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Ausgabe 2005/09
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nmz 2005/09 | Seite 25
54. Jahrgang | September
Verbandspolitik

Kultur als menschheitserhaltendes Element

Wolfgang Gönnenwein ist neuer Präsident des Landesmusikrates Baden-Württemberg

Als Dirigent und konzeptionell denkender Leiter bedeutender Institutionen war Wolfgang Gönnenwein Rektor der Stuttgarter Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Generalintendant der Württembergischen Staatstheater Stuttgart sowie Staatsrat für Kunst im Kabinett des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth. Den traditionsreichen Ludwigsburger Schlossfestspielen – Internationale Festspiele Baden-Württemberg stand Wolfgang Gönnenwein als künstlerischer Leiter und Chefdirigent bis Ende des Jahres 2004 vor. Seit vielen Jahren ist Wolfgang Gönnenwein außerdem Vorsitzender des renommierten Deutschen Musikwettbewerbs. Jetzt wurde er als Nachfolger von Helmut Calgéer zum Präsidenten des Baden-Württembergischen Musikrates gewählt. nmz-Herausgeber Theo Geißler traf sich mit ihm zum Gespräch in der Musikakademie Ochsenhausen.

Wolfgang Gönnenwein und die Kulturpolitik

nmz: Wolfgang Gönnenwein, schon immer ausübender und weit gereister Künstler – und jetzt Kulturpolitiker. Ist das nicht ein wenig mit einem Gang aus dem Paradies in die Wüste vergleichbar?
Wolfgang Gönnenwein: Nein. Wenn Sie das als Wüste bezeichnen, dann hatte ich in den letzten 20, 30 Jahren, ob bei den Festspielen, der Stuttgarter Musikhochschule, dem Stuttgarter Staatstheater oder als Mitglied des Kabinetts von Lothar Späth, immer auch mit der Wüste zu tun. Wenn ich an die Jahre 1989/90 denke, da haben wir ganz Wesentliches zur kulturellen Wiedervereinigung beigetragen, mit unseren Kontakten nach Dresden, Berlin, Leipzig, aber auch durch das persönliche Sprechen und Verhandeln mit Michail Gorbatschow, der sich heute noch daran erinnert. Das gehört zu den Hoch-Zeiten einer solchen künstlerischen Tätigkeit. Ich war zum ersten Mal mit dem Ensemble der Ludwigsburger Festspiele im Jahr 1979/80 in Moskau und in St. Petersburg (damals Leningrad)…, auch daran erinnert man sich heute noch. Das sind Perspektiven, aus denen sich auch für heute, in einer schwierigen, möglicherweise ratlosen Zeit, Konsequenzen ziehen lassen.

Wolfgang Gönnenwein

Bild vergrößernWolfgang Gönnenwein

nmz: Damit beschreiben Sie den großen Bogen der Kulturpolitik. Jetzt sind Sie sozusagen in das Kärrneramt eines Landesmusikrat-Vorsitzenden eingetreten. Neue Besen kehren bekanntlich gut: Wie sehen Ihre Planungen aus?
Gönnenwein: Zum früheren „Besen“ ist zu sagen: Dieses Amt wurde von Helmut Calgéer über Jahrzehnte hervorragend verwaltet. Ihm sei ein herzlicher Dank gesagt. Zu Ihrer Frage: Gerade die oben genannte Sicht der großen Dinge ist in den kleinen Rahmen einer Musikschule, des Privatmusikunterrichts, des Unterrichts der Grundschulen und der darauf aufbauenden Schulen hineinzuprojizieren. Dazu möchte ich den Satz vorweg stellen: Kultur und deren Praktizierung und Realisierung ist ein globales menschheitserhaltendes Element. Es ist eine Notwendigkeit, wir sind keine Bittsteller. Wenn ich in die Musikschulen oder in die Gymnasien gehe, mit kommunalen Kulturbeauftragten oder den Ministerien rede, müssen diese wissen, dass wir etwas für unsere rechte Gehirnhälfte tun müssen, dass Phantasie, Spontaneität, Gefühl, Kreativität und Denken in Bildern Grundvoraussetzungen sind für evolutionäre Weiterentwicklungen. Entscheidend ist es auch, in den Familien der drei- bis fünfjährigen Kinder alle Voraussetzungen einer musischen Grunderziehung zu schaffen. Das möchte ich alles als musische Bildungsreform umschrieben haben.
Das ist auch Schillers Ästhetischen Briefen zu entnehmen. Wenn Schiller dort gegen die kognitive Schlagseite der Ausbildung wettert und dem entgegensetzt, wir sollten unser Empfindungsvermögen steigern. Auch wenn das pauschal formuliert ist, genau das gehört im Detail im Lehrplan, im Stundendeputat, in dem Nicht-Kaputtmachen und Nicht-in-Frage-Stellen unserer musischen Leuchttürme – den Musikschulen, aber auch den Orchestern – umgesetzt. So gesehen ist auch jedes Sich-Bemühen um musische, ästhetische Komponenten ein Beitrag zur Werte-Diskussion unserer Zeit.

