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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 33
54. Jahrgang | Oktober
Arbeitskreis
Musik in der Jugend
Junge Musik in einer alten Stadt
750 Kinder und Jugendliche beim 12. Eurotreff Wolfenbüttel
Wolfenbüttel am Nordrand des Harzes. Vom 7. bis 11. 9. 2005
wird diese alte barocke Fürstenstadt wie alle zwei Jahre im
September quicklebendig. Für fünf Tage kommen 750 Kinder
und Jugendliche zu Besuch. Sie gehören zu 19 Ensembles aus
Deutschland sowie elf anderen Ländern Europas von Portugal
bis Weißrussland, von Israel bis zum Baltikum. Sie alle feiern
den EUROTREFF 2005, ein Jugendfestival für Chöre, Instrumentalisten
und Tanzgruppen. Im Festivalbüro im altehrwürdigen Schloss
wirbelt ein perfektes ganz junges Organisationsteam. Alles ist durchdacht,
jede einzelne Gastgruppe wird von ein oder zwei Betreuern umsorgt.
Offizielle Stellen haben dafür ein bedeutendes Wort: „Partizipation
der Jugendlichen”. Dieser jungen Truppe macht die Arbeit offensichtlich
einfach Spaß.
Viele der angereisten jungen Leute schlafen bei Wolfenbütteler
Familien. Besser und direkter kann man das Gastland nicht kennen
lernen. Der Treff für alle: das zentrale Essenszelt mitten
in der Stadt. Hier sorgt eine große Zahl freiwilliger Helfer
vom DRK für das leibliche Wohl. Beim Warten auf die Essensausgabe,
beim Sonnenbad zum Nachtisch, als Dankeschön für die DRK-Leute
- immer wieder erklingt Gesang. Alle möglichen Sprachen mischen
sich. Und in kleinen und großen Trupps sitzen sie zusammen:
Ungarn, Berliner, Weißrussen, Uelzener, Polen und Leipziger.
Man erlebt auf Schritt und Tritt, dass das nicht nur ein angeklebtes
Etikett ist, wenn der Eurotreff Teil der Kampagne „Open the
world!“ ist. Und wenn der Veranstalter Arbeitskreis Musik
in der Jugend (AMJ) darauf hinweist, dass hier ganz intensives interkulturelles
Lernen geschieht, tut er das mit Recht.
Donnerstag, morgens von 9.00 bis 13.00 Uhr: die ausländischen
Chöre treten in Wolfenbütteler Schulen auf. Besser gesagt,
sie stellen sich vor. Natürlich mit Gesang. Aber eben auch
mit Erzählungen davon, wie es bei ihnen zuhause ist. Sonntags:
jetzt erklingt die Musik aus aller Herren Länder in den Gottesdiensten
der Stadt, in Seniorenheimen und Krankenhäusern. Nein, hier
ist kein Wettbewerb im Gange. Hier geht es keinem Chor um Ehrenurkunden
oder Siegermedaillen. Die Freude, die alle selbst an der Musik haben,
lassen sie ausstrahlen auf andere: auf die Wolfenbütteler Bürger
und auf die anderen Festivalteilnehmer. Das geschieht natürlich
auch in hochkarätigen Konzerten. Davon gab es in diesen fünf
Tagen neun als Begegnungskonzerte mit jeweils drei bis vier Chören;
dazu die großen Konzerte zur Eröffnung und zum Abschluss.
Die Chöre sangen zunächst das mitgebrachte Repertoire
aus ihrer Heimat. Besonders auffällig für viele waren
dabei sicher immer noch die israelischen Stücke und ihre oriental
gefärbten Elemente. Für manche ausgesprochen gewöhnungsbedürftig
klangen die sehr laut gesungenen, fast „gebrüllten“
Stücke eines georgischen Knabenchores. Aber man erfuhr auch
den Grund dafür: viele der Lieder sind in den Bergen Georgiens
entstanden und werden von Berg zu Berg übers Tal hinweg einander
zugesungen. Und die georgischen Jungs konnten auch anders. Das zeigte
sich in ihrem Workshop, wo sie immerhin bei einem Stück mitsangen
– obwohl die meisten von ihnen keine Noten lesen können.
Eine Meisterleistung von Andreas Cessak, der die Georgier als Workshopleiter
letztlich doch zum Mittun überredet und deutlich sicht- und
hörbar motiviert hat, sich einmal auf die mitteleuropäische
Chor-Polyphonie einzulassen.
Überhaupt die Workshops! Es ist großartig, wie die
Kinder und Jugendlichen in sieben Workshops zu je zwei bis vier
Chören in vier Proben gearbeitet haben. Im knapp dreistündigen
Abschlusskonzert wurden die Ergebnisse vorgetragen. Da hatten sich
in der Arbeit mit der Französin Catherine Fender die eher slavisch-kehligen
Stimmen zweier Kinderchöre aus Rumänien und der Slowakei
so verändert, dass sie drei Lieder von Francis Poulenc französisch
leicht vortragen konnten. Berliner, Portugiesen und Esten vereinten
sich zu einem schwungvollen Jazz-Chor-Ensemble. Linus Kasten aus
Bremen hatte sie perfekt auf „groove and move“ eingestellt.
Bewegung auch in einem anderen Kinderchor-Workshop: Jacques Iberts
Geschichte eines kleinen munteren, dann aber müde werdenden
Zebus wurde nicht nur perfekt gesungen, sondern auch noch mit einer
kleinen aber feinen ganz stimmigen Choreographie in Bewegung umgesetzt.
Ein besonderes Bonbon: Wolfenbüttel feiert 2005 ein „Jahr
der Geschichte“. Der AMJ machte aus diesem Anlass Michael
Praetorius, der in Wolfenbüttel gearbeitet hat und hier begraben
liegt, lebendig. Über den Raum des Konzertortes „Lindenhalle“
verteilt wurden drei Stücke aus der Tanzsammlung „Terpsichore“
unter der Leitung von Brunhilde Holderbach und Nicoline Winkler
live gespielt und nach der überlieferten Originalanleitung
vertanzt.
Mein Resümee? Ich zitiere Dr. Uli Kostenbader, Vizepräsident
des Deutschen Musikrates aus seinem Grußschreiben an den AMJ:
„Ich finde es außergewöhnlich, was auch in für
Kultur und Musik nicht ganz einfachen Zeiten durch persönliches
Engagement, Begeisterungsfähigkeit, Visionen und organisatorisches
Geschick eben doch noch möglich ist in unserem Lande. Es wäre
wunderbar, wenn diese ‚Jetzt-Erst-Recht-Stimmung’ in
vielerlei Hinsicht ein Aufbruchsignal für musikalische Qualität
und internationale Vernetzung sein und bleiben könnte. Ich
meine jedenfalls, dass Sie stolz auf Ihr Unterfangen sein dürfen!“
Ich habe dem nichts hinzuzufügen - außer: „Herzlichen
Glückwunsch AMJ!“