Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2005/10
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2005/10 | Seite 32
54. Jahrgang | Oktober
Jugend musiziert

Gemeinsame Suche nach der Wahrheit

Professor Inge-Susann Römhild über den 42. Deutschen Kammermusikkurs

Zu einer musikpädagogisch langfristig angelegten Betreuung von „Jugend musiziert“-Teilnehmern gehörte es, so früh wie möglich den Zugang zu den verschiedensten Formen des Kammermusikspiels zu öffnen. Zu diesem Zweck wurde bereits ein Jahr nach der Gründung des bundesweiten Wettbewerbs „Jugend musiziert“ der Deutsche Kammermusikkurs ins Leben gerufen. Zusammen mit dem 1969 gegründeten Bundesjugendorchester stellen diese beiden Projekte den Schwerpunkt der Weiterbildungsarbeit für Nachwuchsmusiker im vorprofessionellen Bereich dar. Vom 29. August bis 11. September fand in der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung der nunmehr 42. Kammermusikkurs „Jugend musiziert“ statt. Susanne Fließ sprach mit der künstlerischen Leiterin des 42. Deutschen Kammermusikkurses Professor Inge-Susann Römhild.

Susanne Fließ: Die künstlerische Leitung des Kammermusikkurses wechselt von Jahr zu Jahr. Vergangenes Jahr war der Geiger Thomas Brandis künstlerischer Leiter, kommendes Jahr wird es der Flötist Hartmut Gerhold sein, Sie selbst leiten den Kurs nach 2002 zum zweiten Mal. Woran erkennt man die jeweilige „Handschrift“ der Kursleitung?

Inge-Susann Römhild: Im Jahr 2002 war das Prozedere insofern ein wenig anders, als ich nach dem Tod von Gerhard Hamann in den bereits durchorganisierten Kurs eingesprungen bin, so dass ich mit der Dozenten- und Werkauswahl nichts zu tun hatte. In diesem Jahr lagen die Auswahl des Dozententeams, der Werke und der Bewerber das erste Mal in meiner Hand.

Fließ: Worauf legten Sie bei der Auswahl der Dozenten besonderen Wert?

Römhild: Ich halte zwei Aspekte bei der Auswahl der Dozenten für entscheidend: Sie sollen sich in ihren Stärken ergänzen und sie sollen sich verstehen.

Sinnvolle gemeinsame Kammermusikarbeit erfordert Offenheit und Anerkennung gegenüber den Kollegen. Jede Abgrenzung oder gar Selbstverliebtheit betrachte ich als Störfaktor. Das Dozententeam wurde von mir in der Hoffnung zusammengestellt, dass alle in aufgeschlossener und kritischer Harmonie zusammenarbeiten können. Die schönste Bestätigung dafür, dass sich diese Hoffnung erfüllt hat, ist, dass jeder einzelne Dozent sich für die wunderbare besondere Zeit bei mir bedankt hat. Das hat mich glücklich gemacht, weil unsere jungen Musiker davon profitiert haben.

Alles steht in den Noten

Fließ: Im Dozententeam des Kammermusikkurses wirkte in den vergangenen Jahren immer auch ein junger Komponist mit, der zusammen mit den Teilnehmern eigene Werke erarbeitete. In diesem Jahr wurde ein Musikwissenschaftler und Brahms-Spezialist eingeladen.

Römhild: Ich habe bewusst von bewegungstherapeutischen Stunden oder vom Singen Abstand genommen, um zu zeigen, wie wichtig die Beschäftigung mit dem Notentext, der Entstehungszeit und dem Umfeld eines Werkes ist. Es steht fast alles im Notentext, man muss ihn nur aufmerksam lesen und gegebenenfalls vergleichen.

Als Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck hat Prof. Dr. Wolfgang Sandberger anhand einiger Handschriften auf Besonderheiten und nachträgliche Veränderungen des Komponisten hingewiesen. Seine Beziehung zu Brahms war einer der Gründe, weswegen ein Schwerpunkt der Literaturauswahl des Kurses auf Brahms und auf Komponisten seines Umfeldes lag. Von den Notentexten und einem Brief wurde dann die Brücke zu Begebenheiten im Leben von Brahms geschlagen, die wiederum Rückschlüsse auf seine Kompositionen zulassen. Wir hatten beabsichtigt, den jungen Musikern zu verdeutlichen, dass es sehr bereichernd und sinnvoll für ihre Arbeit ist, sich mit lebendiger Musikwissenschaft zu befassen. Das ist nach meiner Einschätzung gelungen.

Fließ: Inwiefern trägt der theoretische Zugang zu Musikwerken zum Verständnis für das praktische Musizieren bei?

Römhild: Jeder Dozent arbeitet aufgrund des vorliegenden Notentextes und wird Hintergrundinformationen liefern, die zu einer besseren Umsetzung und Interpretation des Werkes führen. Einmal beispielhaft detailliert von einem Musikwissenschaftler mit Informationen versorgt zu werden, hat sicherlich dazu beigetragen, die Neugier und den Grad der Wachheit unserer Kursteilnehmer zu steigern.

