[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 39
54. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Erster Gewinner ist der Wettbewerb selbst
Anspruchsvoller Leistungsvergleich: der ARD Musikwettbewerb in
München in seinem 54. Jahr
Der zunächst gefährdete Fortbestand des ARD Musikwettbewebs
scheint erst einmal gesichert. Darauf einigte sich die Arbeitsgemeinschaft
der Rundfunkanstalten in Deutschland (ARD) und der Bayerische Rundfunk.
Durch Kostenverlagerung wird es ermöglicht. Der BR trägt
künftig die Jahresfestkosten des Sekretariates alleine und
erhält sich diese einzigartige internationale Renomee-Kür
für den musikalischen Spitzennachwuchs. Die Rundfunkanstalten
der ARD bleiben mitfinanzierende Partner für diese jährliche
Begegnung und Bewährung junger Musiker aus aller Welt.
Waren
sichtlich mit Spaß bei der Sache: die Gewinner des
54. ARD Musikwettbewerbes. Foto: ARD Wettbewerb
Mit nun schon vierundfünzigjähriger Tradition eröffnet
der Rundfunkwettbewerb Münchens Konzertsaison, diesmal mit
bemerkenswert zunehmender Anteilnahme eines fachverständigen
Hörerforums. Aufmerksam begleitet es die jungen Künstler
aus aller Welt durch die drei Wettbewerbtouren. Und kritisch. Denn
in der Vergabe von Publikumspreisen während der Finalrunde
liegt zusätzlicher Anreiz. Hinter solch wundersamer Öffentlichkeitswirkung
– der zweite Eigengewinn des ARD Wettbewerbes – steckt
geglückter Medieneinsatz, und unterschwellig auch die Design-Innovation,
mit dem der ARD Musikwettbewerb neu aufzutreten verstand. Schließlich
mussten der Nachfrage wegen die Abschlusskonzerte in Münchens
größte Konzertsäle gelegt werden. Soweit die gute
Nachricht.
Und die schlechte? Der Sparstift streicht künftig jene Errungenschaften,
die der derzeitige künstlerische Leiter Christoph Poppen im
Laufe seines nun zu Ende gehenden Fünf-Jahres-Vertrages aufgebaut
hat: zum Beispiel die Anschlussförderung der ARD-Preisträger,
die diesen Wettbewerb zusätzlich zu den ansehnlichen Preisen
attraktiv, ja besonders sinnvoll machte, die kammermusikalischen
Preisträger-Festivals zu Elmau, Nymphenburg und Berlin. Aber
sie seien nicht mehr zu finanzieren. Auch eine eigene künstlerische
Leitung wird es nicht mehr geben. Die künftige Verantwortung
wird dem Chef der Hauptabteilung Musik aufgedrückt. Die Geldpreise
werden abgesenkt. Das hohe Ansehen des ARD Musikwettbewerbes unter
der weltweiten Hundertschaft anderer Wettbewerbsangebote wirkt angeknackst.
Bislang zählt der Musikwettbewerb der ARD in Europa nicht
nur zu den ältesten, sondern zu den wichtigsten und wohl auch
angesehensten Startlöchern für den professionellen Musikernachwuchs.
Wie gut, dass bis 2008 die Planung steht: weiterhin jährlich
drei Solo- und eine Ensemblewertung, die sich im vier- bis sechsjährigen
Turnus wiederholen. Für 2006 gerade ausgeschrieben: Opern-
und Konzertgesang, Klavier, Bläserquintett. Vorgesorgt sind
bereits die Kompositionsaufträge künftiger Pflichtwerke,
bestellt die Experten für die Jurygarde der nächsten Jahre.
Besonders erfreulich die auf über 70 Institutionen angewachsene
Liste derer, die für Preisträger Anschlussverpflichtungen
in Aussicht stellen und auf die man um so mehr angewiesen ist, je
mehr der Rundfunk sich aus derartiger Verantwortung zurückzieht.
Dass davon nicht nur die ersten Plätze profitieren mögen,
sei mit gutem Gewissen empfohlen. Nahezu alle, die nach München
anzureisen wagten, durchweg mit einem exzellenten Niveau, eisernem
Leistungs- und Gestaltungswillen und breitem Spielrepertoire durch
alle Epochen, verdienen jede Chance auf dem Podium, brauchen immer
wieder An- und Aufforderung zu neuer Bewährung vor interessiertem
Publikum.
In diesem Jahr lässt sich in München eine besonders dankbare
Bilanz ziehen. Es müssen Nuancen von Punkten sein, die den
Jurygremien dennoch Rangfolgen ermöglichten. Denn jeder der
jungen Musiker zeigte auf seine Weise nicht nur unglaubliche Virtuosität,
die an die Grenzen des Machbaren zu gehen scheinen. Die individuelle
Interpretation und Werkgestaltung, runder Klang der Instrumente,
jeder mit persönlicher Note, der eine mehr im kammermusikalischen,
der andere im solistischen Auftritt mit Orchester, schließlich
die Spannung, mit der der Zuhörer gefesselt wird, – das
mögen einige der Kriterien sein, die sich dann in einer Summe
zusammenreimen.
Im Finale wusste der welterfahrene Dirigent Yakov Kreizberg die
Musiker des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks anzufeuern
und zugleich die mitunter eigenen Vorstellungen der Solisten in
eleganter Weise mit dem Orchesterpart zu koordinieren. Ebenso im
feierlichen Abschlusskonzert, in dem sich die drei ersten Solo-Preisträger
präsentierten: der Ungar Szabolcs Zempléni (24) mit
Richard Strauss’ zweitem Horn-Konzert, die Chinesin Jing Zhao
(27), die sich Edward Elgars Cello-Konzert op. 85 gewählt hatte,
und schließlich der vitale Japaner Keisuke Okazaki in Brahms’
Violinkonzert op. 77.
Im Semifinale stand den Solisten das Münchner Kammerorchester
zur Verfügung, mit dem zusammen sich die zweiten Preisträger
dann auch im weiteren Abschlusskonzert vorstellen durften. Ein Mozart-Haydn-Programm,
das ohne Maestro di Cappella so rund und harmonisch lief, und man
spürte den gemeinsamen Atem von Solisten und Ensemble in einer
ungezwungenen, konkurrenzlosen Musiziersphäre: die Japanische
Geigerin Akiko Yamada (19), der russische Cellist Alexander Bouzlov
(21), die Deutsche Renate Hupka (25), gerade engagiert als Solohornistin
ins Niedersächsische Staatsorchester Hannover, und das spanische
Gebrüder-Duo Victor und Luis del Valle (25 und 22) an zwei
Klavieren, dazwischen die Uraufführungen der Auftragswerke:
Jörg Widmanns kontrastreiches, kurioses Horn-Air durch den
Kanadier Louis-Philippe Marsolais und Johannes Maria Stauds wildes,
sprödes Violonsolo „Towards a Brighter Hue“ durch
den Münchner Korbinian Altenberger (23), beide dafür mit
einem Sonderpreis belohnt.
Das Klavierduo Vilija Poskute / Tomas Daukantoas aus Litauen leitete
als weiterer zweiter Preisträger das erste Kammerkonzert mit
Saint-Saëns Beethoven-Variationen ein. Hier hatten sich im
übrigen die vier dritten Preisträger präsentiert:
der Tübinger Hornist Christoph Eß (21), der in London
und Berlin Cello-Studierende Armenier Alexander Chaushian (27),
die Deutsche Geigerin Katja Lämmermann (25), die in Boston
bereits pädagogisch assistierend tätig ist, und das russische
Klavierduo Irina Silivanova /Maxim Puryzhiskiy, die, ergänzt
um Philipp Jungk und Alexander Glöggler, Bartoks Sonate für
zwei Klaviere und Schlagzeug bravourös meisterten. Die Zwillinge
Richard und Valentin Humburger aus Mannheim verteidigten, auswendig
vorgetragen, ihren Sonderpreis für das kompliziert improvisatorisch-imitatorisch
angelegte Capriccio auf zwei Klavieren, das Mauricio Kagel als Pflichtwerk
dieses Wettbewerbes beigesteuert hatte.
13 statt der vorgesehenen 12 Preise im Geldwert zwischen 5.000
und 10.000 Euro, zuzüglich Sonderpreise von insgesamt fast
100.000 Euro, wurden diesmal vergeben. Dreizehnmal preiswürdig
befanden die vier internationalen Jurygremien, hochkarätig
besetzt aus jeweils neun Experten – hoch zufrieden mit dem
Level, zumindest in diesem Wettbewerbsjahr, in den Fächern
Violine, Violoncello, Horn und Klavierduo. Davon drei Preise und
weitere fünf Sonderpreise haben sich deutsche Musikerinnen
und Musiker erworben, und ihrer zehn zählte man auch schon
unter den 24 Semifinalisten. Dieser deutsche Anteil an der Spitze
ist ebenso bemerkenswert wie hoffnungsvoll, weil nicht alljährlich
im ARD Musikwettbewerb. Aber bemerkenswert ist auch, dass die meisten
der ausländischen Preisträger den letzten Teil ihrer Ausbildung
an Hochschulen in Deutschland absolviert oder zumindest ergänzt
haben.
Wer das Martyrium eines solchen Wettbewerbes übersteht –
der ARD Musikwettbewerb ist sicher einer der anspruchvollsten –,
hat sich vorher in etlichen anderen concorsi oder competitions,
wie dies die Biographien zeigen, übungshalber hochgedient und
damit Auftrittserfahrung gesammelt, Nerven gestählt, Aufregung
bekämpft, Repertoire erweitert, sich beraten und erneut ermutigen
lassen. Aber auch erfahren, dass für die Anforderungen und
damit die künstlerisch-technische Leistung in Wettbewerben
eine immer höhere Meßlatte gilt, will man mithalten,
sich behaupten angesichts der immer stärker werdenden hochtrainierten
Konkurrenz, wie sie vor allem aus Osteuropa und dem fernen Asien
mehr und mehr zu erwarten ist.