschaften, die sich gut für politische Slogans
eignen.
Die Vox populi lässt sich einiges einfallen bei der Verwendung
blumiger Sprüche. Aus dem sprachlichen Humus, der so entsteht,
zieht mancher professionelle Wortproduzent seinen Nutzen. Doch wehe,
wenn heute ein Politiker, und dazu noch in Wahlkampfzeiten, dem
Volk aufs Maul schaut und sich einige derbere Sätze ausleiht!
Man drischt politisch korrekt so lange auf ihm herum, bis er einknickt
und wieder in den allgemeinen Säuselchor der Leisetreter einstimmt.
Der Tonfall des politischen Diskurses wird heute von angeheuerten
Kommunikationsberatern und Sprachdesignern bestimmt. Wer sich dem
aalglatten Newspeak dieser neuen Sprachwarte nicht fügt, gilt
in der Medienbranche als „nicht kommunizierbar“. Doch
je cleaner eine Sprache wird, desto inhaltsleerer und langweiliger
wird sie auch. Da wirkt ein Ministerpräsident, der unerschrocken
ins Fettnäpfchen tritt, schon wieder wie ein blendender Rhetoriker.
Eines hat er jedenfalls erreicht: Alle haben ihm zugehört.