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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 45
54. Jahrgang | Oktober
Bücher
Zielloses Kreisen beenden
Das Ziel „gesteigerte Unterrichtsqualität“ im
Visier
Werner Jank (Hrsg.): Musik-Didaktik. Praxishandbuch
für die Sekundarstufe I und II, Cornelsen Scriptor, Berlin
2005, 256 S., € 19,95, ISBN 3-589-22050-3
Bereits in den 60ern bescheinigte Michael Alt der Musikdidaktik,
dass sie sich trotz immer neuer, aber bloß punktueller Ansätze
im eigenen Methoden- und Ideenreichtum verfange. Jenes andauernde
Kreisen auf ein Ziel hinzuführen, haben sich offenbar der Herausgeber
Werner Jank sowie die Musikpädagogen Johannes Bähr, Stefan
Gies und Ortwin Nimczik mit der Präsentation des Modells „Aufbauender
Musikunterricht“ (AbM) vorgenommen, das als Kernstück
des vorliegenden dreiteiligen Buches vorgestellt wird.
Bestandsaufnahme
Die Vorstellung des Modells wird eingerahmt durch einen ersteb
Teil mit Grundlagen und Bestandsaufnahmen und einen dritten Teil,
welcher in nicht ganz schlüssiger Systematik Methodenkonzepte
und Teilaufgaben des Musikunterrichtes thematisiert: Einem Kapitel
über Musik und Bild (S. Gies) folgt ein anderes zu fächerübergreifendem
Arbeiten. Durch ihren konstitutiven Handlungsbezug konkreter auf
das Modell bezogen sind Methodenkonzepte wie die Szenische Interpretation
(M. Kosuch), Live-Arrangement (J. Terhag) und insbesondere das in
jüngerer Zeit immer stärker verbreitete Klassenmusizieren
(J. Bähr). Das letzte Kapitel handelt vornehmlich von den unterschiedlichen
Möglichkeiten, den Unterrichtsgegenstand Musik zu konkretisieren.
Neben Klassik (F. Heß), Neuer Musik (O. Nimczik) und Popmusik
(C. Rolle) kommt auch Musik der Einen Welt zur Sprache (W.M. Stroh).
Etwas angehängt wirken die Darstellungen zu Musik und Medien
(T. Münch) und zu Musik-Bewegung-Tanz (M. Steffen-Wittek).
Vor allem der erste Teil wird dem Zweck eines Praxishandbuches
voll gerecht, um zum Beispiel schnell eine gewisse Ordnung in den
„Begriffssalat“ zu bringen. Er bietet etwa Studierenden
und Referendaren konkrete Hilfe bei der Suche nach erster Übersicht
und Orientierung in der allgemeinen Didaktik und der jüngeren
Musikdidaktik. Eigens neben dem Haupttext hervorgehobene Thesen
und Definitionen sind dabei ebenso hilfreich wie schematische Abbildungen.
Die kritische Würdigung des Konzeptpluralismus leitet am Ende
des ersten Teils zum Modell AbM über. In der begrifflichen
Abgrenzung wird der Anspruch deutlich, der mit dem AbM verbunden
ist, denn dieser wird nicht – wie etwa Didaktische Interpretation
– als Konzept, sondern als weiterreichendes musikdidaktisches
Modell exponiert. AbM präsentiert nicht bahnbrechende Neuerungen,
sondern die Formung eines tragfähigen Gesamtmodells aus bereits
vorhandenen Wegen (S. 92).
Handlungsorientierung
Im Zentrum des AbM steht Handlungsorientierung. Antholz’
These vom Primat des Hörens wird negiert und ersetzt durch
die Fundamentalkategorie vom „Musikbezogenen Gestalten“,
in der „Musizieren“ und so genanntes „musikbezogenes
Handeln“ zusammengefasst sind.
Unterrichtspraktisch mag die Trennlinie zwischen den zuletzt genannten
Bereichen ohne Belang sein (S. 95), in der musikdidaktischen Reflexion
werden indes Umriss und Stellenwert gerade des Feldes „musikbezogenes
Handeln“ vermutlich noch zur Diskussion reizen, liegt hier
doch eine Gefahr, sich mit der Beschäftigung im Umfeld der
Musik allzu weit von ihr zu entfernen.
