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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 1
54. Jahrgang | September
Leitartikel
Kulturversprecher – die Parteien zur Wahl
Zu den vom Deutschen Kulturrat vorgelegten Wahlprüfsteinen
der Parteien · Von Barbara Haack
Es gibt ein paar gute Nachrichten. Egal, wer nach dem 18. September
in Deutschland regiert: Die reduzierte Mehrwertsteuer für Kulturprodukte
bleibt erhalten, ebenso der Bundestagsausschuss für Kunst und
Kultur, und die kulturelle Bildung spielt nach Ansicht aller Parteien
eine außerordentlich wichtige Rolle für die Persönlichkeitsbildung
von Kindern und Jugendlichen. Sieh an! Die Künstlersozialkasse
betrachten alle Parteien als „wichtige Errungenschaft“.
Und sind sich sicher, dass sie, welche obskuren, aber auf jeden
Fall radikalen Änderungen im Gesundheitssystem sie auch immer
einführen wollen, die KSK in ihre Pläne integrieren können.
Wie, dazu gibt es noch wenig konkrete Ideen; das wird zu prüfen
sein. Wie überhaupt noch einiges zu prüfen ist. Das zumindest
geht aus den Antworten von SPD, CDU/CSU, FDP, den Grünen und
der neuen Linkspartei auf die Wahlprüfsteine des Deutschen
Kulturrates hervor, die soeben in der Zeitung „politik
und kultur“ veröffentlicht wurden.
Enquete-Kommission,
Kultur als Staatsziel
Prüfen will vor allem die CDU/CSU, die sich nicht einmal zu
einem klaren Ja zur Weiterführung der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ durchringen kann, obwohl sie, wie alle anderen
auch, durchaus feststellen muss, dass deren Arbeit noch nicht beendet
ist. Auch die Frage, ob Kultur als Staatsziel in die Verfassung
aufgenommen werden soll, muss Frau Merkel „unvoreingenommen
und sorgsam“ prüfen, bevor hier eine Entscheidung fallen
kann. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien, die sich eindeutig
für die Konsolidierung der Kultur im Grundgesetz aussprechen.
Und auf die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit dem Amt des
Kulturstaatsministers (Weiterführung, Stärkung oder Auflösung)
gibt die CDU/CSU eine merkwürdig vage Antwort, die alles offen
lässt. Auch die SPD tut sich schwer mit einer klaren Aussage.
Zwar soll der Beauftragte für Kultur und Medien zukünftig
eine eigene kultur- und medienpolitische Zuständigkeit auf
EU-Ebene erhalten. Daher gebe es durchaus „Argumente für
die Gründung eines eigenen Ministeriums“ – mit
der Einschränkung allerdings, dass „wir wissen, dass
Kabinettszuschnitte und institutionelle Zuständigkeiten immer
auch weiteren Kriterien unterliegen“. Ein klares Hintertürchen,
das nicht unbedingt Begeisterung für die Stärkung dieses
Postens spüren lässt. Ebenso wenig wie bei den Grünen,
die das Amt so fortführen wollen, wie es ist, in ihrer Antwort
aber wenig Interesse an der Ausgestaltung zeigen. Ganz anders FDP
und Die Linke.PDS: Beide wollen einen Kulturminister mit Kabinettsrang!
Man höre und staune, aus welchen Richtungen Bundeskulturpolitik
gestärkt werden soll.
Dass die CDU/CSU auf die Frage nach der Einbindung der „organisierten
Zivilgesellschaft“ in ihre Entscheidungen als einzige Partei
überhaupt einen konkreten Verband hervorhebt, nämlich
die Kulturpolitische Gesellschaft (Kupoge), mag als Spitze gegen
den Kulturrat gemeint gewesen sein. Tatsächlich ist es ein
Schlag ins Kontor aller Kulturverbände, die sich in den letzten
Jahren, durchaus auch regelmäßiger als die Kupoge, kulturpolitisch
zu Wort gemeldet haben.
