[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 44
54. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Vermittelt, versinnlicht
Musik des 20. und 21. Jahrhunderts auf DVD
Musica Viva – Forum der Gegenwartsmusik, Teil I:
Dieter Schnebel, Ekstasis, Wergo Muvi 200501, Teil 2: Jörg
Widmann, Experimentelle Kammermusik, Wergo NZ 52
Zögerlich,
aber doch spürbar beginnt die DVD sich als Medium eigenen
Rechts zu etablieren. Neben der Flut mehr oder weniger einfallsreich
abgefilmter Opern- und Konzertaufführungen kommen verstärkt
Scheiben auf den Markt, die aus den technischen Möglichkeiten
mehr machen als eine qualitativ aufgebesserte Videokassette. Besonders
erfreulich, dass es vor allem auch neuere und neueste Musik ist,
die auf diese Weise präsentiert und – so das Zauberwort
– „vermittelt“ wird. Besonders weit wagt sich
in dieser Hinsicht die neue Musica-Viva-Edition bei Wergo vor,
sowohl was die Ausstattung, als auch die Aktualität der Werke
angeht. Dieter Schnebels 2002 uraufgeführtes „Ekstasis“
steht am Anfang dieser Reihe, ein doppelbödig ausuferndes
Werk für Chor und Orchester, das seinem Namen alle Ehre macht.
Neben dem reinen Konzertfilm ist eine vom Komponisten mit ausführlichen
Erläuterungen unterbrochene Version verfügbar, ein ursprünglich
auf BR-Alpha gesendetes viertelstündiges Werkporträt
sowie diverses biografisches Material (im Browserfenster einzusehen)
komplettieren das üppige Paket.
Besonders profitieren auch Jörg Widmanns Werke von der optischen
Aufbereitung: Die „Hallstudie“, ein ebenso verspielter
wie konzentrierter Gang um den Flügel herum (und in ihn hinein)
mit der fabelhaften Irene Russo, „Skelett“, Stefan
Blums klangintensiver Abbau seines Schlagwerks, und „Signale“,
das die sechsköpfigen Neuen Vocalsolisten Stuttgart in quasi-elektronische
Klangbereiche führt. Längere Interviewausschnitte weisen
Widmann als beredten Anwalt seiner Vorstellung vom Komponieren
aus. Auf die Fortsetzung der Reihe mit Hartmann-Sinfonien darf
man mit einiger Erwartung blicken.
Die Revolution der Klänge. Musik im 20. Jahrhundert,
vorgestellt von Simon Rattle, Teil 1: Tanz auf dem Vulkan,
Teil 2: Rhythmus, Teil 3: Klangfarbe, Teil 4: Drei Schicksale, Arthaus
102-032/-034/-036/-038
Auf Fernsehsendungen aus den 90er-Jahren geht die Rattle-Serie
zur Musik des 20. Jahrhunderts zurück. Manch kleiner inhaltlicher
Ungereimtheiten und einiger wenig plausibler Bebilderungen zum
Trotz gelingt es dem Charismatiker immer wieder, einzelne Stränge
des musikalischen Wegs in die Moderne plastisch zu machen. Erstaunlich,
dass oft ein paar am Klavier angedeutete und von Rattle klug kommentierte
Elemente mehr aussagen als die bisweilen etwas bemühten Schnitte
zwischen Naturmotiven und Detailaufnahmen aus dem Orchester. Gerade
die DVD zum Thema Klangfarben konterkariert hier mit in Zeitlupe
durchs Wasser galoppierenden Pferden die Essenz einer auf komplexerer
Ebene mit Bildern korrespondierenden Musik. Lange Audio-Bonustracks
(etwa die komplette Turangalila-Sinfonie Messiaens auf der DVD
„Rhythmus“) runden die einzelnen Boxen großzügig
ab.
A propos Rattle: der viel gepriesene Dokumentarfilm „Rhythm
is it!“ zum Education-Programm der Berliner Philharmoniker
liegt nun in einer luxuriösen 3-DVD-Box vor. Neben Interviews
und Materialien zu den Projekten 2004 und 2005 enthält sie
die im Film etwas zu kurz gekommene Aufführung der Sacre-Choreografie
in voller Länge (Boomtown 01399).
Stephan Winkler: Vom Durst nach Dasein, Gullinkambi, Zigzag,
DualDisc mit Jesko Marx’ Film „Zigzag: pi mal r quadrat“
auf der DVD-Spur, Wergo WER 6556 2
„Bitte sorgen Sie für gute Stereobedingungen“:
Der augenzwinkernde Hinweis im Vorspann von Jesko Marx’
Film zu Stephan Winklers „Zigzag“ trifft den Kern
dieses als imaginäres Match zweier Saxophongruppen beginnenden
Stücks. Marx gelingt mit dem geometrischen Figurenspiel seiner
Computeranimation einerseits eine faszinierend präzise Umsetzung
der Klänge in Bilder, andererseits eine Übersetzung
von deren Abstraktion in eine bei aller Zurücknahme fast
erzählerische Verspieltheit. Dass man für dieses synästhetische
Vergnügen der besonderen Art nur die CD umdrehen und als
DVD in ein entsprechendes Gerät legen muss, ist ein weiterer
Schritt in der Versinnlichung eines Mediums, das in der Phase
von Untergangsprophezeihungen eine neue Kreativität zu entfalten
scheint. Des Komponisten konsequente Nachbearbeitung der zunächst
instrumental erzeugten Klänge passt da nur allzu gut ins
allmählich bunter werdende Bild. (siehe auch S. 43)
Igor Strawinsky: Petruschka; Johannes Brahms: Liebeslieder-Walzer,
Klavierduo Stenzl u.a., Arthaus 100 715
Ein wenig altbacken und beliebig wirken demgegenüber die
computergenerierten Sequenzen, die in diesem Arthaus-Film zu Strawinskys
Petruschka der abwechslungsreichen Kameraarbeit gegenübergestellt
werden oder diese auch schon mal überlagern. Gyula Racz’
hörenswerte Bearbeitung für zwei Klaviere und zwei Schlagzeuger
hätte eine interessantere optische Umsetzung verdient.