Im fachtypischen Oszillieren zwischen Objekt- und Subjektorientierung
(Teil 1 stellt die Kunstwerkorientierung von M. Alt der Erfahrungserschließenden
Musikerziehung R. Nykrins gegenüber) positioniert sich AbM
am Subjekt orientiert. Schülerorientierung – aus einer
postulierten Verpflichtung von Schule zur Aufklärung und Mündigkeit
heraus gedacht – äußert sich unter anderem durch
starke Mitbestimmung und letztlich Mitverantwortung der Schülerschaft
bei der konkreten Ausgestaltung des Unterrichts. Unterrichtsgegenstände
werden dabei nicht vom musikalischen Werk her gedacht, sondern von
der musikalischen Gebrauchspraxis her bestimmt (S. 87).
Im Übrigen folgen die Autoren bei der Kulturerschließung
in der Absicht, ästhetische Erfahrung zu machen, dem Gleichwertigkeitspostulat
von Musik und schöpfen aus einem weiten, letztlich global gedachten
Musikspektrum. Die angemessene Gewichtung unterschiedlicher Musikrichtungen
bleibt zu klären!
Die Lehrkraft wird vornehmlich als helfende und nicht als belehrende
oder gar autoritäre Instanz gesehen. Entsprechend werden im
AbM offene Unterrichtsformen bevorzugt (Vorhaben/Projekte). Gleichwohl
enthält er auch stark lehrerzentrierte Phasen, die zum Erlangen
musikalischer Kompetenz unabdingbar sind. Obwohl der Kompetenzbegriff
als unteilbar und nicht widerspruchsfrei darstellbar betrachtet
wird, werden doch wesentliche Dimensionen beschrieben (S. 102 f.)
und – ein wesentlicher Aspekt von AbM – mit dem Aufbau
musikalischer Fähigkeiten durch kontinuierliches Üben
verbunden (am Beispiel metro-rhythmischer Fähigkeiten anschaulich
dargestellt). Der konsequent durchgedachte Wechsel der Unterrichtsformen
könnte sich als eine Stärke des Modells erweisen.
Seit „PISA“ sind Bildungsstandard und Evaluation gängige
Stichworte bei Fragen der Schulentwicklung, die auch im vorliegenden
Modell eine wichtige Rolle spielen. Aus der eher negativen Einschätzung
der Wirkung des Musikunterrichts in den letzten Jahren ergibt sich
zunächst eine grundsätzliche Motivation zur Formulierung
des AbM, dann aber auch die Notwendigkeit der Diskussion um Standards,
die sich an den Dimensionen musikalischer Kompetenz zu orientieren
hätten. Nach der Einschätzung von Johannes Bähr könnten
Standards mehr richtungsweisende als normierende Funktion haben
und sich auf die Nachhaltigkeit des Kompetenzerwerbs auswirken.
Es sollte um real erreichbare Ziele, um didaktische und methodische
Konsequenzen mit Auswirkung auf Aus- und Fortbildung gehen (S. 139).
AbM ist offen für die Überprüfung des tatsächlich
erreichten Kompetenzniveaus. Wie Anne Niessen weiter ausführt,
erscheint Evaluation dann nicht als Schreckgespenst, wenn Kompetenzen
statt Lehrpläne vorgegeben würden und wenn in Schulen,
die Mindeststandards nicht erreichen, keine Schuldzuweisungen drohen,
sondern Hilfestellung angeboten würde.
Gesteigerte Qualität
Sollte sich AbM in der von den Autoren erhofften Weise auf die
Musikpädagogik auswirken, dann wäre ein Schritt getan,
das ziellose Kreisen der Musikdidaktik in Richtung auf das Ziel
„gesteigerte Unterrichtsqualität“ hin zu durchbrechen.
Für den Erfolg des Modells aber ist nicht nur eine stimmige
Theorie, sondern auch das Gelingen in der Praxis entscheidend (S.
65).