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nmz-archiv
nmz 2005/09 | Seite 34
54. Jahrgang | September
ver.die
Fachgruppe Musik
Wir können nur den Hass verringern
Film über Daniel Barenboims Arbeit mit dem jüdisch-arabischen
„West-Eastern Divan Orchestra“
Ob denn Musik das Wunder vollbringe, Bestien in Menschen zu verwandeln,
fragt eine israelische Journalistin skeptisch. Daniel Barenboim
entgegnet ihr, dass die Arbeit mit dem „West-Eastern Divan
Orchestra“ natürlich keine politischen Wunder bewirken
könne, so sehr ihn das auch freuen würde. Aber zumindest
könne die Arbeit den gegenseitigen Hass zwischen Juden und
Arabern für kurze Zeit verringern und etwas Freude in das Leben
junger Menschen bringen, deren Alltag von Bombenexplosionen und
militärischen Eingriffen bestimmt ist. Das sei wenig, lohne
aber den Einsatz. Schon bei seinem ersten Besuch in Ramallah 1999
hat der weltberühmte Dirigent gespürt, wie groß
der Hunger nach Musik dort ist.
In Paul Smacznys Dokumentarfilm erzählt Daniel Barenboim von
einer berührenden Begegnung mit einem Mädchen bei seinem
ersten Besuch in Ramallah. Er fragte die Kleine, ob er wiederkommen
solle. Sie sagte: Unbedingt, denn er sei das erste „Ding“
aus Israel, das kein Soldat oder Panzer ist.
Paul Smaczny hat Barenboim und seinen 2003 verstorbenen palästinensischen
Freund Edward Said, der beim Aufbau des Orchesters half, von der
Gründungsphase an sechs Jahre lang mit der Kamera begleitet.
Herausgekommen ist ein eindrucksvolles Porträt eines einzigartigen
Klangkörpers, der den verheerenden politischen Entwicklungen
eisern trotzt. In dem Orchester spielen nicht nur Israeli und Palästinenser
Seite an Seite, es sind auch Syrer, Libanesen, Ägypter, Jordanier
und Spanier darunter.
Schon seit vielen Jahren bemüht sich Barenboim – er
ist israelischer Staatsbürger – in bewundernswerter Weise,
seine jüdischen Landsleute dazu zu bewegen, die palästinensischen
Nachbarn nicht länger auszugrenzen. Schon oft eskalierten seine
öffentlichen Auftritte zum Skandal wie zuletzt 2003, als er
anlässlich des ihm verliehenen Wolf-Preises in der Knesset
aus der israelischen Unabhängigkeitserklärung zitierte.
Diese Begebenheit bildet das Kernstück des eindrucksvollen
Films.
„Wir können nur den Hass verringern“ macht deutlich,
wie viel Energie und Herzblut Barenboim in das „West-Eastern
Divan“ investiert. „Ich schenke euch Blumen, ich lade
euch zum Essen ein, ich mache, was ihr wollt, nur spielt bitte mit
dem ganzen Bogen“, sagt er in einer Probe. Sein Charisma überträgt
sich auf die jungen Leute. Sie sind stolz, dass Barenboim mit ihnen
ebenso ambitioniert arbeitet wie mit Spitzenorchestern. Einmal jährlich
treffen sie sich zu einem mehrwöchigen Workshop, der seit 2001
regelmäßig in Sevilla stattfindet, anschließend
geht das Orchester auf Tournee.
Aber nicht nur aufs Musizieren beschränken sich die Begegnungen
zwischen den Jugendlichen, Barenboim und Edward Said. Diskutiert
wird auch. Dabei spricht Barenboim nicht nur von der Notwendigkeit,
gegen Intoleranz zu kämpfen, er geht noch einen Schritt weiter:
„Toleranz ist eigentlich ein Wort, das mir nicht behagt“,
sagt er, „denn es suggeriert unterschwellig, dass man den
anderen zwar duldet, aber für weniger gut, weniger wert, schön
oder intelligent erachtet“. In solchen Momenten sind alle
nachdenklich. Die Kamera aber hält auch ungelöste Konflikte
fest.
Die angespannte Lage im Nahen Osten hat von Jahr zu Jahr von den
Orchestermitgliedern größeren Mut erfordert, bei der
Stange zu bleiben. Offiziell ist der Kontakt zwischen Israelis und
Syrern sowie Libanesen eingeschränkt. Seit die israelische
Regierung 2004 eine kilometerlange Mauer um die palästinensischen
Gebiete zieht, ist die Situation schier ins Absurde gewachsen: Am
Ende des Films treten zwei etwa gleichaltrige Mädchen vor die
Kamera. Stel heißt die eine, Stella die andere.
Sie spielen Cello und sind Pultkolleginnen. „Es steht nichts
zwischen uns“, sagt Stella, die Palästinenserin, „wir
sind wie Schwestern, da ist keine Mauer. Aber wenn wir zurückkehren
am 1. September, ist die Mauer fertig. Ich bin sehr besorgt, denn
dann können wir uns nicht mehr sehen und ich weiß nicht,
ob ich aus meinem Gebiet wieder rauskomme“.