Fließ: Nach welchen Kriterien findet die Literaturauswahl für den Kurs statt?

Römhild: Es gibt unterschiedliche Ansätze. Ich denke an meine eigene Jugend: Wir wollten damals durchaus die großen und bekannten Werke der Literatur spielen und mochten nicht so recht in die Schublade „zu Unrecht vergessen“ greifen. Heute als Pädagogen allerdings führen uns die großen Werke zu einer Gratwanderung, auf der man entscheiden muss, welche Stücke für wen „spielbar“ in technischer, intellektueller und emotionaler Hinsicht sind.

Ein weiterer Faktor ist die Qualität des Unterrichts. Man darf im Unterricht nicht zu Gunsten von Quantität über Fehler und Mängel hinweggehen. Lieber arbeitet man einen Satz gut als ein ganzes Stück im Überflug. Gehaltvolle Werke und qualitätvoller Unterricht ermöglichen den jungen Musikern interessantes und bereicherndes Arbeiten. Jede Kursleitung muss für sich entscheiden, mit welchem Literaturangebot sie meint, dieses Ziel erreichen zu können.

Fließ: In der gedruckten Einladung zum Kammermusikkurs 2005 sprachen Sie unter anderem von Eigenschaften wie Toleranz, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, die der Kurs und die Kammermusik vermitteln können. Wie sieht die Vermittlung dieser Tugenden praktisch aus?

Römhild: Im Ensemble muss man als Erstes gut vorbereitet sein. Ich muss meinen Part beherrschen und sollte die Partitur kennen. Dann muss ich gemeinsam mit meinen Partnern den „handwerklichen“ Teil erarbeiten und mich dann über Dinge wie Stil, Tempo, Farbe, Stimmung, Agogik austauschen. Um zu einem guten Ergebnis zu kommen, müssen die genannten Tugenden ausgeprägt sein. Im Kammermusikunterricht zeigt der Pädagoge, wie man gemeinsam arbeitet und woran man gemeinsam arbeiten muss. Dazu gehören – falls notwendig - ebenfalls Hinweise auf Probendisziplin und einen respektvollen Umgang miteinander.

Fließ: Zum Kammermusikkurs reisten dieses Jahr 44 Jugendliche. Die wenigsten kamen dabei mit ihrem festen Ensemble, so dass sich die Gruppe vermutlich zu Beginn als recht disparat darstellte.

Römhild: Es ist sehr schwierig, aus Einzelteilnehmern ausgeglichene Ensembles zusammenzustellen, ohne jeden Spieler zu kennen. Zwar müssen die Teilnehmer angeben, in welcher Kategorie des Bundeswettbewerbs sie welchen Preis gewonnen haben. Das Gefälle des Niveaus zwischen den einzelnen Wertungsarten ist allerdings aufgrund der Vielfalt des Angebots so groß, dass die Aussage über einen ersten Preis kaum einen Rückschluss auf die Qualität des Teilnehmers zulässt, ausgenommen vielleicht in den Solowertungen. Man kann Enttäuschungen, aber auch Überraschungen erleben. Folglich spielt das Glück eine gewisse Rolle bei der Zusammensetzung der Ensembles.

Umso größer ist die Freude, wenn eine anfangs inhomogene Gruppe durch harte Arbeit zu einem akzeptablen Ensemble wird, das im Rahmen seiner Möglichkeiten das Beste leistet. In diesem Jahr waren die Leistungen überwiegend sehr erfreulich, denn am Ende des Kurses war deutlich, dass die Spieler in der Lage waren, aufeinander zu hören und zu reagieren. Teilweise konnte man von überzeugenden geschlossenen Leistungen sprechen.

Das Ziel: gemeinsame Suche

Fließ: Anfang November wird der Deutsche Musikrat in Berlin eine Tagung mit dem Titel „Interkultureller Dialog – kulturelle Identität“ veranstalten. Die Teilnehmer bei “Jugend musiziert“ und beim Kammermusikkurs sind oft Jugendliche, die nicht von Geburt an in Deutschland wohnten, sondern oft erst später nach Deutschland gezogen sind und ihr Instrument oftmals in Kiew, Helsinki, Alexandria oder Istanbul erlernt haben. Halten Sie Kammermusik für ein taugliches Mittel, Integration zu fördern und damit den Dialog junger Leute untereinander?

Römhild: Selbstverständlich! Nur über den Dialog gelangt man zu einer kammermusikalisch überzeugenden Leistung, die den Anforderungen gerecht wird, die das Werk und der Komponist stellen. Das gemeinsame Ziel ist nicht vordergründige Selbstdarstellung, sondern gemeinsames Suchen nach der Wahrheit. Das geht nur im gleichberechtigten Dialog, der sich an fachlichen Tatsachen orientiert. Und wie in jeder anderen Disziplin, kann man Fähigkeiten übertragen. Eines ist mir vor allem wichtig: Man kann sich in der Kammermusik als Mensch nicht verstecken. An irgendeiner Stelle werden unser Inneres, unser Wesen, unser Temperament, unsere Fähigkeiten mit Stärken und Schwächen offenbar. Das kann eine sehr heilsame Erfahrung sein, wenn wir sie zulassen.

