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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 47
54. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Zeuge potenziell großer Karrieren
Zum internationalen Klavierwettbewerb im spanischen Santander
Der Atlantik schlägt in türkisfarbenen Wellen an die
iberische Küste. Sonne, leichter Wind, angenehme 27 Grad. Hier
liegt Santander, die idyllische Hafenstadt im grünen Norden
Spaniens. Und genau hier findet er statt, einer der größten
internationalen Klavierwettbewerbe: der „Concurso Internacional
de Piano de Santander – Paloma O’Shea.
Seit fünfzehn Jahren gibt es ihn nun, und wenn auch seine
Bekanntheit vielleicht nicht ganz an die legendären Talentbörsen
in Warschau, Moskau oder Wien heranreicht, so zählt er zweifellos
zu den bedeutendsten und anspruchsvollsten Wettbewerben auf internationaler
Ebene. Alle zwei beziehungsweise drei Jahre kommt in der kleinen
Metropole der großen Kunst eine exquisite Experten-Kommission
zusammen, um den besten unter den besten Nachwuchspianisten zu küren
und seinen Weg in die Zukunft mit Ehre, Ansehen und Geld zu ebnen.
Die zwölfköpfige Jury besteht seit Anbeginn des Wettbewerbs
in nahezu unveränderter Konstellation und versammelt wahre
Heroen des Musiklebens an einem Tisch. Neben bedeutenden Pianisten
wie zum Beispiel dem Ungarn Peter Frankl, dem Italiener Bruno Canino,
und der Russin Eliso Virsaladze, entscheiden auch namhafte Dirgenten
wie der Finne Ralph Gothoni und der Franzose Philippe Entremont
darüber, wer in Santander eine Medaille erringt.
In diesem Jahr sind das der Italiener Alberto Nosé, der
deutsche Pianist Herbert Schuch und die Chinesin Jie Chen. Drei
Ausnahmebegabungen, deren Erfolg in Santander eine wertvolle Starthilfe
auf dem so ungewissen und schwierigen Weg ins Solistenleben sein
kann.
Denn der Paloma O’Shea Wettbewerb zählt mit zu den härtesten
Herausforderungen, denen sich junge Pianisten stellen können,
um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Aus über
200 Bewerbern im Vorfeld, haben sich lediglich 19 für den eigentlichen
Wettbewerb qualifiziert. 19 Kandidaten, die sich das mit so viel
Hoffnungen verbundene Ticket nach Spanien erspielt haben, die Eintrittskarte,
für einen zweiwöchigen Kampf gegen hervorragende Konkurrenten,
gegen Lampenfieber und Erwartungsdruck. In drei großen, nochmals
unterteilten Qualifikationsdurchgängen wird jede Facette ihrer
pianistischen Fähigkeiten ausgeleuchtet. Die erste Phase beinhaltet
den Vortrag frei wählbarer Solowerke der Klassik, Romantik
oder der Moderne. Annähernd eine Stunde Zeit hat der Kandidat,
um die Jury von seiner Darbietung zu überzeugen und mit maximal
elf weiteren Teilnehmern in die nächste Runde gewählt
zu werden. In die Kammermusikrunde. Zusammen mit dem renommierten
Ysaye-Quartett interpretieren die jungen Pianisten eines der fünf
vorgegebenen großen Werke der Literatur, wie zum Beispiel
das Es-Dur-Quintett, op. 44 von Robert Schumann oder das Klavierquintett
op. 34 von Johannes Brahms. Es ist ein Phänomen des Wettbewerbs,
dass die Anspannung und die Freude am gemeinsamen Musizieren sich
die Waage halten. Nicht zuletzt auch ein Verdienst des über
alle Maßen interessierten spanischen Publikums. In den Wochen
dieses kulturellen Wettkampfs auf höchstem Niveau, hält
ganz Santander den Atem an, strömt in den monumentalen Festivalpalast
und begleitet die Kandidaten. Applaudiert, fiebert mit und ist Zeuge
der potentiell großen Karrieren, die hier ihren Anfang nehmen.
Das Medieninteresse an der Hochkultur ist so groß, wie andernorts
an Sport oder Politik.
Dann ist das Semifinale erreicht. Sechs Kandidaten haben es geschafft,
haben sich ein Preisgeld und Anerkennung gesichert und dürfen
nun mit der Sinfonia Varsovia unter der Leitung von Péter
Csaba eines der zur Auswahl stehenden sieben Mozartkonzerte spielen.
Mozart entscheidet über die Endrunde und hat nun Alberto Nosé,
Herbert Schuch und Jie Chen ins Finale getragen. Die letzte große
Herausforderung steht bevor, das Abschlusskonzert mit dem Orquesta
Sinfónica de Madrid unter Jesús López Cobos.
Die letzte Chance, Jury und Publikum für sich zu gewinnen.
Die letzte Möglichkeit noch einmal Einfluss zu nehmen auf das
Ergebnis, das dem Gewinner neben der Goldmedaille und internationalem
Renommee, eine CD-Aufnahme, Konzerte in den bedeutensten Sälen
auf der ganzen Welt, 30.000 Euro und einen Konzertflügel.
Es ist soweit: Vor ausverkauftem Haus treten sie auf. Jie Chen
und Alberto Nosé haben sich beide für das 2. Klavierkonzert
c-moll op.18 von Sergei Rachmaninoff entscheiden, Herbert Schuch
für Beethovens 5. in Es-Dur op. 73.
Sie spielen, sie kämpfen, sie geben alles und Santander hört
zu. Der nächste Abend ist der Abend der Siegerehrung, der Abend
der Entscheidung. Aus den Lautsprechern hallt der Name des 25-jährigen
Italieners. Er hat die Goldmedaille und den Publikumspreis gewonnen.
Alberto Nosé strahlt vor Glück. Bescheiden und erschöpft
nimmt er die Gratulationen und Ehrungen entgegen, die für seine
Zukunft so viel bedeuten können. Die Silbermedaille, 20.000
Euro und ebenfalls eine Reihe wichtiger Konzertverpflichtungen gehen
an den Deutschen, den bereits sehr erfolgreichen Herbert Schuch,
die 19-jährige Jie Chen erhält den mit 10.000 Euro dotierten
dritten Preis.
Es ist vorbei, Santander atmet durch und mit den Wellen des Atlantiks
ebbt auch die Aufregung wieder ab. Der 15. Concurso Internacional
de Piano de Santander 2005 – ein fairer Wettbewerb, ein schöner
Wettbewerb. Ein Kräftemessen hochtalentierter Kandidaten, deren
Niveau, laut Jury, deutlich über dem der Teilnehmer des letzten
Mals lag, wo kein erster Preis vergeben wurde. Dennoch, Medaille
oder nicht, welcher der hoffnungsvollen Nachwuchspianisten sich
tatsächlich etablieren kann, bleibt der Zukunft überlassen.
Der Paloma O’Shea Wettbewerb kann im internationalen Existenzkampf
nicht mehr als eine Starthilfe sein. Geblieben aber ist die Erkenntnis,
dass eine junge Generation von Pianisten heranwächst, deren
Können und Niveau neue Maßstäbe setzt.