EU-Dienstleistungsrichtlinie
Gefragt nach ihrer Haltung zur Positionierung von Kunst und Kultur
im Rahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie versichern alle Parteien,
dass sie den besonderen „Doppelcharakter“ durchaus erkannt
haben: Kunst und Kultur sind nicht nur Ware, sondern auch „öffentliche
Güter der Völker“ (Die Linke), die „durch
kreatives Schaffen kulturelle Identität und Wahrnehmung bieten“
(SPD). Nur die FDP hebt bei den Fragen zur Dienstleistungsrichtlinie,
zu GATS und zur UNESCO-Konvention für die kulturelle Vielfalt
gerne den liberalen Zeigefinger: „Ein gänzlicher Ausschluss
des Kultur- und Medienbereichs aus den GATS-Verhandlungen erscheint
uns überzogen…“. Und UNESCO-Konven-tion ja, aber
nur, wenn „die Handelbarkeit von Kulturgütern und Dienstleistungen
gesichert bleibt“.
Auswärtige Kulturpolitik
Werfen wir einen Blick auf die auswärtige Kulturpolitik. CDU/CSU
und FDP sind selbstverständlich der Meinung, dass die in der
vergangenen Legislaturperiode erfolgten Haushaltskürzungen
in diesem Bereich ein Fehler waren, dass sie zurückgenommen
werden und die Auswärtige Kulturpolitik wieder zur „dritten
Säule“ in der Außenpolitik Deutschlands werden
müssen. Grüne und SPD verteidigen die Kürzungen mit
Hinweis auf die schlechte Wirtschaftslage. Offenbar haben sie Strukturveränderungen
für diesen Bereich im Hinterkopf, durch die „sowohl Einspareffekte
als auch Verbesserungen erzielt werden können“ (Bündnis
90/Die Grünen), die aber nicht zufrieden stellend erläutert
werden. Sehr präzise stellt sich diese Nicht-Erläuterung
in folgendem SPD-Kommentar dar, der dem Leser hier nicht vorenthalten
werden soll: Die Partei will sich dafür einsetzen, „die
Haushaltsmittel für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
nachhaltiger zu gestalten, dabei neue Steuerungsinstrumente anzuwenden
und leistungsbezogene Budgets in der Auswärtigen Kulturpolitik
modellhaft einzuführen“. Das klingt gut und vor allem
modern; der unbedarfte Wahlprüfsteinprüfer indes würde
sich die eine oder andere Aufklärung dazu noch wünschen.
Aus dem Folgenden geht allenfalls hervor, dass man offenbar auf
„öffentlich-private Partnerschaften“ zurückgreifen
und auch die „Kulturnutzenden aus dem Ausland“ zur Kasse
bitten will. So viel ist nun immerhin verstanden: Bei der SPD wird
dieser Etat nicht aufgestockt. Aber: Immerhin denkbar scheint zu
sein, das Feld der Auswärtigen Kulturpolitik in „das
Amt eines Bundeskulturministers im Bundeskanzleramt“ einzugliedern.
Die neue Linkspartei im Übrigen scheint als einzige der Parteien
einen Schwerpunkt im Thema „Deutschland als Einwanderungsland“
mit allen kulturverbundenen Aufgaben zu sehen. Bei den anderen wird
der Dialog mit Minderheiten oder mit dem Islam allenfalls angedeutet.
Wen Sie nun wählen sollen? Wer alles für bare Münze
nimmt, kommt an der Linkspartei kaum vorbei. Verspricht sie doch
die Aufstockung des Bundeszuschusses zur KSK, die gesetzliche Verankerung
von Musikschulen und die Einführung des Goethe-Groschens. Wie
das alles realisierbar ist, erfahren wir nicht. Wer nach Masse geht,
sollte sich unbedingt für die SPD entscheiden, deren Antworten
im Durchschnitt doppelt so lang sind wie die der anderen. Hier spielt
ein Rechtfertigungsbedürfnis allerdings keine unwichtige Rolle.
Die CDU/CSU, wie gesagt, prüft noch. Die FDP geriert sich,
nicht nur in den vorliegenden Wahlprüfsteinen, sondern auch
andernorts, als aufstrebende Kulturpartei. Und die Grünen zeigen,
wenn es ums Urheberrecht geht, eine merkwürdige Verbraucherfreundlichkeit,
die dem Urheber nicht gerade zugute kommt. Wem diese Zusammenfassung
nicht reicht, der sollte die Antworten der Parteien im Ganzen lesen
und sich selbst ein Bild machen (als
pdf 464 KB). Immerhin: Alle haben geantwortet, obwohl doch die
Parteien ebenso wie unsere Leser wissen: Wahlentscheidend werden
die Positionen zur Kulturpolitik nicht sein. Dann doch eher die
Schwitzflecken von Kanzlerkandidatinnen!