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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 47
54. Jahrgang | Oktober
Noten
Geheimnisvoll und klangsüchtig
Klaviermusik von Schumann, Liszt und Albéniz bei Henle
Robert Schumann (1810–1856): Carnaval, Scènes
mignonnes sur quatre notes op. 9, Henle, München (2004),
HN 187 (Urtext), Hrsg.: Ernst Herttrich, Fingersatz: Hans-Martin
Theopold
„Fasching. Schwänke auf vier Noten“, so lautete
ursprünglich der Titel von Schumanns unverwüstlichem
1834/35 komponierten Prunkstück. Fantasievolle Spielereien
um die Motive A-Es-C-H, As-C-H und Es-C-H-A (Asch ist der Geburtsort
von Schumanns Verlobter Ernestine von Fricken, Scha sind Bestandteile
des Namens Schumann) in 14 von insgesamt 23 Nummern, einschließlich
der meist nicht gespielten Sphinxes, bilden einen bunten, burlesken
Reigen. In einem Maskenball ziehen Gestalten aus Schumanns Vorstellungswelt
und Umwelt vorbei, beispielsweise: Pierrot und Arlequin, Pantalon
et Colombine aus der Commedia dell’Arte, Florestan und Eusebius
als Schumanns literarische und ideelle Doppelgänger, Chiarina
(Clara), Estrella (Ernestine), befreundete oder bewunderte Personen
wie Chopin und Paganini und am Schluss die Davidsbündler
im Kampf gegen die Philister. Die vorliegende vorbildliche Henle-Neuausgabe
geht auf die deutsche Breitkopf & Härtel-Erstausgabe
von 1837 zurück, benutzt jedoch zum Abgleich die bereits
vorher erschienene französische Erstausgabe aus dem gleichen
Jahr. Das pianistisch schwierige Werk gehört zum festen Bestandteil
in der Ausbildung und natürlich im Konzert.
Franz Liszt (1811–1886): Zwei Legenden,
Henle, München (2004), HN 770 (Urtext), Hrsg.: Ernst-Günther
Heinemann, Vorwort Mária Eckhardt, Fingersatz: Jan Philip
Schulze
Die berühmten Legenden von Liszt, seiner Tochter Cosima
gewidmet, waren spätestens 1863 komponiert, zu einem Zeitpunkt
als Liszt sowohl in Weimar als auch in Rom wohnte. Die neue notwendige
Henle-Ausgabe fußt auf der Budapester Erstedition von 1865,
berücksichtigt die Abweichungen der französischen Edition
von 1866 und übersetzt das wichtige, die Thematik erläuternde
französisch-italienische Vorwort auch ins Deutsche und Englische.
Die erste Legende „Die Vogelpredigt des Heiligen Franziskus“
gibt sich, der literarischen Vorlage gemäß, impressionistisch
schillernd beim Vogelgezwitscher und sanft auftrumpfend bei der
Predigt. Als wunderbar fein herausgearbeitete Klangstudie, bei
mittelschwerem Spielanspruch, dürfte sie recht gut im Unterricht
und Vortrag Verwendung finden. Die zweite Legende „Der Heilige
Franziskus von Paula auf den Wogen schreitend“ entfacht
enorme Klangsteigerungen, um die Illusion des schäumenden
Meeres, das Schreiten auf dem Wasser und den siegreichen Kampf
mit dem Sturm zu suggerieren.
Sie ist schwierig zu gestalten, nicht nur pianistisch, sondern
auch von der emotionalen Seite her und wird bei einer kontrollierten,
alle unnötigen Übertreibungen meidenden Vortragsweise
ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren.
Isaac Albéniz (1860–1909): Chants d’Espagne
op. 232, Henle, München (2004), HN 782 (Urtext), Hrsg.:
Ullrich Scheideler, Fingersatz Rolf Koenen
Der bedeutende spanische Pianist und Komponist Isaac Albéniz
schuf ein nahezu unüberschaubares Werk für Klavier zwischen
Salonmusik und stilisierter Tanzmusik spanischen Kolorits, dessen
Höhepunkt zweifellos Iberia war, eine Sammlung ausgeprägter
Folklore-Charakterstücke, die er gegen Ende seines Lebens
schuf. Die fünf Chants d’Espagne, hauptsächlich
nach 1890 komponiert, wurden 1892 und 1897 veröffentlicht,
wobei Nr. 1 und Nr. 5 aus der zuvor veröffentlichten Suite
espagnole übernommen wurden.
Die vorliegende Henle-Edition geht auf die spanische Erstausgabe
zurück und verzeichnet alle Änderungen und Lesarten
wie üblich in einem Anmerkungsapparat. Die fünf Stücke
Prelude (Asturias), Orientale, Sous de Palmier, Cordoba und Seguidillas
(Castilla) bieten pikante Rhythmen und Melodien, farbenreiche
Harmonik und prächtigen Klang. Sie sind zu verschiedenen
Zeitpunkten komponiert worden und können auch einzeln gespielt
werden. Seguidillas und Cordoba, keck und spritzig, beziehungsweise
geheimnisvoll und klangsüchtig, erfreuen sich besonderer
Beliebtheit. Bei mittleren bis mittelschweren pianistischen Anforderungen
eignen sie sich gut für Unterricht und Vortrag, wobei das
Herausarbeiten des spanischen Elements durchaus besondere Schwierigkeiten
bereiten kann.
Robert Schumann (1810–1856): Blumenstück Des-Dur
op. 19, Henle, München (2004), HN 90 (Urtext), Hrsg.:
Ernst Herttrich, Fingersatz: Walther Lampe
Schumann komponierte in seiner Wiener Zeit 1838/39 eine Reihe
anspruchsvoller Klavierwerke, wie die Humoreske, Noveletten, Nachtstücke
und den Faschingsschwank aus Wien, bediente jedoch den dortigen
leichteren Musikgeschmack auch mit der wohlbekannten Arabeske
und dem eigentümlichen Blumenstück.
„Ich bin ganz unschuldig, dass die Stengel und Linien so
zart und schwächlich sind“, meinte er in einem Brief
dazu, während Clara Schumann das Blumenstück als bezaubernd
bezeichnete. Schumann schuf mit seinem musikalischen Blumenstrauß
ein schlichtes, jedoch anmutiges musikalisches Genrebild, mit
fünf sich ähnelnden Abschnitten in der eigenartigen
formalen Satzanlage I, II, III, II, IV, V, II, IV, II. Die neue,
zuverlässige Henle-Edition benutzt die Wiener Erstausgabe
(1839) von Pietro Mechetti als einzige Quelle.
Die notwendigen Änderungen, beziehungsweise Lesarten sind
wie immer bei Urtext-Ausgaben gesondert aufgeführt. Wer es
schafft, dieser Variationenfolge über ein schwebendes, kaum
vorhandenes Thema die nötigen Klangfarben und Konturen zu
verleihen, wird bei mittlerem Schwierigkeitsgrad für Unterricht
und Vorspiel ein besonderes, wenn auch etwas rätselhaftes
Stück vorfinden.