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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 5
54. Jahrgang | September
Magazin
Popmusik und Wahl 2005
Ein Wahlkampf ohne Popkultur und junge Menschen
Die Angst der Politiker im Umgang mit der jungen Generation und
ihrer Musik
Es ist wieder mal das Gleiche: Politiker und Popkultur kommen nur
zusammen, wenn es gleißende Publicity erzeugt, ein Dutzend
Kameras sicher ist – und wie bei Bundeskanzler Gerhard Schröder
auf einer Pressekonferenz am 19. August in Berlin geschehen –
ein Musiker vom Kaliber „Smudo“ (Die Fantastischen Vier)
mit ins Bild grinst. Bei beiden geht einem der Seufzer „schon
wieder“ leicht über die Lippen, fehlte nur noch, dass
der „olle“ Lindenberg aus einer anderen Fotoecke heraus
nuschelt. Die CD „Gemeinsam gegen Rechts“ („schon
wieder“) wurde da vorgestellt. Wenig Neues also im Schillerjahr
und in der Kulturgemeinschaft Deutschland. Schwierige Verhaltensmuster,
alte Gesichter.
Alleingelassen
im Parteiendschungel: junge Wähler/-innen. Foto: Ferchow
Doch wenigstens jetzt, in der heißen Phase sollte doch ein
Ruck durch die Popkultur gehen, besonders in der Jungwähler
orientierten Rock- beziehungsweise Popmusik. Quasi eine Hymne für
die folgenden vier Jahre in der Heimatsprache texten.
Suchen wir mal die Politiker und ihre Programme. Jene Abgeordnete,
die sich mit „Wir sind Helden“ oder „Juli“
in den letzten Monaten so poppig jovial im Blitzlicht aalten und
die Künstlererfolge in einen gesellschaftlichen Wandel einordneten,
den man weiter ausbauen, fördern und subventionieren müsse
– aber nur zusammen mit der Politik? Was passiert nun mit
den Resten mit der Großen Anfrage an die Bundesregierung,
die die CDU einst anregte? Ist die FDP wirklich so jung wie sie
vorgibt? Kann Frau Roth ihre „Musikmanagerin“- Erfahrungen
aus „Ton, Steine, Scherben“- Zeiten auf die Kulturwaage
hieven? Wo sind nun die Konzepte für Popkultur, die Kreativwirtschaft
und damit für einen großen Teil der Jugendpolitik? Denn
die Jugend scheint in diesem Wahlkampf außen vor zu bleiben.
SPD
Einfache Fragen also an die jeweiligen parteipolitischen Zentralen.
Fragen, die mit Hilfe der Netzauftritte der Parteien klärbar
sind und soweit möglich gar mit Stellungnahmen der jeweiligen
Ansprechpartner. Möchte man meinen. Ein Anruf in der Zentrale
der SPD löst erst einmal lautes und in Lachen übergehendes
Prusten aus: „Einen Ansprechpartner für Rock- und Popmusik?
Habe ich noch nie gehört, dass es das bei der SPD gibt“.
Nach zwei Minuten entschließt man sich doch die Abgeordnete
Monika Griefahn als Ansprechpartnerin zu benennen, die aber doch
„mehr im Bereich Kultur tätig wäre“. Eine
dürftige Auskunft, die sich dem mageren Kulturaspekt des SPD-Manifests
gnadenlos gut anpasst. Filmförderung wird freilich genannt,
Kulturpolitik als Erinnerung wird angemahnt und ein wenig schablonenartiges
Gefasel um die Definition „Kultur“ wird feilgeboten.
Konkretes fehlt ebenso wie die Begeisterung für Popkultur.
CDU/CSU
Ganz mau und annähernd verweigernd wird es bei der CDU/CSU.
Zwar weiß man in den Parteizentralen wie aus Stoibers Wolfratshausener
Gebirgsschützen-Flinte geschossen, dass „Steffen Kampeter
der Rock- und Popmann“ ist, doch der anschließende Blick
ins Wahlprogramm treibt einem doch die Tränen in die Augen.
Kein Wort über Popkultur, geschweige denn Popmusik. Weiß
Herr Kampeter das? Schliesslich waren es doch Steffen Kampeter und
sein Kollege Norbert Lammert, die einst mit großem Getöse
die Große Anfrage initiierten und die Bundesregierung in punkto
Pop- und Kreativwirtschaft festnageln wollten. Selbst Gesprächsrunden
um Radioquoten oder Ausbildungsplätze in der Phonoindustrie
gingen auf ihr Konto, doch was bleibt im Wahlkampf? Lediglich ein
paar knochige Zeilen zum Thema Kultur im Wahlprogramm: „Wir
wissen, dass der Staat nicht für Kunst und Kultur zuständig
ist, wohl aber für die Bedingungen, unter denen sie sich entwickeln
können. Wir bekennen uns zur Förderung von Kunst und Kultur
als öffentliche Aufgabe, an der Kommunen, Länder und Bund
mitwirken. Wir werden die Rahmenbedingungen für die Kultur
– unter Beachtung besonderer Zuständigkeiten der Länder
– weiterentwickeln. Dazu gehören vor allem die Verantwortung
des Bundes für die auswärtige Kulturpolitik, die Förderung
von Projekten nationaler Bedeutung, die nationale Erinnerungskultur,
die Künstlersozialversicherung sowie das Urheberrecht. Die
Rahmenbedingungen für die deutsche Filmwirtschaft sind zu verbessern,
um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern“.
