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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 17
54. Jahrgang | Oktober
Hochschule
Neugierig aufs Neue
Das Institut für neue Musik in Dresden
Am 26. Oktober wird das Institut für neue Musik an der Dresdner
Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“, die
2006 ihr 150-jähriges Jubiläum begehen kann, mit einem
Festakt gegründet. Für die neue musikzeitung hat Meret
Forster mit dem Institutsleiter, Musikwissenschaftler und Publizisten
Jörn Peter Hiekel über Aufgaben und Ziele des Instituts
gesprochen.
neue musikzeitung: In Darmstadt gibt es seit 1952
das Institut für Neue Musik und Musikerziehung und an einigen
Musikhochschulen weitere Institutsgründungen. Was motivierte
die Gründung eines Instituts für Neue Musik an der Dresdner
Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“?
Dr.
Jörn Peter Hiekel vor der Hochschule für Musik
„Carl Maria von Weber“ Dresden. Foto: Archiv
Jörn Peter Hiekel: Ein Hochschulinstitut
und das Darmstädter Institut unterscheiden sich grundsätzlich,
selbst wenn wir zum Teil miteinander kooperieren und teilweise ähnliche
Ziele verfolgen. Wir haben natürlich keine vergleichbare überregionale
Präsenz, sondern zunächst einmal eine sächsische
und vor allem Dresdner Präsenz. Eine unserer zentralen Aufgaben
besteht darin, den Stellenwert der Neuen Musik innerhalb der Hochschule
zu stärken und im theoretischen wie praktischen Bereich einiges
an Veranstaltungen und Aktivitäten auf den Weg zu bringen,
was dann natürlich auch in der Stadt und sogar überregional
ausstrahlen darf und soll.
nmz: Wo liegt das Wirkungsfeld des Instituts?
Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?
Hiekel: Innerhalb unserer Hochschule hat die
Neue Musik einen vergleichsweise großen Stellenwert –
und es geht darum, ihn auszubauen. Ein Institut wie dieses richtet
sich auf die sinnfällige Zusammenführung aller Aktivitäten
in diesem Bereich. Es geht um die Durchführung von Workshops,
Symposien, kommentierten Veranstaltungen und – teilweise außergewöhnlich
konzipierten – Konzerten. Eine neue Konzertreihe soll ins
Leben gerufen werden, so genannte „Short concerts“,
in denen ein neues Werk mit einem alten kombiniert wird und ein
Moderator versucht, Brücken oder Widersprüche auszuloten.
Das ist ein Weg, der neue Konzertmöglichkeiten erproben will
und dabei die Neue Musik selbstverständlich mit einbezieht.
Vielleicht können so auch Leute aus der Stadt angelockt werden,
die nicht ohne weiteres in Hochschulkonzerte und schon gar nicht
in Konzerte mit Neuer Musik gehen. Vom Gründungsgedanken her
zielen wir auch auf Kooperationen, etwa mit dem Europäischen
Zentrum der Künste Hellerau, der Semperoper oder dem Societaetstheater.
Mit allen drei genannten Veranstaltern sind gemeinsame Projekte
bereits vereinbart, mit der Semperoper gibt es Jahr für Jahr
eine gemeinsame Produktion, mit Hellerau gemeinsame Konzerte und
Symposien. Kooperation ist in einer Stadt wie Dresden ohnehin von
besonderer Wichtigkeit. Und ich habe hier noch einige Partner unerwähnt
gelassen, möchte zum Beispiel auch die Kooperation mit dem
MDR erwähnen.
nmz: Wird es im Jahresverlauf fixe Veranstaltungen
geben?
Hiekel: Die Hochschule veranstaltet mehr als ein
Dutzend Konzerte mit zeitgenössischer Musik pro Jahr, mit einem
breiten Spektrum, das neben gewöhnlichen symphonischen und
kammermusikalischen Programmen auch Konzerte mit elektronischer
Musik, Improvisationen und außereuropäischer Musik umfasst.
Und im unlängst eröffneten Kleinen Haus führt unsere
Opernklasse Jahr für Jahr unter besten professionellen Bedingungen
auch zeitgenössische Musiktheaterwerke auf.
nmz: Inwieweit soll das Institut ein Forum für
interdisziplinären Austausch sein zwischen Produktion, Reproduktion
und Reflexion von Gegenwartskunst?
Hiekel: Ein Institut an einer Musikhochschule
ist heute kaum mehr denkbar ohne einen interdisziplinären Ansatz.
Der Praxis-Theorie-Bezug ist dabei von vornherein klar. Ein Dreiergremium
steht dem Institut vor, dem neben mir Wilfried Krätzschmar
als Komponist und Christian Münch als Dirigent angehören.
So haben wir von vornherein bei den Planungen Absprachen an der
Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis. Und ich selbst bin ja
auch eingebunden in die Aktivitäten des Instituts für
Musikwissenschaft der Hochschule.
