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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 30
54. Jahrgang | September
DTKV Bayern
„Der Worte sind genug gewechselt…“
Lehrbeauftragte: ausgebeutete Akkordarbeiter – auf immer
und ewig? · Von Eckart Hermann
Im Anschluss an die beiden äußerst informativen und
kompetenten Artikel über die Situation der Lehrbeauftragten
an deutschen Musikhochschulen („Eine unterprivilegierte Gruppe“)
von Dirk Hewig in der Märznummer 2005 der nmz; sowie „Gewachsenes
Unrecht im Windschatten der Sparzwänge“ von Herrn Markus
Bellheim in der Mainummer 2005) sollen in diesem Artikel hauptsächlich
die Betroffenen selbst zu Wort kommen.
Die empörendsten Arbeitsbedingungen finden sich bei langjährigen
Lehrbeauftragten, die mit einer Stundenzahl knapp unterhalb einer
halben Stelle beschäftigt sind und bei denen die Lehrauftragstätigkeit
trotz der jämmerlichen Bezahlung zu einer Art Existenzgrundlage
geworden ist.
Schon vor über 20 Jahren waren die Stundensätze eines
Lehrbeauftragten dergestalt, dass man allerhand andere Verdienstmöglichkeiten
haben musste, um sich eine Lehrauftragstätigkeit an einer bayerischen
Musikhochschule überhaupt leisten zu können. Ein realistisch
berechneter Stundenlohn bewegte sich je nach den persönlichen
Gegebenheiten des Lehrbeauftragten zwischen 10 und 18 DM und man
kann mit Fug und Recht sagen, dass dies für eine so hochqualifizierte
Arbeit eine wirklich bescheidene Bezahlung darstellt; ein Handwerker
jedenfalls hätte dafür schon damals sein Werkzeug nicht
angerührt.
In den folgenden Jahren hat sich an diesen Arbeitsbedingungen noch
nicht einmal hauchdünn etwas verändert. Dies zeigt der
Auszug aus einem Artikel von Stephan Hoffmann, der am 30. Juli 2004
in den Stuttgarter Nachrichten erschien. Er trägt den treffenden
Titel: „Ein schöner Beruf, von dem keiner leben kann“
„Wissen Sie noch, wann Ihre Einkünfte zum letzten Mal
erhöht worden sind? Vielleicht vor einem Jahr, höchstens
vor zwei oder drei Jahren, länger wird es sicher nicht her
sein. Es sei denn, Sie sind Lehrbeauftragter an einer Musikhochschule.
Dann wären Sie allerdings in keiner beneidenswerten Situation.
Deren Bezüge sind auch erhöht worden: zum letzten Mal
Ende 1987.* Seither fand die deutsche Vereinigung statt, der Euro
wurde eingeführt, und die Kaufkraft hat sich nahezu halbiert.
Das gibt’s nicht, werden Sie sagen. Doch, das gibt es –
allerdings wirklich nur bei den Lehrbeauftragten.....
Ulrike Höfer unterrichtet als Lehrbeauftragte Klavier an
der Freiburger Musikhochschule. Sie muss sich im wahrsten Sinne
des Wortes durchschlagen, denn es fehlen auch die sozialen Absicherungen:
Wenn sie krank ist, bekommt sie kein Geld, in den Semesterferien
bekommt sie kein Geld, selbst wenn der Schüler krank ist und
folglich nicht zum Unterricht erscheint, bekommt sie kein Geld.
Sie sagt: Davon kann man unmöglich leben. Das ist unterhalb
des Existenzminimums.“
*(in Bayern fand die letzte geringfügige Erhöhung 1992
statt, und in München werden derzeit noch, anders als in Würzburg,
durch Krankheit ausgefallene Stunden nicht vergütet.)
Auch Zeitungen, deren Hauptthemen nicht die Musikberufe sind,
haben sich mit der unhaltbaren Situation der Lehrbeauftragten beschäftigt.
Im Artikel von Marianne Reißinger in der Münchner Abendzeitung
vom 2.Dezember 1987 geht es speziell um die Klavierlehrer.
„Die Ärmsten der Armen?
…Und da sind dann die Ärmsten der Armen, neben den
Ballett-Lehrern, ausgerechnet diejenigen, die keine Festanstellung
in einem Orchester oder einem Opernhaus haben können: die Klavierlehrer.
Genau sie aber werden am meisten gebraucht, denn jeder Student der
Münchner Musikhochschule muss Klavierspielen lernen, die Schulmusiker
sogar als Hauptfach. Für durchschnittlich elf Unterrichtsstunden
pro Woche bekommen sie runde 1000 Mark brutto im Monat – für
den Freistaat billige Arbeitskräfte. Eine Lobby haben sie nicht
und streiken nützt auch nichts, denn draußen vor der
Tür warten genügend Klavierlehrer „ohne Lehrauftrag“,
um wenigstens die 1000 Mark zu verdienen.“
Dieser alte Zeitungsartikel ist von trauriger Aktualität,
wie die Äußerung einer Klavierlehrerin aus dem Jahr 2005
zeigt. Angela Grau ist seit Jahren als Lehrbeauftragte an der Münchner
Musikhochschule tätig und muss feststellen:
„Als Lehrbeauftragte sind wir selbständig tätig,
das bedeutet, dass wir jederzeit ohne Angabe von Gründen fristlos
kündbar sind: So bleiben wir immer vom Wohlwollen unserer Vorgesetzten
abhängig. Das ist eine unwürdige Situation.“
Unwürdig ist auch, dass ein Lehrer im Lehrauftrag bei der
Bezahlung Einbußen hinnehmen muss, wenn der Student nicht
erscheint.
Es ergibt ein äußerst eigenartiges Lehrer-Schüler-Verhältnis,
wenn der Lehrer derart von der Gesundheit oder auch Lust und Laune
des Studenten abhängig ist. Von weiteren finanziellen Fallstricken
des Lehrauftrags berichten die folgenden Zitate aus dem Jahr 2005.
„Noch nach 17 Jahren Lehrauftrag (mit normalerweise ca.
10 Wochenstunden) konnte es passieren, dass sogar mitten im Studienjahr,
bereits nach Beginn des Semesters einfach 3 Wochenstunden gestrichen
werden. Wir haben also nicht einmal kurzfristige Sicherheit über
die Stundenzahl.“ (Hans-Christian Hauser, München)
Alexander Hermann, Lehrbeauftragter für Alexander-Technik
an der Hochschule für Musik und Theater, München:
„Alexander-Technik ist eines der Fächer, das, ohne Pflicht
zu sein, von den Studenten mit großem Interesse und zunehmender
Tendenz aufgesucht wird… Um der Nachfrage wenigstens halbwegs
gerecht zu werden, belegen alle angemeldeten Studenten freiwillig
Zusatzkurse, für die sie einen Beitrag bezahlen. Dazu kommen
viele Stunden, die ich unbezahlt gebe.....den Großteil des
Unterrichts muss ich in einem eigenen Studio abhalten.“
Es ist schier nicht zu fassen, welch unzerstörbaren Idealismus
manche Lehrkräfte aufbringen – manche nehmen solche Arbeitsbedingungen
unglaublich lange in Kauf. Eine von ihnen ist Ulrike Müller-Schott,
die sich mit dem „gewachsenen Unrecht“ der Lehrauftrags-Situation
seit nunmehr 30 (!!) Jahren auskennt.
„Es wäre an der Zeit, dass Verantwortliche der Musikhochschulen
bundesweit ernsthaft darüber nachdenken, wie ein „gewachsenes
Unrecht“ in Bezug auf Vergütung und sozialer Absicherung
ihrer Lehrbeauftragten verändert werden müsste. Als eine
Betroffene, die seit 30 Jahren Lehrbeauftragte ist, frage ich mich
– kann es sein, dass als sensibel geltende Musiker ihre Kollegen
mit Honoraren abspeisen, die in keinem Verhältnis zu den erbrachten
Leistungen stehen.
In einer Zeit, in der Ausbeutung von ausländischen Billigstarbeitern
öffentlich angeprangert und durch massive Interventionen des
Staates bekämpft wird, ist es mehr als unverständlich,
dass es an den Musikhochschulen vergleichbare Arbeitsbedingungen
mit Mindestlöhnen und ohne jede soziale Absicherung seit 25
Jahren gibt.“
Katarina Lelovics ist seit 19 Jahren als Lehrbeauftragte an der
Münchner Musikhochschule im Fach Orgel tätig. Sie fasst
die Lage der langjährig im Lehrauftrag Tätigen wie folgt
zusammen:
„Handlungsbedarf sehe ich insbesondere auch bezüglich
der langjährig als Hauptfachlehrer tätigen Lehrbeauftragten,
die sich durch ihr Engagement – wie ich meine – ein
Anrecht auf finanzielle Anerkennung und die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes
erworben haben. Ich mache hier etwas geltend, das in nahezu allen
Arbeitsverhältnissen die Regel ist.“
Wenn für die langjährig mit hoher Stundenzahl tätigen
Lehrbeauftragten nicht bald praktikable Lösungen im Sinne von
BAT-Teilzeitverträgen gefunden werden, zeichnet sich eine fatale
Tendenz für die Zukunft ab: diese Gruppe fühlt sich „ihrer“
Hochschule eng verbunden und wird von dieser zur Sicherstellung
des Unterrichts- und Prüfungsbetriebs auch geradezu existenziell
benötigt, auch und gerade im großen Pflichtfachbereich.
Gerade bei diesen unverzichtbaren Lehrkräften breitet sich
aufgrund der ständig sinkenden Bezahlung und der fehlenden
Zukunftsperspektive zunehmend Resignation, Verbitterung und Zukunftsangst
aus. Der offenkundige Gegensatz zwischen juristischer Konstruktion
der Lehraufträge und real erlebter Wirklichkeit kann nur noch
als schreiendes Unrecht bezeichnet werden.
Für eine andere Gruppe jüngerer Freiberufler steht folgende
Äußerung einer Lehrbeauftragten:
„Ich kann den Titel einer Lehrbeauftragten an der Musikhochschule
München für meine freiberufliche Tätigkeit gut einsetzen;
aber mehr als zwei Stunden hier zu unterrichten, kann ich mir schlicht
nicht leisten!“
Für diese Gruppe, ebenso wie für die vielen Lehrbeauftragten,
die in einem Hauptberuf tätig sind, gilt: die jämmerliche
Bezahlung wird bei der Suche nach hochqualifizierten Lehrkräften
immer mehr zum zentralen Problem werden.
Wer den ganzen Schaden dieser geschilderten Arbeitsbedingungen
hat, braucht offenbar für den Spott nicht mehr zu sorgen…
So musste sich doch kürzlich eine Lehrbeauftragte aus Freiburg
folgende Frage gefallen lassen: „Ihr habt einen so schönen
Beruf, wieso müsst ihr davon auch noch leben?“ –
Leben? Wohl eher: kämpfen um das Existenzminimum. Um als Musiker
nach einem langen Studium und dem Nachweis hochqualifizierter pädagogischer
Befähigung auf ein Nettoeinkommen in Höhe des Sozialhilfesatzes
(in Bayern derzeit monatlich ca. 320 Euro) zu kommen, müsste
ein Lehrbeauftragter circa zehn bis zwölf Wochenstunden arbeiten,
Vor- und Nachbereitungszeit nicht eingerechnet! Wenn man sich diese
Zahlen einmal mit nüchternem Blick ansieht, gerät man
in der Tat ins Grübeln: Bei der Suche nach vergleichbar bezahlten
Berufen an einer Musikhochschule kommt einem dann nur noch das Reinigungspersonal
in den Sinn…
Um solch unwürdigen Arbeitsbedingungen endlich den Garaus
zu machen, kann man allen dafür verantwortlichen Politikern
nur die Fortsetzung des obigen Anfangszitates ans Herz legen: „…lasst
mich auch endlich Taten sehn!“