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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 14
54. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Subventionen für Oper und Theater: Kultureller Overkill?
Kulturpolitischer Bundeskongress in Berlin endet fatal unentschieden
Unter dem Motto „publikum.macht. kultur.” veranstaltete
die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. gemeinsam mit der Bundeszentrale
für politische Bildung und der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende
Juni den 3. Kulturpolitischen Bundeskongress, wie bereits 2001 und
2003 überwiegend in den Räumen des Forum Berlin der FES
zwischen Landwehrkanal und Tiergarten. Die wieder im Auftrag des
Bundeskanzleramtes, genauer: der Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien, durchgeführte und mit Referenten
sowie Podiumsdiskutanten prall besetzte Tagung erlebte einen Teilnehmeransturm,
nicht zuletzt von jungen Leuten, unter ihnen Studenten, Journalisten
und Projektleiter (selbstverständlich inclusive zahlreicher
-innen), angelockt von dem konkreteren Leitmotiv „Kulturpolitik
zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung”.
Wer von diesem Kongress jedoch eine eindeutige Stoßrichtung
erwartet hatte, die entschiedene und begründete Forderung einer
nachhaltigen Kulturpolitik, schlich sich am Ende mit einigen Informationen
und auch Anregungen, vor allem aber mit gesteigertem kulturpolitischem
Frust von dannen. Eines nämlich wurde im Verlauf der zwei Tage
immer deutlicher: Alle führen Kultur im Munde, aber nahezu
jeder empfindet dabei einen anderen Geschmack. Zwar ist Pluralität
ja nichts Verwerfliches, aber hier zeigte sich, dass, wenn es um
Kunst und Kulturpolitik, um Vermittlung und um Nachfrage geht, es
unter den Advokaten, Konzeptoren und Machern überhaupt keinen
gemeinsamen Nenner gibt. Unter Kultur versteht jeder Seins und jede
Ihres, und längst nicht jede/r hat dabei auch Kunst im Visier.
Häufig wird mit einem undefinierten Kulturbegriff argumentiert
und operiert, der auch noch auf entsprechend aussageschwachen Statistiken
basiert. So teilte Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen
Gesellschaft, gewissermaßen als Ausgangsgröße für
weitere Überlegungen mit, die Hälfte der Bevölkerung
nutze Kulturangebote im Sinne von Live-Erlebnissen (also einschließlich
Museumsbesuch, dagegen nicht gerechnet etwa private Lektüre);
wie breit aber das inhaltliche Spektrum der Veranstaltungen bei
dieser Messung war, ob das Saalpublikum bei „Wetten, dass...“,
die Zuhörer der Blasmusik bei Kirmes und Schützenfest
oder die Fans jedweden open-air Rock-Festivals in denselben Topf
gezählt wurden wie die Besucher von Staatsoper, Avantgarde-Theater
und Dorforgelvespern, war nicht zu erfahren. Vermutlich liegt dem
Angebotsnutzer-Anteil von 50 Prozent ein sehr großzügiger
Kulturbegriff zugrunde, aber welchen Wert hat eine solche Zahl für
die kulturpolitische Diskussion?
Während Scheytt vermutlich eher für ein an Hochkultur
orientiertes Konzept plädierte, als er vom Erwerb kultureller
Kompetenz sprach und forderte, bereits im frühen Kindesalter
mit der Publikumsförderung zu beginnen, vertrat Thomas Krüger,
Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und
somit Veranstaltungspartner, mehr und mehr die Gegenposition: Kultur
müsse sich der Mobilisierung der Öffentlichkeit stellen
– „raus aus den Tempeln, hinein in den Alltag“,
mit einem Spektrum, das „von elitär bis zur Unterhaltung“
reiche. (Ließ sich der gelernte Theologe Thomas Krüger
da zu einer fragwürdigen Analogie verleiten?)
Als Scheytt dann auf dem Abschlusspodium zu dem provokanten Thema
„Kultur für alle – Kunst für wenige?“
forderte, die Vermittlungsarbeit zu verstärken, sich um die
anderen 50 Prozent der Nichtnutzer von Kulturveranstaltungen zu
bemühen, wies Krüger diese Haltung als überheblich
zurück: Warum solle man den Besuch im Fußball- oder Eishockey-Stadion
denn nicht auch als Teilnahme an Kultur werten?
Anfangs hatte Krüger von einer „Gefahr der Entertainisierung“
von Kultur gesprochen, der ausschließlichen Produktion dessen,
was sich todsicher verkaufe. Nun prangerte der frühere Berliner
Senator für Jugend und Sport (SPD) pauschal die „Kulturausgaben
in Millionenhöhe für Einrichtungen der Hochkultur mit
geringer Klientel“ an als „kulturellen Overkill auf
Kosten derer mit anderen Kulturinteressen und wenig Geld“.
Bei derart diffusen Begriffen und Vorstellungen von Kunst und Kultur
konnte auf diesem Markt der Möglichkeiten letzten Endes jeder
punkten, zumal für kritisch-argumentative Auseinandersetzungen
wenig Zeit und Gelegenheit blieben. Auch verpufften in der Hektik
der zahlreichen, vielfach parallelen Panels und Foren manche richtungsweisende
Aussagen und bedenkenswerte Thesen – Staatsministerin Christina
Weiss: „Wir brauchen Kunst zur Ausbildung der Subjektivität“;
Jörn Rüsen (Essen): „Wissenschaft, Religion und
Kunst zusammen machen den Sinn versus Nutzen, das heißt die
Reflexibilität des Menschen aus“; Wolfgang Zacharias
(München): „Kann es darum gehen, den bestehenden traditionellen
Institutionen ein Publikum ‚hinzubilden‘, um dadurch
die Traditionen zu bewahren?“
Die Gretchenfrage eines kulturpolitischen Konzepts für die
Zukunft, die Frage nämlich nach der Rolle und Funktion der
Künste, der Hochkultur in der Gesellschaft, blieb außen
vor. Was die fortschreitende künstlerische Verödung des
Bildungswesens impliziert und was die Degenerierung künstlerischer
Ereignisse zu gesellschaftlichen Events bedeutet, wurde kaum erwähnt
und nicht analysiert. Christina Weiss wies darauf hin, dass die
neuen, CDU-geführten Landesregierungen in Schleswig-Holstein
und Nordrhein-Westfalen bereits den Kulturminister einsparen, ebenso
wie viele Städte den früher selbstverständlichen
Kulturdezernenten. Dazu passt dann auch, dass sich im Wahlprogramm
der CDU/CSU zu diesem Thema kaum mehr findet als der umwerfend lapidare
Satz: „Kunst und Kultur sind untrennbar mit der Identität
der Deutschen verbunden“ und sich die Kanzlerkandidatin darauf
beschränkt, diese Feststellung mit ihrer jährlichen Anwesenheit
bei der Eröffnungsvorstellung auf dem Grünen Hügel
zu unterstreichen.
Nach diesem Kongress drängt sich die Ahnung auf, dass die
Schrumpfung der Kultur- und Bildungsetats nicht nur Ursache, sondern
bereits Wirkung konzeptloser Politik sind, bei der Kultur unter
das Was-ihr-wollt-Prinzip fällt und der Trend allmählich
sinkender Ansprüche von vielen mit Erleichterung verfolgt wird:
Das Populäre, Trendsichere regelt sich im Verhältnis von
Angebot und Nachfrage schließlich selbst, ohne hohe Subventionen
und mühsame Förderung kultureller Kompetenz. Vielleicht
könnte da der 4. Kulturpolitische Bundeskongress ansetzen?