Kirsten Liese
Daniel Barenboim im Gespräch
Kirsten Liese: Herr Barenboim, Sie versuchen seit
Jahren im Nahostkonflikt zwischen Israeli und Palästinensern
zu vermitteln, und Ihre Reden und Appelle an Fairness gegenüber
den Arabern sind wiederholt seitens israelischer Politiker als Skandal
empfunden worden. Hoffen Sie, durch Ihre Arbeit mit dem „West-Eastern
Divan Orchestra“ eine Aussöhnung herbeiführen zu
können? Daniel Barenboim: Das wäre ein unrealistisches,
zu hoch gegriffenes Ziel. Musik kann nicht den Frieden bringen,
aber sie besitzt die Kraft, zwischen Menschen eine intensive Beziehung
aufzubauen. Denn sie spricht gleichzeitig zum Kopf und zum Herzen.
Ich möchte den jungen Leuten etwas geben, das sie nicht mehr
verlieren möchten: Einen Lebensinhalt. Denn ein Leben ohne
Musik ist ein ärmeres Leben.
Liese: Es grenzt ja an ein Wunder, wenn man bedenkt,
dass in diesem Orchester israelische und arabische Musiker harmonisch
an einem Pult spielen. Und sogar Freundschaften haben sich entwickelt.
Haben die Jugendlichen Ihr Angebot von Anfang an so positiv aufgenommen? Barenboim: Es war schon sehr schwierig am Anfang
mit Blick auf die angespannte politische Lage. Es ist ja eine Überschreitung
des Gesetzes, in Syrien wie auch in Israel, untereinander Kontakte
zu pflegen. Insofern mussten die jungen Leute großen Mut aufbringen,
zu uns zu kommen. Und auch während unserer Arbeit gab es Spannungen.
In einem Orchester spiegelt sich die Gesellschaft: Einige Musiker
sind sehr neugierig und suchen Kontakt zu anderen, andere sind zurückhaltender
oder beschäftigen sich weniger mit Politik, das finde ich absolut
in Ordnung.
Liese: War es einfach, so talentierte arabische
Musiker aufzutreiben? Barenboim: Weder Edward Said, mein palästinensischer
Freund, mit dem ich das Orchester gründete, noch ich selbst
hätten es für möglich gehalten, dass sich 200 Musiker
aus Syrien, dem Libanon, Ägypten und Jordanien für Probespiele
bewerben würden. Die Kontakte zu ihnen kamen über die
Goethe-Institute in Kairo, Amman und Damaskus zustande. Ich habe
dann ungefähr 60 Musiker gehört und konnte nicht glauben,
was ich dabei an Talenten hörte.
Liese: In den ersten beiden Jahren der Gründungsphase
wurden Sie von dem Projekt „Weimar Kulturhauptstadt ‘99“
auf Initiative seines rührigen Direktors Bernd Kauffmann gesponsert.
Wie ging’s dann weiter? Barenboim: Im dritten Jahr fanden wir Unterstützung
beim Chicago Symphony Orchestra. Das Orchester war derart angetan
von der ganzen Sache, dass es uns einlud, nach Chicago zu kommen.
So waren wir dann einen Sommer in Chicago, was eine große
Chance für die jungen Leute bot, weil sie täglich Proben
mitverfolgen konnten. Sie müssen bedenken, dass viele von denen
noch nie zuvor ein Orchester „live“ gehört hatten.
Das war eine Riesensache für die.
Liese: Warum ist der bevorstehende Auftritt in
Ramallah so bedeutend? Barenboim: Edward Said und ich waren der Meinung,
dass die Dimension dieses Projekts erst dann erreicht ist, wenn
wir in allen Ländern spielen können, die in diesem Orchester
repräsentiert sind, das heißt, in Israel, in Palästina,
in Libanon, in Syrien, in Jordanien und in Ägypten. Irgendwo
muss man anfangen.
Liese: Bereits im vergangenen Jahr wollten Sie
mit dem Orchester in Ramallah auftreten, dann aber platzte dieses
Vorhaben. Warum? Barenboim: Das hatte mit der momentanen äußerst
schwierigen Situation zu tun. Es war unmöglich, im August 2004
die Sicherheit aller Musiker zu garantieren. Unser diesjähriger
Termin verbindet sich mit der Räumung der besetzten Gebiete,
die vorher stattfindet, insofern kann das für uns schon noch
mal eine schwierige Situation werden. Aber ich glaube und hoffe,
dass diesmal nichts mehr dazwischen kommt. Die spanische Regierung
gibt uns für jedes Orchestermitglied einen spanischen diplomatischen
Pass, was ich als eine ganz erstaunliche großzügige Geste
erachte. Auch die Botschaften aus Deutschland, Spanien und Frankreich
in Ramallah helfen uns mit dem Transport.