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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 8
54. Jahrgang | September
Magazin - Angemerkt
Angemerkt
Basar in der Ganztagsschule
Wir saßen im großen Kreis. Die eine Hälfte waren
Lehrerinnen und Lehrer einer Grundschule, die ab August Ganztagsschule
ist, die andere Hälfte waren „Anbieter“. Ich gehörte
zu den Anbietern, denn ich kam als Vertreter der Staatlichen Jugendmusikschule
und sollte darstellen, welche Angebote die Musikschule für
die zusätzlichen sieben Stunden bereithält, die die Schüler
demnächst wöchentlich mehr in der Schule verbringen können.
„Die Angebote müssen für ein Jahr gesichert sein.
Kürzer dauernde können wir nicht gebrauchen“, sagte
die Schulleiterin und eröffnete das Gespräch.
Zufälligerweise kam ich als erster dran. Ich berichtete, dass
die Schule alles von uns haben kann, was wir unterrichten, Einzelunterricht,
Gruppenunterricht und Klassenunterricht, alle Instrumente, Gesang
und Tanz. Dafür müssten die Eltern dann die üblichen
Musikschulgebühren bezahlen. Fairerweise wies ich darauf hin,
dass die demnächst um circa 35 bis 49 Prozent erhöht würden.
Ich pries unsere Bläser-, Streicher-, Perkussions-, Gitarren-,
Blockflöten-, Sing - und Tanzklassen an, schwärmte von
unseren Musiktheatergruppen und vom Musikmachen mit dem Computer.
Dies alles könnte die Schule vermutlich aber auch über
eine Mischfinanzierung haben, indem sie dies aus ihren Honorarmitteln
bezahlt und die Eltern etwas dazugeben. Die Schule könne es
aber auch allein finanzieren. In Hamburg wäre geregelt, dass
die JMS-Lehrkräfte 22,11 Euro pro 45 Minuten Unterricht bekommen.
Da schlug das anfänglich sehr freundliche Interesse in Betroffenheit
um. „22,11 Euro, wer soll das denn bezahlen! Die Eltern dieser
Schule werden nichts bezahlen! 15,03 Euro ist das Maximum, was machbar
ist!“ Mein schüchterner Hinweis, dass die 22,11 Euro
mit den Hamburger Tarifpartnern ausgehandelt seien und dass die
Bildungsbehörde mir gegenüber diesen Satz mehrfach bestätigt
hätte, wurde mit dem Aufseufzer beantworte: „Was die
Behörde sich immer so denkt! Wie sollen wir mit dem knappen
Geld, das uns zur Verfügung steht, denn zurechtkommen!“
Dann kamen die anderen Anbieter dran.
Eine Frau bot an, eine Tanzklasse aufzumachen und hielt eine längere
Rede über die Bedeutung des Tanzes, der körperlichen Bewegung
und der Musik. Ich hatte den Eindruck, dass das für sie ein
recht neues Thema war und sie noch nicht allzu oft davon gesprochen
hatte. Jedenfalls hatte sie einen Zettel in der Hand, auf dem ihre
Ausführungen sehr ordentlich notiert waren. Ich erschrak ein
bisschen: Hätte ich meine Sache erstmal anpreisen sollen? Ich
hatte ja gedacht, dass allen ziemlich klar ist, weswegen Tanz, Bewegung
und Musik gut sind!
Dann meldete sich der Vertreter eines Vereins. Er bot einen Videokurs
an. „Unsere Leute machen das für zehn Euro die Schulstunde.
„Wir bringen auch alle Geräte mit, Sie wissen, was die
kosten, die kriegen Sie alle so!“
Da schaltete sich der Vertreter eines anderen Vereins ein. „Unser
Vereinshaus steht zwei Straßen weiter. Wir können die
Kurse in unseren Räumen durchführen, das finden Sie sicher
entlastend. Wir machen das für zehn Euro, roundabout –
man kann darüber reden. Wir haben einen Zauberer, der war schon
mal in Ihrer Schule, der ist doch gut angekommen!“ –
„Ja, der war wirklich toll!“, war die begeisterte Antwort
auf Schulseite und „mit wie vielen Teilnehmern würden
Sie den Kurs denn machen?“ – „13 Kinder“
war die Antwort.
