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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 46
54. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Lehrszenen aus dem Wilden Westen
Zur Uraufführung von Hans Zenders „Chief Joseph“
an der Berliner Staatsoper
„Diese Show ist ganz schön exzentrisch. Aber mir passen
die Absichten des Entertainers nicht, dem Zuschauer ein schlechtes
Gewissen machen zu wollen.“ Man kann sich des Eindrucks nicht
erwehren, als habe Hans Zender mit diesem, im Libretto englisch
gesungenen Statement eines Touristen den Haupteinwand, den er als
Reaktion auf seine neue Oper schon erwartet haben dürfte, gleich
einkomponiert. Auch der Gegenpart ist natürlich präsent,
jener andere Tourist nämlich, der als Bewunderer das Grab des
Nez-Percé-Häuptlings Chief Joseph besucht, was als Rahmenhandlung
die nicht-lineare Szenenfolge auslöst.
Häuptling
Halbschatten in Zwirn und Federschmuck: Meik Schwalm als
Chief Joseph II. Foto: Ruth Walz
So erleben wir den Aufstieg des „Donners, der über die
Berge rollt“ (so die Übersetzung seines indianischen
Namens) zum Häuptling, werden Zeuge seiner vergeblichen Versuche
zwischen seinem Volk und den Weißen zu vermitteln und eines
letzten Aufbäumens vor der endgültigen Deportation in
die Reservate. Wobei das mit dem Erleben so eine Sache ist. Im Grunde
sind es Argumente, Drohungen und Klagegesänge, die Zender aus
historischen Quellen, zuallererst aus Chief Josephs Rede vor dem
Kongress, zu einem Thesenpapier zusammengestellt hat. Handlungselemente
ergeben sich daraus kaum, auch die Dialogpassagen entbehren jeglicher
Theatralik, schließlich hatte Zender selbst die Unmöglichkeit
einer Kommunikation zwischen den Kulturen zu einem Hauptthema seines
Musiktheaterwerks erklärt. Die nicht eben originelle Aufspaltung
der Titelfigur in mehrere Personen verstärkt den Eindruck,
dass Menschen hier vornehmlich als Träger von Ideen und nicht
als dramatis personae auf der Bühne stehen.
Auf formaler Ebene hat Zender dies freilich souverän umgesetzt.
Die wiederkehrenden Elemente, seien es die Rezitative der Rahmenhandlung,
die ausgedehnteren Verhandlungsszenen, die Klagegesänge oder
indianischen Lieder, korrespondieren jederzeit nachvollziehbar miteinander:
in der Instrumentation, die das 28-köpfige Instrumentalensemble
in wieder erkennbare Mischungen unterteilt und in der Orchestersprache,
die sich von der temperierten Skala bis in zwölfteltönig
differenzierte Bereiche verästelt. Die Abfolge dieser Formbausteine
rhythmisiert den Ablauf auf der Makroebene, gliedert ihn sinnfällig.
Zwingend im musikdramatischen Sinne wird die Musik jedoch nur dort,
wo sie sich einmal nicht hinter den beflissen deklamierten Texten
zurückhält, sondern wirklich Raum greift und das gesungene
Wort um eine Dimension bereichert.
Die totale Verfremdung der Klagegesänge durch das koreanische
(!) Ajeng ist in ihrer Reduktion eine solche Bereicherung, eine
andere liefern die gegen Ende der drei ohne Pause aufeinander folgenden
Akte sich verdichtenden „Rotationen“. Hier montiert
Zender weitere Texte (Goethe, Brecht, Pound und andere) und weitet
sie auf der Basis einer Machaut-Motette zu komplexen Kommentaren.
Auch dank der grandiosen Bewältigung durch die Stuttgarter
Vokalsolisten waren dies Höhepunkte, nach denen die knappen,
rein rhythmisch-geräuschhaften „Leer-Szenen“ nur
um so stärker wirkten, nicht zuletzt weil sie am wenigsten
als „Lehr-Szenen“ fungieren.
Die Inszenierung der nicht eben enthusiastisch aufgenommenen Uraufführung
an der Berliner Staatsoper hatte Intendant Peter Mussbach höchstselbst
übernommen, ohne dass sein Versuch, dem spröden Sujet
durch Überblendung mit geschäftigem Gegenwartstreiben
szenische Relevanz zu verleihen, wirklich erfolgreich gewesen wäre.
Immerhin gelang es ihm, durch eine Verlagerung vor den Eisernen
Vorhang die am Ende zwar eindrücklich, dramaturgisch aber eher
wacklig eingeflochtenen Hiroshima-Bezüge optisch sinnfällig
abzugrenzen. Schade auch, dass der indianisch-amerikanische Künstler
Jimmy Durham auf den als Einheitsbühne fungierenden Gerüstbau
nicht halb soviel Inspiration verwandt hatte wie auf seine ethnisch-augenzwinkernden
Objekte, die so manche Ecke des Opernhauses zierten.
So blieb die Hochachtung vor der ausgezeichneten Ensembleleistung,
aus der allenfalls Meik Schwalm als Chief Joseph II herauszuheben
wäre, und vor der über jeden Zweifel erhabenen Umsetzung
durch die Mitglieder der Staatskapelle unter Johannes Kalitzkes
animierender Leitung.