Die Dauerbrenner Filmförderung und Urheberberecht benetzen
also auch bei CDU/CSU die schmalen nach Inhalt lechzenden Kulturlippen.
Einfallsreich.
FDP
Wenig besser doch üppiger langt die FDP zu. Immerhin erwähnt
man im erweiterten Dunstkreis der Popkultur die Künstlersozialkasse
(KSK) und deren notwenige Reformierung. Und: Die Parteizentrale
ist bestens informiert. Selbstverständlich gäbe es mit
Hans-Joachim Otto einen zuständigen Ansprechpartner, dessen
Telefonnummer auch sofort diktiert wird. Fast schon Übereifer,
der prinzipiell den Kulturpunkten im Wahlprogramm der FDP besser
stünde. Denn trotz KSK reduziert sich der Rest der Kulturzeilen
auf Geschwafel, Uneindeutiges und Brühiges. Stichworte sind
unter anderem Filmförderung, Gedenkstättenkonzept, Urheberrecht
oder duales Rundfunksystem. Popmusik Fehlanzeige. Popkultur wohl
eher unbekannt. Trotz Guido Westerwelle, der doch glatt ein eigenständiges
Kulturministerium aufbauen möchte.
Niedlich, rührend und herrlich realitätsfremd präsentieren
die Grünen ihre Kulturvorstellungen: „Wir Grünen
unterstützen eine starke und vielfältige Kulturszene.
Wir wollen ihre Freiräume verteidigen und ihre Rolle im öffentlichen
Raum stärken. Freie Kulturzentren und Opernhaus, Film und bildende
Künste, Theater und Klub, Literaturhaus und Laufsteg sind uns
allesamt wichtig“. Wichtig ist ja allen stets irgendetwas,
doch eine Szene, die so seit Jahren nicht mehr existiert zu schildern,
grenzt geradezu an Interesselosigkeit. Selbstverständlich tauchen
Begriffe wie Popkultur und Popmusik nicht im Ansatz auf, selbst
über die Suchmaske der Netzseite erntet man gähnende Leere.
Das freut den Jungwähler, den „Wir sind Helden“-
Hörer. Weil Entscheidungen so einfach werden. Einen Ansprechpartner
hatte man nicht parat. Gibt es laut Zentrale nicht, „da müsse
man sich per Mail an die Presseabteilung der Partei wenden“.
Aber wer möchte als junger Mensch zu den ausgehungerten Begriffen
und Alltagsaussagen wie „Goetheinstitut, Künstlerinnen
und Künstler in Deutschland brauchen angemessene steuerliche
und rechtliche Rahmenbedingungen oder Fortführung der Enquete-Kommission“
noch ein quälendes Statement hören?
Linkspartei PDS
Im Wahlprogramm der Linkspartei PDS wird es dilettantisch. Fraglich
ist, ob das Wort Kultur überhaupt bekannt ist und falls ja,
dann auch noch in einen Zusammenhang mit Jugend, Popmusik oder Zeitgeist
gebracht werden kann. Ansprechpartner sind nicht vorhanden. Gott
sei Dank fleht man da dankend gen Himmel. Wenngleich mit Annette
Mühlberg immerhin eine Ansprechpartnerin sofort zur Verfügung
steht, die freimütig bekennt, „dass die letzten Aussagen
zur Popkultur wohl aus dem Jahr 2002 stammen“. Ansonsten gibt
sie sehr offen zu, „dass es zur Kulturpolitik lediglich ergänzende
und nachträgliche Aussagen zum Wahlprogramm gäbe, explizit
zur Popkultur aber überhaupt nichts verfasst wurde“.
Jämmerlicher Blues
Ein jämmerlicher Blues, den die Parteien da aus dem letzten
Wahlkampf-Loch pfeifen. Nicht dass Popkultur die Rettung der Nation
wäre. Doch ein kleiner Schlüssel liegt sicher im Zugang
zur Jugend. Die würde gerade Fuß fassen in der Gesellschaft;
nicht selten animiert durch gesellschaftliche Bilder, die von Künstlern
wie „Wir sind Helden“ gezeichnet werden. Da wurden Entwicklungen
verschlafen und Chancen vergeben. Dass der nächste Bundeskanzler
oder die Bundeskanzlerin in gut einem Jahr wieder mit „Smudo“
von den Fantastischen Vier posie-
ren wird, die Tausendste „CD gegen Rechts“ präsentiert
wird, scheint die einzig verlässliche politische Konstante
zu bleiben. Selbst die Politikerköpfe bleiben austauschbar.
Allein Bob Dylan’s „The Times are a-changin’“
scheint als Lüge enttarnt zu sein.