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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 41
54. Jahrgang | September
Bücher
Fürs Schreiben fürs Hören
Ein Handbuch gibt praktische Tipps für Journalisten
Peter Overbeck (Hg.): Musikjournalismus (Praktischer
Journalismus, Band 59), UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2005,
366 S., € 24,90, ISBN 3-89669-422-7
Es gibt Bücher über Wissenschaftsjournalismus, es gibt
Bücher über Wirtschaftsjournalismus und es gibt eine Zeitschrift,
die sich ausschließlich an Agrarjournalisten wendet. Der „Musikjournalismus“
war ein bisher zwar nicht unbeackertes, aber doch stiefmütterlich
behandeltes Feld. Meist wurde er in Gesamtdarstellungen zum Kulturjournalismus
in einem Teilkapitel abgehandelt. Peter Overbeck, seit 1988 stellvertretender
Institutsleiter beim Aufbaustudiengang Diplom-Rundfunk-Musikjournalismus
an der Musikhochschule Karlsruhe, hat nun gemeinsam mit 18 weiteren
Autoren versucht, diese Lücke zu schließen.
Dass der Herausgeber eines Handbuches über Musikjournalismus
in Singen aufgewachsen ist, mag bereits ein gutes Omen sein. Die
sechs Kapitel seines Buches widmen sich allgemein übergreifenden
Fragen, Musikjournalismus im Rundfunk, im Kulturradio, im öffentlich-rechtlichen
Popradio, in Printmedien und Internet sowie dem Beruf „Musikjournalist“.
Von großem Nutzwert sind Beiträge, die rechtliche Fragen
behandeln sowie ein thematisches Literaturverzeichnis und ein Glossar,
in dem der Einsteiger die Fachbegriffe der Branche nachschlagen
kann.
Schade, dass auf Grund des begrenzten Umfangs Beispieltexte der
früheren Meister des Metiers fehlen. Heinrich Heines Reportage
über Paganinis Konzert im Hamburger Komödienhaus, Eduard
Hanslicks Anfeindungen gegen Anton Bruckner oder eine scharfe Kritik
des Monsieur Croche, alias Claude Debussy.
Deutlich ist zu spüren, dass die Autoren den hehren Anspruch
verfolgen, Rundfunkjournalisten zu formen, die sich vom Einheitsbrei
des Dudelfunks abheben. Radioprogramme sollen zu „akustischen
Ausstellungen“ werden. Die Autoren betonen zugleich, dass
der Musikjournalist in erster Linie seine Hörer beeindrucken
sollte, nicht seine Kollegen. Damit ihm dies gelingt, findet er
im Band „Musikjournalismus“ die wichtigsten „Regeln
fürs Schreiben fürs Hören“. Auch die anderen
Berufsfelder erfahren Wissenswertes für den Alltag: Tipps zur
Umformulierung von Pressemitteilungen, Spickzettel für Bühnenpräsentationen
und Hilfe bezüglich der Gestaltung von Themenvorschlägen.
Auch ganz praktische Hinweise zur Alters- und Gesundheitsvorsorge
haben in Overbecks Kompendium ihren Platz. Bemängeln kann der
Leser allerdings den uneinheitlichen Aufbau der Kapitel. So findet
sich das Thema „Automatische Musikplanung“ lediglich
im Kapitel „Kulturradio“, nicht aber unter „Popradio“;
manchmal werden verschiedene journalistische Darstellungsformen,
wie zum Beispiel Bericht und Kritik, in einem Kapitel behandelt,
manchmal finden mehrgliedrige Unterteilungen statt.
Das Buch befasst sich zudem mit aktuellen Fragen der Computertechnik,
mit neuer Software, Weblogs und crossmedialen Darstellungsweisen.
„Crossmedialität“ heißt das neue Schlagwort,
die neue Anforderung an den Musikjournalisten, der der veränderten
Situation in der Medienlandschaft gerecht werden muss. Damit ist
unter anderem gemeint, dass sowohl Presse als auch Rundfunk ihre
Homepages haben, die ebenso wie die „Mutterprodukte“
mit Inhalten gefüttert werden wollen.
Wer heute als Musikjournalist arbeitet, der muss medienübergreifend
geschult und tätig sein. Er muss sich auf den neuen Hörer
einstellen, dessen Vorlieben kennen, ihn aber auch überraschen
können.
Damit die Leser stets auf dem neuesten Stand sind, bietet die Website
zum Buch, „www.musik-journalismus.de“,
zusätzliche Informationen, Literaturtipps und Hinweise zur
Aus- und Weiterbildung. Im Buch genannte Links werden auf der Homepage
aktualisiert. Overbeck hat sich somit bemüht, das neue Handbuch
nach allen relevanten Seiten hin abzurunden.
Wenn auch nicht gänzlich gelungen, bedenkt man die aus Platzgründen
ausgesparten Musiksparten und wenigen Beispieltexte, übertrifft
es doch ohne Frage die bisherigen Bücher zu diesem Thema. Sie
waren eher polemisierend geschrieben (z.B. Stuckenschmidts Beitrag
„Prognosen und Irrtümer der Musikkritik“ in Heinz
Beckers Sammlung „Beiträge zur Geschichte der Musikkritik“),
griffen nur kleine Ausschnitte heraus (z.B. Gabriele Böheims
„Zur Sprache der Musikkritiken“) oder waren wie die
Dissertation von Lutz Lesle aus Gründen der Wissenschaftlichkeit
kein Vergnügen für den Leser, zudem vom heutigen Standpunkt
aus völlig veraltet.
Der Musikjournalismus ist ein spannendes Feld mit spannenden Personen.
Thomas Manns jüngster Sohn, Michael Mann, schrieb wie auch
Springer-Vorstand Mathias Döpfner seine Dissertation über
Musikkritiken. E.T.A. Hoffmann und Richard Wagner genossen es, der
Öffentlichkeit ihre Meinung zur Musik kundzutun. Sollte der
Musikjournalismus denn an Aussagekraft verloren haben? Overbeck
gibt eine zweideutige Antwort: Trotz apokalyptisch anmutender Aussagen
wie „Die Akzeptanz des Kulturradios in der Öffentlichkeit
ist im Verlaufe der letzten 20 Jahre dramatisch zurückgegangen.“,
durchzieht das Buch ein durchaus positiver Unterton. Schlussendlich
vermittelt es ein ansprechendes Berufsbild und macht Lust auf mehr
– auf mehr Musikjournalismus.