Dann wurde von einer Lehrerin noch für eine Frau geworben,
die gar nicht da war, die aber in der Volkshochschule das Töpfern
gelernt habe. „Sie würde es auch für weniger machen.
Sie mag einfach die Kinder!“ – „Teilnehmerzahl?“
– „Gern auch 13, aber wenn es sein muss auch mehr, 17
oder so.“
Zum Schluss stellte sich noch eine Lehramtsstudentin vor, die
kurz vor dem Examen stand und eine AG für Mädchen anbot.
„Wir wollen nur Angebote haben, die ein Schuljahr lang gesichert
sind“, erinnerte die Schulleiterin. Da erwachte ein Mitbewerber
und sagte zur Examenskandidatin: „Wenn Sie jetzt Ihr Examen
machen, werden Sie sich doch sofort um einen Arbeitsplatz bemühen.
Wenn Sie den kriegen, sind Sie doch weg, auch während des Schuljahrs!“
– „Als Lehrerin habe ich oft nachmittags frei, da kann
ich doch nachmittags hier weiter machen“, war die Antwort.
Ich beobachtete aufmerksam diesen ganzen Basar und überlegte,
ob es für mich eigentlich peinlich sei, hier zu sitzen, weil
ich mich durch meine Vergütungsforderung schlicht (nach oben)
deklassiert hatte – oder ob mir einfach die Flexibilität
fehlt, verloren aufgrund meiner gesicherten staatlichen Anstellung.
Zwischendurch fragte ich mich sogar, ob ich nicht einfach aufstehen
und gehen sollte.
Aber dann habe ich mutig noch einmal das Wort ergriffen, habe mit
einem Verständnis heischenden Blick zu den Mitbewerbern hin
gesagt, dass unsere Leute Diplommusikpädagogen seien, mit einem
Hochschulstudium und einem Staatsexamen, dass wir sicher auch musikbetonte
Freizeitangebote machen können, aber in der Regel doch richtigen
Instrumental- oder Gesangsunterricht. Der sei eben etwas teurer.
Ich sprach nun doch von der grundsätzlichen Bedeutung des
Musikunterrichts für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung,
erinnerte daran, dass Musik für das gesamte Schulleben gut
sei, dass die Schere außerdem doch immer weiter auseinander
gehen würde: in einigen Schulen bekommen Kinder dann Instrumentalunterricht,
weil die Eltern es bezahlen, in anderen Schulen nicht. (Ich vermied
es ausdrücklich, etwas über den Unterschied zwischen Bildung/Unterricht
und Spaßprogramm zu sagen, ich vermied es auch, die Schulleiterin
aus einem anderen Bundesland zu zitieren, die zu einer Lehrerin,
die ein Angebot in der Nachmittagsbetreuung übernommen hatte,
gesagt haben soll: „Aber passen Sie auf, dass die Kinder nichts
lernen!“)
Dann bekam ich doch Unterstützung von Seiten der Schule. Lehrerinnen
betonten, dass sie an ihrer Schule sicher gern eine Bläserklasse
oder was anderes Schönes haben möchten, aber ihre Eltern
würden todsicher nichts mitfinanzieren. Jetzt müssten
sie erstmal sehen, wie weit sie mit dem Geld der Behörde überhaupt
kämen, wenn da noch etwas übrig bliebe, würden sie
sich gern wieder bei der Staatlichen Jugendmusikschule melden!
Damit war das Treffen nun nicht mehr ganz so peinlich für
mich und ich brach getröstet zu meinem nächsten Termin
auf.
Die nette Schulleiterin bedauerte noch, dass ich nicht mehr das
gemeinsame Mittagessen mit ihnen einnehmen würde, man hätte
mich doch eingeladen.