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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 24
54. Jahrgang | September
Musikvermittlung
Einfach einmal zuhören
Der Flötist Andreas Haas über sein Konzept „Klassik
für Kinder“
Ein Konzert mit klassischer Musik für Kinder sollte ich gestalten.
Das war vor vier Jahren und es stellte sich mir die Frage: „Wie
kann das funktionieren?“, in einer Zeit, da die Zuhör-
und Konzentrationsfähigkeit unseres Nachwuchses durch mediale
Dauerberieselung immer problematischer wird. Und dann wollte ich
ja unbedingt die „echten“ Klassiker präsentieren,
keine flockigen Eigenkompositionen, keine atemberaubenden oder ulkigen
Klangexperimente und schon gar keinen Rap oder Hip-Hop. (Beim Hausbau
kümmert man sich auch zuerst um das Fundament und dann erst
um das Dach). Dennoch sollte meine „Klassik für Kinder“
(ich bleibe bei „Kinder“ und verzichte auf „kids“)
nicht „staubig“ oder gar langweilig sein, sondern ich
wollte Spaß, Freude, Neugier und Berührung auslösen.
Musik und Schauspiel
Gelungen ist mir dies durch die Erfindung von Timmy, der Figur
eines Flöte spielenden, kleinen Jungen. Mit seiner anfänglichen
Unlust zu üben und dem allmählichen „Warmwerden“
für Musik ist er für die zuschauenden Kinder eine Identifikationsfigur.
Timmys spannende Erlebnisse, seine Stimmungen und lustigen Kommentare
ziehen sich als roter Faden durch meine bislang drei Musikgeschichten
„Wie Timmy Lust auf Musik bekam“, „Timmy und die
Musik in Europa“ und „Timmy und die Musik in Russland“.
Spannung
liegt in der Luft. Musiktheater von und mit Andreas Haas
Dem Diktat eines kleinen Etats gehorchend habe ich die Timmy-Geschichten
als Ein-Personen-Stücke konzipiert. Doch aus der Not wurde
bald eine Tugend als ich merkte, dass mir die Rolle des Alleinunterhalters
liegt und Spaß macht.
So spiele ich auf der Bühne – teils durch Hintergrundmusik
begleitet – bis zu sieben verschiedene Querflöten und
schlüpfe in die Rolle von Timmy, aber auch in die Personen,
die er bei seinen Musikabenteuern kennen lernt. Dabei kommt mir
eine Ausbildung in Sprechen und Moderieren zugute, die ich parallel
zu meinem Musikstudium absolviert habe. Die Musikbeispiele von Bach,
Händel, Vivaldi, Mozart, Tschaikowsky, Debussy, Prokofieff
und anderen habe ich zum größten Teil selbst, in engster
Anlehnung an die Originale arrangiert.
Meist führe ich meine Programme in Grundschulen auf, und ich
habe feststellen müssen, dass zwei bis zweieinhalb Minuten
reine Musik das Äußerste ist, was man einem musikalisch
völlig unbedarften und unvorgebildeten Kinderpublikum „zumuten“
kann. Musik ist schließlich eine Sache, zu der man immer auch
noch etwas anderes tut und sei es, dass man sich mit seinem Nachbarn
unterhält.
Dennoch gelingt es durch spannende Wendungen in der Geschichte
von Timmy, durch Perücken, Hüte und andere Accessoires,
und durch Dias, die ich parallel zur Geschichte zeige, die Kinder
„bei der Stange zu halten“ und die für die Musik
notwendige Aufmerksamkeit immer wieder zu erzeugen. Es sind kleine,
dezente Hilfsmittel, die ich bemühe. Kein großes Rambazamba,
davon haben wir im Fernsehen schließlich mehr als genug. Die
Musik soll im Mittelpunkt stehen.
Und so sagte noch kürzlich ein Schulrektor zu mir: „Herr
Haas, ich finde das toll und mutig, dass Sie gerade in der heutigen
Zeit noch den Anspruch an die Kinder stellen, einfach ‘mal
45 Minuten zuzuhören.“
„Musikalische Ich-AG“
Diese musikalischen und musikpädagogischen Theaterstücke
habe ich, wie gesagt, selber geschrieben und führe sie persönlich
auf. Zur Zeit bestreite ich auch noch den gesamten technischen und
organisatorischen Apparat. Angefangen von der telefonischen Akquisition
möglicher Auftrittsorte, über das Versenden von Werbebroschüren
sowie den Auf- und Abbau der Bühne. Alles liegt in einer –
also meiner – Hand.
