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nmz-archiv
nmz 2005/10 | Seite 25
54. Jahrgang | Oktober
Verbandspolitik
Junge Menschen sollen stark werden…
Das nmz-Gespräch mit dem Vorsitzenden der Jeunesses Musicales
Deutschland, Hans-Herwig Geyer
Seit einem Jahr leitet Hans-Herwig Geyer die Jeunesses Musicales
Deutschland als deren Vorsitzender. Eckart Rohlfs, Mitbegründer
der neuen musikzeitung unterhielt sich mit ihm über Traditionslinien
und Zukunftsperspektiven in der musikalischen Jugendarbeit.
neue musikzeitung: Die Jeunesses Musicales Deutschland,
die Sie seit einem Jahr als Vorsitzender leiten, ist ihrer traditionellen
Aufgabe treu geblieben. Sie setzt weiter darauf, dem musikalischen
Nachwuchs, ergänzend zur tradierten Ausbildung, besondere Anregungen
und Unterstützungen zu geben. Wie wird dieses Angebot angenommen?
Hans-Herwig
Geyer. Foto: Archiv
Hans-Herwig Geyer: Jeder, der bislang nach Weikersheim
gekommen ist, hat von dort prägende Erfahrungen und Impulse
für seinen individuellen musikalischen Weg mitgenommen. Dafür
war Weikersheim schon immer bekannt, dies spricht sich auch heute
herum und wird auch künftig besonders von jungen Musikerinnen
und Musikern geschätzt werden. Deswegen werden unsere Kursangebote
sehr gut angenommen. Diese erfreuliche Akzeptanz begründet
für uns aber auch den Auftrag, unsere Kursprogramme und Projekte
stets in der Weise weiterzuentwickeln, dass es für unsere Kursteilnehmer
auch künftig ein ganz besonderes und nachhaltiges Erlebnis
ist, nach Weikersheim zu kommen.
nmz: Schloss Weikersheim, seit 50 Jahren Arbeits-
und Begegnungsstätte der Jeunesses Musicales Deutschland für
inzwischen viele Generationen junger Musiker, Musikliebhaber und
Musikstudenten, nennt sich jetzt „Akademie“. Was verbindet
sich damit, verändert sich mit diesem Namen das Programm?
Geyer: Nach wie vor ist für uns die zentrale
Zielgruppe: junge Musikerinnen und Musiker. Unser Akademiebegriff
zielt indessen auf eine übergreifende und ganzheitliche Vermittlung
der Kontexte, in denen Musik gemacht und erlebt wird. Programm ist
für uns, die Erlebnisqualität von Musik und damit den
Lebensbezug des Musikmachens zu vermitteln. Dies gilt für junge
Komponisten, für junge Interpreten und in gleichem Maß
für „junge Ohren“, also für unser junges Publikum.
Wir werden insbesondere unseren Schwerpunkt der zeitgenössischen
Musik engagiert ausbauen. Wir wollen nach wie vor das Zentrum der
Jugendorchesterarbeit in Deutschland und Europa sein. Und dafür
haben wir nunmehr die notwendigen strukturellen und inhaltlichen
Voraussetzungen geschaffen.
nmz: Die Arbeit der Jeunesses Musicales war immer
davon geprägt, Defizite aufzudecken und dort, wo es nötig
erscheint, Zeichen zu setzen, Beispiele zu geben und sich dabei
stets auch musikpolitisch zu engagieren. Welche Perspektiven und
Visionen haben Sie als Vorsitzender, welche speziellen Aufgaben
und Schwerpunkte sehen Sie für die künftige Arbeit Ihres
Teams?
Geyer: Das Erbe des Kitzinger Manifestes von 1953
ist auch für die Arbeit der Jeunesses im 21. Jahrhundert richtungsweisend
und zielführend: Es geht auch nach mehr als einem halben Jahrhundert
darum, jungen Menschen den Zugang zu einem authentischen und qualitativ
hoch stehenden Musizieren und Musik-Erleben zu eröffnen. Wir
möchten mit diesem Auftrag dazu beitragen, dass junge Menschen
stark werden, dass sie über die Musik ihre individuelle Entwicklung
selbst bestimmen und somit auch zu sensiblen, kompetenten, starken
und verantwortungsbewussten Gestaltern unseres Gemeinwesens werden.
