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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 32
54. Jahrgang | September
Deutscher Kulturrat
Nun muss es um die Umsetzung gehen
Konzeption Kulturelle Bildung III liegt vor · Von Olaf
Zimmermann
Bildungspolitik hat in den vergangenen Jahren in der politischen
Diskussion wieder an Stellenwert gewonnen. Wird die heutige Diskussion
mit dem bildungspolitischen Aufbruch der 70erJahre des letzten Jahrhunderts
verglichen, sind gravierende Veränderungen festzustellen. In
den 70er-Jahren ging es vor allem darum, so genannten bildungsfernen
Schichten den Zugang zu höherer Schulbildung und anschließendem
Studium zu ermöglichen. Ein wichtiger Bestandteil dieses bildungspolitischen
Aufbruchs war die Gründung von Universitäten, Gesamthochschulen
und Fachhochschulen.
Bei allen Erfolgen dieses Aufbruchs wird dem deutschen Schulwesen
heute in internationalen Studien ein eher schlechtes Zeugnis ausgestellt.
Den Anfang machte die TIMSS-Studie Anfang der 90er- Jahre, bei der
deutsche Schülerinnen und Schüler relativ schlecht abschnitten,
fortgeführt wurde diese Reihe durch die PISA-Studie. Deren
Veröffentlichung rüttelte die deutsche Bevölkerung
und besonders die Bildungspolitikerinnen und -politiker erneut wach.
Warnungen, die die Stiftung Lesen bereits seit Jahren ausgesprochen
hatte, dass nämlich im Bereich der Lesekompetenz und des Spracherwerbs
große Lücken bestehen, wurden endlich wahrgenommen.
Bund und Länder nahmen ihre Verantwortung an und sehr schnell
wurden Programme zur Verbesserung des Bildungswesen aufgelegt. Die
Ganztagsschule wurde ganz besonders in den Fokus gerückt, da
sich im Vergleich zeigte, dass Länder mit einem Ganztagsschulsystem
in der Regel in der PISA-Studie besser abgeschnitten hatten, als
Deutschland mit seiner Tradition der Halbtagsschule.
Der wesentliche Unterschied zum angeführten bildungspolitischen
Aufbruch in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts besteht darin,
dass die bildungspolitische Diskussion heute vor allem unter dem
Leitbild des Wettbewerbs und nicht der Teilhabe geführt wird.
Es geht darum, dass deutsche Schülerinnen und Schüler
wieder mit denen anderer Länder konkurrieren können, lebenslanges
Lernen soll dazu dienen, dass der Produktionsstandort Deutschland
erhalten werden kann. Der Wettbewerb wird sogar so weit getrieben,
dass die Bundesländer untereinander in Konkurrenz treten.
In diesem Kontext ist auch der zweite Diskussionsstrang der aktuellen
bildungspolitischen Diskussion zu sehen, der Streit um den Föderalismus.
Jetzt zeigt sich, dass ein zusammenwachsendes Europa, die Verlagerung
der Kompetenzen auf die europäische Ebene zu einer Aushöhlung
der Kompetenzen der Länder – ganz besonders der Landesparlamente
– geführt hat. In den unterschiedlichsten Politikbereichen
wird der Rahmen für politisches Handeln durch die europäischen
Richtlinien vorgegeben. Deutschland ist zwar an dieser Richtlinienpolitik
beteiligt, kann aber auf Grund der erforderlichen Rückkopplung
mit den Bundesländern oftmals nicht so schnell entscheiden
wie andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Auf Grund
der weiter wachsenden Relevanz europäischer Entscheidungen
pochen die Länder umso mehr auf ihre Hoheit im Kultur- und
Bildungsbereich als Kern ihrer Eigenstaatlichkeit. Die Föderalismuskommission,
bei der es darum ging, die Zahl der zustimmungspflichtigen Bundesgesetze
zu reduzieren, um den Deutschen Bundestag wieder handlungsfähiger
zu machen und im Gegenzug den Bundesländern mehr Spielräume
für eigene Entscheidungskompetenzen zu geben, ist letztlich
am Bildungsbereich gescheitert, weil die Bundesländer diesen
Bereich allein für sich beanspruchen wollten. Dabei ging es
nicht um gesamtstaatliche Verantwortung oder bessere Chancen für
deutsche Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Hochschulabsolventinnen
und -absolventen im internationalen Vergleich, sondern allein um
den Ausbau eines eigenen politischen Handlungsfeldes.