Gefolgt bin ich dabei im Grunde der Forderung, die man seit geraumer
Zeit immer wieder in der Musik-Szene gehört hat: „Die
Zeiten des in Watte gepackten, agenturbetreuten Künstlers sind
zunehmend vorbei; der Musiker muss sich selbst um seine Vermarktung
und um Auftrittsmöglichkeiten kümmern!“.
Der von mir eingeschlagene Weg einer „musikalischen Ich-AG“
ermöglicht es mir, einen äußerst sozialverträglichen
Preis für meine Veranstaltungen zu veranschlagen, der bislang
bei 2,- bis 2,50 Euro pro Kind liegt. (Der an dieser Stelle gern
zitierte Vergleich mit der Kinokarte ist ja hinlänglich bekannt).
Ich muss den Lesern dieser Zeitung nichts über leere „Kulturtöpfe“
und Ähnliches erzählen. Auch bei den Schulkassen sieht
es nicht rosig aus, und so ist das von mir angebotene Finanzierungskonzept
die einzige noch mögliche Form, „Klassik für Kinder“
einem breiten Publikum zu ermöglichen.
Inzwischen machen viele Eltern aber auch schon bei zwei Euro „dicht“.
Oft habe ich in den letzten Monaten von Lehrern oder Schulleitern
gehört: „Wir mussten den Eltern zusagen, dieses Jahr
keinen einzigen Euro für zusätzliche Veranstaltungen auszugeben.“
Soviel zur Situation in Deutschland im Jahre 2005. Dennoch geht
es beständig weiter. An meinem Hauptwirkungsplatz München/Bayern
habe ich einige bedeutende Träger der kulturellen Jugendarbeit
für meine Arbeit begeistern können. Die „Bayerische
Theaterakademie/Theater + Schule“ hat meine Stücke seit
2002 in ihr Programm aufgenommen. Zudem besteht ein enger Kontakt
zum Bayerischen Kultusministerium.
Als besonders glücklich hat sich die Zusammenarbeit mit dem
„Freien Landestheater Bayern“ erwiesen, dessen qualitativ
hochwertiges Opern- und Operettenprogramm durch meine Kinderproduktionen
ergänzt wird.
Ein mit zahlreichen positiven Kritiken bedachtes Hörbuch ist
bei ARS Produktion erschienen und im aktuellen LEOPOLD-Wettbewerb
vertreten.
Soeben hat der AUER Verlag ein Schulbuch mit CD zu „Wie
Timmy Lust auf Musik bekam“ auf den Markt gebracht. Darin
werden anhand von Arbeitsblättern und Lernspielen zum Beispiel
Komponistenbiografien, Epochenübersicht oder Instrumentenkunde
für die vertiefende Arbeit im Unterricht aufbereitet.
Schon 200 Kinderkonzerte
Während in der jüngeren Vergangenheit – gerade
auch in dieser Zeitung – immer wieder postuliert wurde, es
müsse mehr für die kulturelle Bildung unserer Kinder und
Jugend getan werden, habe ich „an der Basis“ schon einmal
damit angefangen: In den letzten drei Jahren habe ich etwas über
200 Kinderkonzerte mit rund 30.000 zuhörenden und – in
der Mehrzahl – begeisterten Kindern gegeben.
Ich will hier nichts beschönigen oder mit verklärtem
Blick darstellen: Kinder sind ein anstrengendes Publikum, manchmal
– je nach sozialer Struktur – gar ein unbarmherziges.
Wenn mir aber Kinder nach einer Aufführung Briefe oder Bilder
schicken, wenn sie mir stolz von ihrem eigenen musikalischen Können
erzählen, den Wunsch äußern, auch Querflöte
oder ein anderes Instrument zu lernen, spontan ihre Instrumente
mit zur Schule bringen, um an Timmys Abenteuer anzuknüpfen
oder wenn sie mir einfach die Hand schütteln, um sich für
die „schöne Musik“ zu bedanken, dann ist das schon
eine sehr erfüllende Arbeit. Diese Reaktionen zeigen mir, dass
ich mit meiner Idee auf einem mitunter zwar mühsamen aber doch
richtigen Weg bin.