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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 47
54. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Von West nach Ost, von Amerika über Europa bis Asien
Das Bebersee Festival etabliert sich als Landeplatz der Kammermusik
Gut versteckt inmitten der Schorfheide, dem riesigen Biosphärenreservat
50 km nordöstlich Berlins, liegt der ehemalige sowjetische
Militärflughafen Groß Dölln. Hier streikt das Navigationssystem.
Ohne die Ausschilderung der Festival-Macher würde man sich
beim Zick-Zack-Kurs über die Militärpiste mit Sicherheit
verirren. Nach einer endlos erscheinenden Fahrt quer durch den märkischen
Kiefernwald eröffnet sich ein überwältigendes Szenario:
eine 90 Meter breite und knapp vier Kilometer lange von Hangars
gesäumte Flugzeug-Landebahn.
Konzertpause:
Außenansicht des Saales. Foto: Bebersee Festival
Die Anlage wurde in den 50ern gebaut, war ein strategisch wichtiger
Stützpunkt der Sowjet-Armee und vermuteter erster Atomwaffenstandort
in Deutschland. Bis 1994 lebten hier 15.000 russische Soldaten und
warteten auf den Einsatz ihrer Kampfjets. Frieden ist eingekehrt,
jedenfalls auf dem Flughafen in der Schorfheide. Heute testen Autohersteller
wie Audi in Zusammenarbeit mit einem Driving-Center hier ihre neuesten
Modelle, das BKA trainiert seine Personenschützer und in der
ersten Augustwoche zur Festspielzeit erklingt in einem für
diesen Zweck umgebauten Hangar klassische Musik.
In nur fünf Jahren hat sich das Bebersee Festival als Kammermusikfest
im reichhaltigen Konzertkalender Brandenburgs fest installiert.
Für anspruchsvolle Musikprogramme bietet der ungewöhnliche
Konzertsaal, akustisch vollwertig und an heißen Sommerabenden
auf natürliche Weise angenehm klimatisiert, beste Voraussetzungen.
Nur die Beleuchtung scheint verbesserungsbedürftig. Grelle
Arbeitslampen pendeln über Musikern und Publikum . Für
Flugzeugmechaniker mögen sie nützlich und notwendig sein.
Bei Konzerten bereiten sie mit der Zeit unnötige Kopfschmerzen.
Als roter Faden im Programm diente dieses Jahr das Motto „Von
West nach Ost“. Den Schwerpunkt auf der musikalischen Reise
von Amerika über Europa nach Asien bildete Japan. 2005 jährte
sich zum 60. Mal die Zerstörung Hiroshimas durch den ersten
Atombombeneinsatz der Menschheitsgeschichte. In Anwesenheit der
Schirmherrin des Festivals, Ministerin Johanna Wanka, wurde in Zusammenarbeit
mit IPPNW-Concerts (Mitglied der Internationalen Ärzte für
die Verhütung des Atomkriegs, Friedensnobelpreisträger
1985) in zwei Veranstaltungen der Opfer von Hiroshima gedacht: Am
6. August, dem Jahrestag der atomaren Katastrophe, in einem Sonderkonzert
mit Werken von Søren Nils Eichberg, Toru Takemitsu und Oliver
Messiaen und am Vorabend mit einem Musikprogramm von Johann Sebastian
Bach, György Kurtág und Charlotte Seither, das durch
eine Lesung erweitert wurde. Der Schauspieler Ulrich Matthes sprach
ausgewählte Texte und Zitate von Albert Einstein, Ernest Rutherford,
Pierre Curie, William Lawrence, Edward Teller, Franklin D. Roosevelt,
Robert Jungk und anderen.
Wie in den Vorjahren ist es dem künstlerischen Leiter, dem
Pianisten Markus Groh, erstmalig unterstützt durch die künstlerische
Beratung des Cellisten Claudio Bohórquez, gelungen, eine
internationale Besetzung junger Musiker und Musikerinnen für
ein ebenso internationales Programm zu gewinnen. Zu hören waren
Werke von Leonard Bernstein, Samuel Barber, Mark-Anthony Turnage,
Maurice Ravel, Ernst Bloch, Dimitri Schostakowitsch, Xiaoyong Chen,
Tora Takemitsu und vielen andern. Hohes künstlerisches Niveau,
Spielfreude und musikalisches Engagement ließen die Konzerte
zum Hörgenuss werden. Ein begeistertes Publikum dankte es den
Künstlern mit lang anhaltendem Applaus. Einerseits ist dem
bemerkenswerten Festival eine noch viel größere Zuhörerschaft
zu gönnen, andererseits – die Plätze im Hangar sind
begrenzt – würde das ein Verlassen der einmaligen Spielstätte
bedeuten. Das wäre wiederum überaus schade. Noch können
sich Künstler und Publikum im Anschluss an die Konzerte im
nahe gelegenen Hotel Groß Dölln, der provisorischen Festivalzentrale,
treffen, unterhalten und ein oder mehrere Gläser auf den Erfolg
leeren. Mit einem größeren Auditorium wäre das wohl
nicht mehr möglich. Ganz egoistisch wünscht sich der Kritiker
also, dass alles so bleibt wie es ist.
Das Bebersee Festival setzt neu interpretiert die Tradition der
abseits der Musikmetropolen von renommierten Musikern gegründeten
Kammermusikfestivals fort und war im letzten Jahr Preisträger
des Brandenburgischen Tourismuspreises für die ,,innovative
Verzahnung von Kultur und Tourismus“. Mit den Beberseer Soiréen
in der Alten Schule des kleinen Künstlerdorfs unterstützt
der Förderverein Beberseer Konzertwochen e.V. in Zusammenarbeit
mit Professoren deutscher Musikhochschulen gezielt begabte Studierende
und junge Preisträger.