Die kulturelle Bildung ist von dieser Entwicklung in mehrfacher
Hinsicht betroffen. Zum einen gehört sie, im Schnittfeld zwischen
Kultur-, Bildungs- und Jugendpolitik angesiedelt, zu jenen Politikfeldern,
die ein Zankapfel zwischen Bund und Ländern sind. Zum zweiten,
und dieses ist vielleicht sogar noch bedrohlicher, haben es all
jene Bildungsbereiche, die nicht direkt verwertbar sind, deren Nutzen
nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, in denen kein direkter
Vergleich mit anderen Nationen gesucht wird, besonders schwer. Problematisch
ist in diesem Zusammenhang, dass in einigen Bereichen keine einheitlichen
Berufsstandards existieren, was dazu führt, dass die erforderliche
Professionalität angezweifelt wird. Auch ist nicht zu leugnen,
dass das Nebeneinander von hauptamtlicher und ehrenamtlicher Kulturvermittlung
sowie der zur Zeit sich abzeichnende vermehrte Einsatz von ehrenamtlich
Aktiven in Ganztagsschulen die Frage nach der Professionalität
kultureller Vermittlungsarbeit immer wieder provoziert. In diesem
Zusammenhang wundert es nicht, dass von den Vertreterinnen und Vertretern
der kulturellen Bildung verstärkt kulturferne Argumente angeführt
werden, um kulturelle Bildung zu rechtfertigen. So steht aktuell
die Neurowissenschaft hoch im Kurs, mit deren Hilfe belegt werden
soll, dass dank kultureller Bildung die Entwicklung des Gehirns
und des Denkens verbessert wird.
Argumente, dass Kunst und Kultur ein wesentlicher Bestandteil
menschlichen Daseins sind, dass Kunst und Kultur über die unmittelbare
Verwertbarkeit hinaus einen Wert für jeden Einzelnen und die
Gesellschaft insgesamt haben, erscheinen schwach gegenüber
dem – auch in der Bildungspolitik verbreiteten – Wettbewerbsargument.
Kulturelle Bildung muss sich diesen Diskussionen stellen und kann,
betrachtet man die Vielfalt an Angeboten kultureller Bildung, diese
bestehen. Kulturelle Bildung bietet die Chance, den Diskurs um Teilhabe
an der Gesellschaft erneut in den Fokus zu rücken. Gerade vor
dem Hintergrund des demografischen Wandels, der Zuwanderung, eines
zusammenwachsenden Europas wird es um so wichtiger, kulturelle Kompetenzen
zu erwerben. Kulturelle Bildung ist dafür der Schlüssel.
Das heißt, dass die Träger kultureller Bildung ihre gesellschaftliche
Verantwortung noch stärker wahrnehmen und sich öffnen
müssen. Eine so verstandene kulturelle Bildung kann der bildungspolitischen
Diskussion wichtige Impulse geben. In der dritten Konzeption Kulturelle
Bildung des Deutschen Kulturrats wird verdeutlicht, welches Potenzial
in der kulturellen Bildung liegt. Es wird deutlich gemacht, dass
der Stellenwert der kulturellen Bildung in der Bildungs-, Jugend-
und Kulturpolitik gestärkt werden muss.
Der Deutsche Kulturrat wird in ausgewählten Handlungsfeldern
Umsetzungsmöglichkeiten aufzeigen und hierbei besonders den
Dialog mit den anderen Akteuren in der Bildungs- und Kulturpolitik
suchen.