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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 8
54. Jahrgang | Oktober
Magazin -
Tobias PM Schneid
Schneids Alchemie der Klänge
Tobias PM Schneid: prelude I: harmonic encounters, weird
scenes inside the mirror cages I, vertical horizon I, umbrella &
sewing machines, I’m dancing on the edge of time II, the lonely
monk’s reflections II; Carl Rosman – Klarinette,
Ulrich Löffler – Klavier, musikfabrik, Peter Rundel
Deutscher Musikrat und Deutschlandradio, 2005
Wenn man die CD zum ersten Mal in die Hand nimmt, fallen vor allem
die Titel ins Auge. „Weird scenes inside the mirror cages“,
„umbrellas & sewing machines“ oder „the lonely
monk’s reflections on reprocreational aspects in fractal organizations“
sind nicht gerade die selbstverständlichsten Bezeichnungen
für musikalische Werke, auch wenn es sich um Neue Musik handelt.
Fünf Ensemblestücke und eine Solokomposition („Vertical
Horizon I“ für Klarinette) bilden das Porträt des
deutschen Komponisten Tobias PM Schneid. Die Platte ist in der Reihe
„Edition Zeitgenössische Musik“ des Deutschen Musikrates
erschienen.
Nach dem ersten Durchblättern des Booklets könnte man
befürchten, man hätte es mit noch einem Künstler
zu tun, der seine unübersichtlichen Partituren mit bizarren,
wortspielerischen Titeln aufzuwerten versucht, was bei den zeitgenössischen
Komponisten leider nicht selten der Fall ist. Schon beim ersten
Anhören werden jedoch alle Bedenken zerstreut. Die Überschriften
öffnen nicht nur weite Assoziationsfelder für den Zuhörer.
Sie spiegeln auch den Reichtum an musikalischen Ereignissen in den
Werken wider, die von einer enormen Kreativität und einer erstaunlichen
Vielfalt an kompositorischen Vorgehensweisen gekennzeichnet sind.
Ganz bewusst bildet Tobias PM Schneid seine bunten, magischen, ja
manchmal nahezu surrealistisch scheinenden Klangwelten. Auch wenn
die ephemere Statik der kaum wahrnehmbaren Geräusche mit den
knackigen, kraftvollen Jazzrhythmen oder der fragilen, melancholischen
Melodik verbunden ist, ist die kompositorische Logik und eine durchdachte
Ordnung der Konstruktionen, die keinen Zufall zulässt, deutlich
zu spüren. Schneid setzt sich besonders gerne mit scheinbar
unvereinbaren Gegensätzen der musikalischen Materie auseinander,
ohne sich in Gefahr des kitschigen Eklektizismus zu begeben. So
ist zum Beispiel das erste Stück, „Prelude I: Harmonic
Encounters“ für sieben Instrumente, ein durchaus gelungener
Versuch, harmonische Oppositionen in eine neue Klangqualität
zu verschmelzen. Die Suche nach einer Synthese, nicht nur auf der
harmonischen Ebene, sondern eigentlich in allen möglichen Musikschichten
und -dimensionen, ist auch ein besonderes Kennzeichen aller anderen
Kompositionen. Auch wenn während des Hörens von „weird
scenes inside the mirror cages I“, „I’m dancing
on the edge of time“ oder „the lonely monk’s reflections...“
zahlreiche Assoziationen unter anderem mit Crumbs Kammerwerken,
Ligetis Etüden oder mit Lutoslawskis später Verkettungstechnik
entstehen, sind die irgendwie vertrauten musikalischen Inhalte in
Schneids eigener, erkennbarer Sprache wiedergegeben. Die oft nachhallenden
Jazz-Echos zeugen von der Rolle der Jazz-Inspirationen für
den Komponisten. „Vertical Horizon I“ für Klarinette
solo kann den Zuhörer faszinieren, nicht nur mit den ausgesuchten
mehrstimmigen Effekten, sondern auch mit dem Reichtum der Faktur.
Die virtuose Aufführung Carl Rosmans lässt eine versteckte
Polyphonie des Stückes entdecken.
Das Ensemble musikfabrik unter der Leitung von Peter Rundel hat
sein Bestes getan und seine Erstklassigkeit wieder bewiesen. Seine
Interpretationen offenbaren die Fülle der magischen Kraft von
Schneids Musik. Nicht ohne Grund vergleicht der Autor des einführenden
Kommentars den Komponisten mit einem Alchemisten. Dabei ist seine
Alchemistenküche absolut besuchenswert.