Künstler und Kulturpolitiker in Einem

nmz: Eine doch zum Teil materiell sehr opportunistisch agierende Politik nimmt aber die musischen Fächer aus Lehrplänen, aus der schulischen Realität heraus. Nun lässt sich durch die Gnade eines großen künstlerischen Namens vielleicht die ein oder andere Politiker-Tür viel leichter öffnen und das klarstellen?
Gönnenwein: Durch das künstlerische Moment, den künstlerischen Einfluss gehen gewisse Türen auf. Auch da ist wiederum der alte Schiller zu rekapitulieren, der ein Werkzeug aller politischen Verbesserung sucht und es in der Wissenschaft und Kunst findet. Wenn ich sehe, wie Politiker in einem Konzert sitzen und danach – im Positiven – sehr nachdenklich werden, meine ich, wir hätten mit unserer Musik einen unglaublichen Beitrag zu leisten gegen Ratlosigkeit und Depression. Wenn ich zum Beispiel an die geniale Vertonung des Römerbriefes durch Mendelssohn Bartholdy in der Sinfoniekantate „Lobgesang“ erinnere, wo es heißt: „Und ergreifet die Waffen des Lichts!“ Das ist keine Eingrenzung auf eine konfessionelle Redeweise, sondern hier ist ein menschheitsbezogenes Licht gemeint. Ich möchte es jetzt nicht zu pathetisch machen, aber dieser Aspekt, „Und ergreifet die Waffen des Lichts“, das haben wir zu bieten, mit dem müssen wir herausfordern.

Kommunikation und Kultur

nmz: Eigentlich ist gute Kunst die beste Öffentlichkeitsarbeit für das Anliegen Bildung und Kultur?
Gönnenwein: Öffentlichkeitsarbeit, mit der wir uns einem breiten Publikum verständlich machen, hat ein starkes Defizit. Natürlich werden wir von den Musikräten in die Kommunen hinausschreien müssen: „Macht die Musikschulen nicht kaputt!“ Aber die Beständigkeit und das Ja zu diesen Einrichtungen kommt nur, wenn wir den größeren Zusammenhang erlebbar machen. Gemeinsames Musizieren ist ein menschliches Kommunizieren, das wir als eine ganz grundsätzliche, über alle Nationen hinweggehende künstlerische Tätigkeit brauchen, um unsere Ratlosigkeit und Depression zu bewältigen. Es ist für mich etwas unglaublich Tröstliches, dass unsere Kultur in Europa nach wie vor eine Kultur der Vaterländer, der Regionen ist und sich nicht in ein EU-Korsett spannen lässt. Wir sollten unter dem Aspekt der offenen Grenzen erkennen, dass sich die Kulturen der Vaterländer berühren im gegenseitigen Wettbewerb, der immer auch heißt, nicht besseres Geld zu machen, sondern gegenseitig Qualität zu provozieren und zu entwickeln, wie dies zur Zeit mit dem IRO-Orchester (Inter-Regionen-Orchester) in Ochsenhausen beglückend und überzeugend geschieht.

