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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 10
54. Jahrgang | Oktober
Cluster
Bilanz-Arena
Es ist schon fast sehr lange her, da meinte es ein bundesdeutscher
Kanzler gut mit uns und gab die Empfehlung heraus, man müsse
den Gürtel enger schnallen. Das sagte er, der locker weit über
100 Kilogramm auf die Waage brachte. Hat sich damals jemand die
Mühe gemacht, sich diese Leute anzusehen, die wie die Wurst
aus der Pelle schauten, qualvoll quellend. Da würde sogar ein
Placido die Platzidität übersteigen. Das also musste verhallen.
Man übte sich ja auch anderswo anders. Nämlich in Diäten
oder wie es die Wirtschaftsgeneräle nannten: Eine Körper-Reform
wurde verabreicht. Der Kultur gegenüber verkaufte man es als
„Gesundsparen“. Das klingt zwar nicht schön, aber
fast medizinisch korrekt. So adrett, dass mir ein Musikdramaturg
die Verwendung dieses Begriffs unter Androhung physischer Gewalt
untersagen wollte. Was man denn da „gesundspare“, das
werde nämlich krank. Sparwuchs auch in der Musikkultur ist
dennoch up to date. Denn am Sparen kann man nicht zu wenig sparen.
Die Zeiten gehen nicht nach Kunst und Bildung, sondern nach deren
Vernichtung. Der sozialistische Alt-Ossi Richard Wagner wusste dies
genau, als er auf die Barrikaden ging. Er verlangte eine Revolution,
nicht eine popelige Reform. Nachdem er den „unentgeldlichen“
Zugang zum Theater forderte, mahnte er an: Die „Sache des
Staates, oder mehr noch der betreffenden Gemeinde, müsste es
aber sein, aus gesammelten Kräften die Künstler für
ihre Leistungen im Ganzen, nicht im Einzelnen zu entschädigen.
Wo die Kräfte hierzu nicht hinreichen, würde es für
jetzt und für immer besser sein, ein Theater, welches nur als
industrielle Unternehmung seinen Fortbestand finden könnte,
gänzlich eingehen zu lassen…“.
Nicht enger schnallen, locker machen. Man braucht nicht mehr Kulturmanager,
sondern mehr befreite, freie Kunst. Okay, geht nicht, will keiner,
ist zu aufwendig, macht Arbeit – war ja nur so eine Idee;
wie damals 1848, als man Theater und Kunst wollte und keine reine
Bilanz-Arena.