Fließ: Die finanzielle Ausstattung des Kammermusikkurses liegt seit vielen Jahren bei rund 50.000 Euro. Ist die Realisierung Ihrer künstlerischen und pädagogischen Ziele damit in angemessener Weise möglich?

Römhild: Allen, die den Kammermusikkurs fördern, kann man nicht hinreichend danken. Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang auch die Dozenten einschließen, denn sie engagieren sich für eine kaum nennenswerte Aufwandsentschädigung. Alle hätten die Möglichkeit, bei anderen Kursen und bei Festivals, die im Sommer laufen, wesentlich mehr Geld zu verdienen. Aber es geht den Dozenten darum, die jungen Musiker zu fördern, weil ihnen das Bewahren unserer musikalischen Tradition ebenso am Herzen liegt wie deren Weiterentwicklung. Deshalb sagen sie ihre Mitarbeit beim Kammermusikkurs zu. Man kann nur hoffen, dass möglichst viele engagierte Kollegen auch weiterhin so denken, denn es gibt sicherlich Grenzen.

Gefährlicher Jugendwahn

Fließ: Für welchen Aspekt wünschen Sie sich noch mehr finanzielle Unterstützung?

Römhild: Die Angebote, die den jungen Menschen heutzutage gemacht werden, sind sehr reichhaltig. Für mein Empfinden werden manche jungen Musiker zu früh zu viel herumgereicht. Dadurch glauben sie gelegentlich, in ihrer Leistungsfähigkeit weiter zu sein, als es den Tatsachen entspricht. Wenn der Jugendwahn bei Agenturen und Publikum verflogen ist, kommt das Erwachen. Einige merken dann, dass sie sich mehr dem „Basiskönnen“ und den oben genannten Tugenden hätten widmen sollen, oder sie sind frustriert.

Deshalb wünsche ich mir mehr Förderung, um mehr junge Musiker zu Kammermusikkursen einladen zu können. Insgesamt sind wir leider so weit, dass offensichtlich viele Lehrer und Schüler glauben, auf diese Art früher kammermusikalischer Ausbildungsförderung verzichten zu können. Das halte ich für zu kurz gedacht. Man müsste vielleicht eine Gesamtförderung von der Erfüllung gewisser Bedingungen abhängig machen, denn die Zeiten, in denen man Leistung nicht abfordern durfte, sind glücklicherweise vorbei. Wer Kammermusikkurse lediglich als Freizeitbeschäftigung empfindet, hat nicht verstanden, worum es geht.

Fließ: Sie selbst sind mehrfache Bundespreisträgerin “Jugend musiziert“ gewesen. Heute sind Sie Rektorin der Musikhochschule Lübeck. Ihr Kontakt zum musikalischen Nachwuchs ist nie abgerissen. Sie kennen seine Wünsche und Träume. Als renommierte Kammermusikerin kennen Sie andererseits den Markt und seine Bedingungen sehr genau. Welchen Weg hat die musikalische Ausbildung in Deutschland nach Ihrer Einschätzung in den letzten Jahren genommen?

Römhild: Eine ausreichende Antwort auf diese Frage würde Seiten füllen, aber so viel sei gesagt: Die Hochschulen müssen dem Berufsbild, das sich verändert hat und weiter verändern wird, Rechnung tragen, indem sie für ein viel breiteres Berufsbild und das Selbstmanagement, so schrecklich dieses Wort und sein Inhalt für einen Musiker auch sein mögen, ausbilden. Die meisten Musikhochschulen tun dies inzwischen.

Das wesentlich größere Problem liegt in der Früherziehung im Kindergarten- und Schulalter. Zu wenig Musikunterricht, zu wenig Wahrnehmung, zu wenig Sensibilität, zu wenig Leistungsbereitschaft und Leistungsforderung in der Gesellschaft haben den deutschen Nachwuchs trotz steigender Zahlen bei Teilnehmern an Jugendwettbewerben in die zweite Reihe treten lassen. Längst haben ihm an den Musikhochschulen bei den Aufnahmeprüfungen die besser ausgebildeten jungen Musiker aus anderen Ländern den Rang abgelaufen. Für die Politik ist es „Fünf nach Zwölf“, auf die Erfordernisse der musikalischen Ausbildung unserer Jugend zu reagieren.

Fließ: Mit welchen Erkenntnissen gehen die Jugendlichen nach zwölf Tagen Kammermusikkurs Ihrer Meinung nach Hause?

Römhild: Sie haben gemerkt, welche Anforderungen erfüllt werden müssen, um eine gute Leistung zu erbringen. Sie haben viel Spaß an der Arbeit gehabt. Sie haben entdeckt, dass zu viel Selbstbewusstsein ebenso hinderlich sein kann wie zu große Schüchternheit.
Sie haben gespürt, dass jedes Ensemblemitglied gleichermaßen wichtig ist. Sie haben die Kraft guter Musik erahnt und teilweise erfahren.

Fließ: Frau Römhild, vielen Dank für das Gespräch.

 

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |