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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 40
54. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Versprechen auf die Zukunft
Das „musikfest berlin 05“ – ein erster Schritt
ist getan
Seit 2002 werden die traditions- und erfolgreichen Berliner Festwochen
mit wechselndem Erfolg umstrukturiert. Nach radikalen Reformversuchen,
die Publikum und Geldgeber abschreckten, kehrte das Festival jetzt
unter dem Titel „musikfest berlin 05” in vertrautere
Fahrwasser zurück. Als „großes, repräsentatives,
klangprächtiges Orchesterfest” sollte es, so Intendant
Joachim Sartorius, zu einer neuen Sicht auf die internationale Orchester-
und Ensemblelandschaft verhelfen. Jenseits der üblichen Repertoire-
und Tourneeprogramme gehe es „perspektivisch” um außergewöhnliche
Werke, um historische Aufführungspraktiken, um das Verhältnis
von moderner und Alter Musik, um Entgrenzungen.
Das
London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Kurt
Masur
Repräsentative Namen standen tatsächlich auf dem Programm.
Aber weder das London Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur noch
das New York Philharmonic Orchestra unter Lorin Maazel boten Leistungen,
die Berliner Musikfreunde in Erregung versetzten. Masur begann immerhin
mit dem neuen Stück „Das Licht des Endes“ von Sofia
Gubaidulina. Die Dramaturgie – der Konflikt zwischen untemperierten
Naturtönen des Horns und den temperierten der Streicher löst
sich „lichtvoll“ in Dur – wirkte vertraut, jedoch
überzeugte der gekonnte Umgang mit den Orchesterfarben. Danach
das wohl repräsentativste Werk der Musikgeschichte: Beethovens
Neunte. Masur stellte zu Beginn mit der Darstellung des Urchaos
eine Brücke zum Vorangehenden her, ohne freilich eine neue
Beethoven-Sicht zu finden. Immerhin überzeugte er mehr als
sein New Yorker Nachfolger Maazel, dessen behäbig-routinierte
Interpretation von Mahlers Fünfter den blassen Festspielabschluss
bildete. Dabei wären die New Yorker zu spannenderen Leistungen
fähig gewesen, wie bravouröse Trompeten- und Hornsoli
bewiesen.
Dass es auch anders geht, zeigte das Gastspiel des Concertgebouworkest
Amsterdam unter Mariss Jansons. Die Neugier des Publikums richtete
sich nicht allein auf das Orchester, das für zehn Jahre in
Berlin nicht mehr zu erleben war, sondern ebenso auf den Dirigenten,
dem an diesem Abend auch seine Kollegen Kurt Sanderling und Simon
Rattle lauschten. Tatsächlich bot Jansons eine außerordentlich
transparente Interpretation von Mahlers Sechster Symphonie. Dem
Marsch in die Katastrophe standen vital und attraktiv die Hoffnungselemente
gegenüber.
Gastspiele ausländischer Orchester mit Beethoven- und Mahler-Symphonien
sichern volle Häuser, selbst wenn diese Werke mit Berliner
Orchestern auf gleichem oder höherem Niveau zu erleben sind.
Mehr Bewunderung verdienen neuartige Programme mit Gegenüberstellungen
von Alter und Neuer Musik. Ausgesprochen intelligent geschah dies
an zwei Abenden mit dem Geiger Andrew Manze, der sechs Rosenkranz-Sonaten
von Heinrich Ignaz Franz Biber entsprechend der historischen Aufführungspraxis
darbot. Dem standen Violinwerke aus dem 20. und 21. Jahrhundert
gegenüber. Mit messerscharfer Präzision spielte Carolin
Widmann Kompositionen von Esa-Pekka Salonen, Pierre Boulez und Leoš
Janácek, die sich als Klangexperimente teilweise auf Biber
beziehen ließen. Noch lohnender war es, den Nachwirkungen
von Bachs Solo-Violinpartiten bei Bartók, Ligeti und Kurtág
nachzuspüren. Der Weg von Bartóks Sonate für Violine
solo (von Kristóf Baráti grandios dargeboten) über
Ligetis Sonate für Viola solo bis zum neuesten Werk, György
Kurtágs „Hipartita“, erwies sich als ein Prozess
der Verknappung, Individualisierung und Poetisierung. Die Sätze
wurden immer kürzer, während sich ihre Zahl vergrößerte.
Die japanische Geigerin Hiromi Kikuchi hatte eine Mauer von 11
Notenpulten aufgebaut, um die ihr gewidmete „Hipartita“
mit suggestiver Konzentration zur Uraufführung zu bringen.
Die acht Tanz- und Charakterstücke stecken voller Querverweise
und persönlicher Bezüge. Oft werden poetische, teilweise
rätselhafte Inhalte bildhaft ausgedeutet. So zeichnet der dritte
Satz mit pesante-Akzenten die langsamen, schweren Schritte von Pilgern
nach. Nach einem wilden Perpetuum mobile endete das Werk mit einem
sehnsuchtsvollen Ungarn-Bekenntnis.
Für so interessante Konzepte, wie sie auch das Freiburger
Barockorchester mit dem schon in Luzern vorgestellten Programm „About
Baroque“ bot, war allerdings nur eine begrenzte Zuhörerzahl
zu gewinnen. Die Idee, leere Plätze mit unruhigen Jugendgruppen
zu füllen, erwies sich nicht immer als sinnvoll. Schwach besucht
war auch das Konzert des SWR Sinfonieorchesters mit dem ausgezeichneten
SWR Vokalensemble. Auch das neue Violinkonzert von Thomas Adés
konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Nach einer unglücklichen
Unterbrechung wurde in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit den Philharmonikern
wieder aufgenommen. Der auch privat motivierten Liebe Sir Simon
Rattles zu Tschechien verdankte sich ein Janácek-Schwerpunkt,
dessen Höhepunkt erwartungsgemäß die von ihm geleitete
konzertante „Jenufa“ mit Karita Mattila als Titelfigur
und dem gut aufgelegten Berliner Rundfunkchor darstellte. Einen
aufschlussreichen Blick auf den frühen Janácek boten
Marek Janowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit der
stilistisch noch von Smetana und Wagner geprägten heroischen
Oper „Sarka“ (überzeugend Eva Urbánova in
der Titelrolle). Ergänzt wurde dies durch Janáceks Streichquartette
mit dem Škampa-Quartett, durch seine Lieder mit Iva Bittová
und die Sinfonietta mit dem SWR-Orchester. Von der Berliner Presse
wurde das kleingeschriebene „musikfest“ noch kleiner
geschrieben und sogar als „Mogelpackung“ bezeichnet.
Tatsächlich hoben sich viele der insgesamt vierzehn Konzerte,
die innerhalb von zwei Wochen zu erleben waren, aus dem auch sonst
attraktiven Konzertalltag Berlins zu wenig markant hervor.
Die regelmäßig im August durchgeführte Reihe Young
Euro Classic war als Orchesterfestival bislang spannender. Aber
das musikfest berlin 05 ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Wenn das Profil noch weiter geschärft wird, die angedachten
Perspektiven konsequenter realisiert und die Gastorchester (2006
unter anderem das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst,
das Mahler Chamber Orchestra unter Daniel Harding und erneut das
Concertgebouworkest unter Jansons) mehr als bisher ins Programmkonzept
eingebunden werden, könnte das „musikfest“ auf
lange Sicht die Attraktivität der früheren Festwochen
wiedergewinnen.