Zu den interdisziplinären Projekten gehören Aktivitäten
in Kooperation mit anderen Veranstaltern, etwa auch universitären
Instituten. Dabei versteht es sich für eine Musikhochschule
von selbst, dass solche Kooperationen nicht zuletzt durch unseren
Beitrag einen starken praktischen Akzent erhalten sollen. Ohnehin
sollten Konzerte im Zusammenspiel mit theoretischen Veranstaltungen
prinzipiell mehr sein als bloß eine hübsche Begleitmusik
– was übrigens auch umgekehrt gilt. Grundsätzlich
hat das Institut – und das ist vielleicht die wichtigste Parallele
zum erwähnten Darmstädter Institut – das Ziel einer
Stärkung des Vermittlungsaspekts. Aus meiner Erfahrung heraus
ist das Bedürfnis von Zuhörern, auch in Konzerten erhellende
Moderationen zu erhalten, in den letzten Jahren wieder erheblich
gestiegen. Und wir nehmen erfreut zur Kenntnis, dass zu kommentierten
Konzerten – bei denen zum Teil auch ungewöhnliche Formen
der Vermittlung erprobt werden können – insgesamt recht
viel Publikum kommt.
nmz: Wie weit ist das ästhetische und thematische
Spektrum?
Hiekel: Es gibt in einer Stadt wie Dresden und
in einer Region wie Sachsen spannende Kräfte, die wir einbringen
wollen. Und auch im Bereich der Reflexion sind uns regionale Akzente
wichtig, wir planen etwa Forschungsprojekte zur DDR-Musik. Aber
es geht auch immer um internationale Dimensionen, teilweise um Perspektiven,
die bisher zu wenig vorgekommen sind. Einige der eingeladenen Komponisten
– wie etwa Vladimir Tarnopolski und Chaya Czernowin –
kamen ganz bewusst nicht aus unseren Breitengraden und waren vielen
Dresdnern unbekannt. Das gilt erst recht für außereuropäische
Musik, die in unseren Aktivitäten ja auch eine Rolle spielt.
Regionalität und Internationalität – beide Seiten
sollen Beachtung finden. Und stilistisch ist das Geplante ohnehin
weit gefächert.
nmz: Wie wird die Arbeit des Instituts finanziert?
Hiekel: Für einzelne unserer Symposien haben
wir Drittmittel bekommen, etwa von der DFG. Unser Hochschuletat
ist nicht riesig groß. Deshalb sind solche Drittmittelanträge
speziell für die wissenschaftlichen Projekte notwendig und
nahe liegend. Gastvorträge oder Workshops wurden und werden
natürlich auch vom Etat des Hochschulfachbereichs getragen,
dies gilt auch zum Beispiel für das erwähnte Hölszky-Symposion.
nmz: Was haben Sie für das Hochschuljubiläumsjahr
geplant?
Hiekel: Wir haben einige Aktivitäten in
der Stadt vor, bei denen die Neue Musik auch außerhalb der
Hochschule bestimmte Orte bespielt und erfrischende Impulse zu setzen
versucht. Im Kleinen Haus ist fürs nächste Jahr die Uraufführung
der „Schlüsseloper“ von Wilfried Krätzschmar
geplant, in der kleinen szene der Semperoper ein Musiktheaterwerk
des neuseeländischen Studenten Alwyn Westbrooke. Und es wird
einige überregionale Gäste geben. Vorgesehen ist etwa
eine ganze Projektwoche mit Helmut Lachenmann, in der er sich im
Gespräch äußern wird und mit Studenten arbeitet.
Ich biete begleitend ein Seminar über ihn an, und es gibt
ein Porträtkonzert. Die neue Reihe „Short concerts“
wird an einem jour fixe stattfinden, mittwochs einmal im Monat um
17 Uhr. Und wir planen auch ein gemeinsames Symposion mit dem Europäischen
Zentrum der Künste. Eine Workshop-Reihe mit außereuropäischer
Musik ist konzipiert, außerdem ein Korea-Projekt mit Musik
von koreanischen Kompositionsstudenten sowie Werken von Isang Yun
und Klaus Huber.
Mit Exkursionen ans Darmstädter Institut zur alljährlichen
Frühjahrstagung oder zu den Donaueschinger Musiktagen bekommen
Studenten die Möglichkeit, Neue Musik an einschlägigen
Veranstaltungsorten zu erleben. Erfahrungsgemäß werden
die Studenten besonders gepackt von der Selbstverständlichkeit
und Nachdrücklichkeit, mit der dort Gegenwartsmusik präsentiert
und diskutiert wird. Überhaupt können ja Exkursionen und
Austauschprojekte die Hochschularbeit wunderbar beflügeln.
Und das gilt für die Neue Musik, die für das Ablegen von
Scheuklappen steht wie kaum ein anderer Bereich, vielleicht ganz
besonders.
Zu hören auf MDR Figaro:
Sendung Neue Musik, 27.10.05, 20 bis 22 Uhr. Abdruck mit freundlicher
Genehmigung von Triangel