Der Kulturauftrag

nmz: Umso schmerzlicher ist es, wenn große Institutionen des öffentlichen Rechts, zum Beispiel eine Rundfunkanstalt, an dieser Stelle anfängt zu zweifeln, zu wackeln. Der Intendant des Südwestfunks Peter Voß behauptet ja neuerdings, der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte keinen Kulturauftrag.
Gönnenwein: Carl-Friedrich von Weizsäcker hatte recht, als er bereits vor Jahren gesagt hat: Kultur ist kein Luxus, sie gehört in den Garten des Menschlichen. Nur aus diesen grundsätzlichen Einsichten kommt die Kraft, wirkliche Veränderungen vorzunehmen.

nmz: Ist das ein Appell, den sie an eine politischen Figur wie Herrn Voß richten würden?
Gönnenwein: Auch Herr Voß wird sich dem Garten des Menschlichen nicht entziehen wollen. Es gibt durchaus politische Persönlichkeiten, die in letzter Zeit zu diesen Überlegungen nachdenklich werden. Was wir zu tun haben, ist, herausfordern und Nachdenklichkeit provozieren.

Deutscher Musikwettbewerb

nmz: Ende Oktober ist die nächste Generalversammlung des Deutschen Musikrats und der Deutsche Musikwettbewerb feiert 30. Geburtstag.
Gönnenwein: Der Deutsche Musikwettbewerb ist nach wie vor in seiner stilistischen und ästhetischen Breite eine wichtige Talentschmiede. Das Einmalige liegt in seiner Zweistufigkeit: dem normalen Wettbewerb und im Anschluss die Fördermaßnahmen, die es Preisträgern oder Stipendiaten ermöglichen, bundesweit pro Saison 20 bis 30 Konzerte zu geben.
Der Musikwettbewerb liefert ein positives Zeugnis vom Stand der Ausbildung in Deutschland, allerdings mit einem „Hab Acht-Ruf“: Qualität und Intensität der musischen Früherziehung entscheiden über die Entwicklung des Nachwuchses – bedenkliche Zeichen gibt es beim Gesang.

nmz: Ist der Wechsel zwischen Berlin und Bonn als jeweiligem Austragungsort des Wettbewerbs sinnvoll?
Gönnenwein: Es ist eine Verbeugung gegenüber dem kulturpolitischen Verdienst Bonns mit den sehr guten Arbeitsmöglichkeiten dort. Es ist auch eine Referenz an die föderale Verfassung unserer Bundesrepublik in der Kultur. Wenn ich an dieses Jahr denke, hat es in Berlin den Anschein, dass sich am Gendarmenmarkt eine gewisse Wettbewerbsgemeinde versammelt.

Laienmusik

nmz: Wir haben bisher sehr viel über den professionellen Bereich gesprochen. Der Humus einer Musikkultur in einem Land, in einer Region ist ja die Laienmusik.
Gönnenwein: Da meine ich, ist gerade Baden-Württemberg mit seinen vielfältigen und vielseitigen Verbänden im Bereich der Laienmusik und mit dem, wie man sich im Musikrat gegenseitig befruchtet, sehr positiv zu sehen. Es ist eine tolle Idee, Laienmusik und professionelle Musik in einen gegenseitigen Befruchtungsfaktor und Lernprozess zu bringen. Das möchte ich überhaupt nicht missen.

Bildungsreform

nmz: Nach allem, was hier bereits gesagt wurde: Müssen wir nicht unsere Ausbildungsstrukturen komplett neu überdenken?
Gönnenwein: Wir brauchen eine Bildungsreform, die das sinnvolle Ineinander unserer Bildungseinrichtungen wieder stärkt und deutlich macht. Da ist großes Chaos.

nmz: Es könnte doch einmal eine Aufgabe für die Musikhochschule sein, sich auf eine Region zu stürzen und diese konsequent von der postnatalen musikalischen Früherziehung bis zum musikalischen Seniorenstift musisch anzuleiten.
Gönnenwein: In der Tat, wir brauchen Kultur- und Musikinstitutionen mit Kompetenz und Glaubwürdigkeit, die in eine Gesellschaft hineinwirken, die „Vor-Bilder“ sucht. Das alles eingebunden in das Gesamtpaket unserer Wertediskussion bis zu den „Waffen des Lichts“.

 

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