Dies ist gerade in einer Zeit von größter Bedeutung,
in der tradierte kulturelle und gesellschaftliche Werte nicht mehr
selbstverständlich im Elternhaus vermittelt werden, sondern
vielmehr Verunsicherung, Vereinzelung und Perspektivlosigkeit die
Erfahrungswelt junger Menschen prägen. Gegen das daraus resultierende
Empfänglichsein für die Dominanz materieller Beliebigkeit
setzen wir einen Wertekatalog.
nmz: Ein wesentliches Profil der Jeunesses Musicales
Deutschland ist ihre internationale, weltweite Verflechtung. Welche
Aktivitäten mit welchen Partnern stehen hierbei im Vordergrund?
Geyer: Den Kern unserer internationalen Kursarbeit
bilden bei uns zu Hause in Weikersheim nach wie vor der Internationale
Kammermusikkurs und der Internationale Opernkurs. Beide Projekte
genießen ja auch traditionell in der internationalen Musikwelt
ein großes Ansehen. Aber auch andere Kursangebote wie Jeunesses
Modernes oder ganz aktuell unser Projekt der Pocket Operas –
gemeinsam konzipiert mit unseren französischen Freunden –
stehen für die internationale Ausrichtung unserer musikalischen
Friedensarbeit.
Diese ist ja auch zu unserer Freude erst vor wenigen Wochen von
der Generalversammlung der Jeunesses Musicales Internationales auf
Bali in Indonesien ausgezeichnet worden: Gemeinsam mit Groznjan
in Kroatien trägt nun Weikersheim den Titel des World Meeting
Centers der Jeunesses Musicales Internationales. Wir planen, auch
das Bildungszentrum Orford in Kanada in unsere internationale Kooperation
der musikalischen Bildungszentren einzubinden. Nur konsequent ist
daher auch die Bitte unseres Weltverbands, dass die Jeunesses Musicales
Deutschland künftig zuständig sein soll für die weltweite
Jugendorchesterarbeit unseres internationalen Verbandes.
nmz: Im Europäischen Musikrat sind Sie vor
kurzem zum Vizepräsidenten gewählt worden. Was bringen
Sie in dieses Gremium für die europäische Arbeit ein?
Was wird zurückfließen können in die Arbeit der
Jeunesses Musicales in Deutschland und Europa?
Geyer: Im Europäischen Musikrat bringe ich
als Bundesvorsitzender der Jeunesses Musicales natürlich die
Jahrzehntelange internationale Erfahrung des bedeutendsten musikkulturellen
Jugendverbandes ein. Hier ist es insbesondere unsere Kompetenz in
den Kernbereichen unserer musikalischen Bildungsarbeit für
junge Musiker und Ensembles sowie für ein junges Musikpublikum,
mit der wir stets innovative Impulse gesetzt haben. Es ist aber
auch die Erfahrung der Jeunesses, musikpolitische Forderungen durchzusetzen,
die die Entfaltung der Musikkultur in Deutschland, aber auch in
Europa, fördern. Zurückfließen werden hingegen die
enormen Möglichkeiten eines großen europäischen
Dachverbandes von mehr als 30 europäischen Musikorganisationen
und 30 nationalen Musikräten mit mehr als 30 Millionen Berufs-
und Amateurmusikern, bei der Ausgestaltung von Rahmenbedingungen
für die Musik in Europa mitzuwirken. So beteiligen wir uns
zur Zeit aktiv an den Beratungen zu den EU-Nachfolgeförderprogrammen
von „Kultur 2000“, die unter dem Namen „Kultur
2007“ subsidiäre Maßnahmen der Kulturförderung
in Europa bis in das Jahr 2013 festlegen.
Es ist unschwer nachvollziehbar, dass grundsätzlich die Möglichkeiten
für die Jeunesses Musicales Deutschland, wertvolle europäische
Kooperationen zu bilden und transnationale Netzwerke zu knüpfen,
durch meine Einbindung in den Europäischen Musikrat unterstützt
wird.
nmz: In Ihrem Beruf sind Sie in der wichtigen
Position des Kommunikationsdirektors und Pressesprechers bei der
GEMA, dem „hohen Lohnbüro“ der Komponisten, Textautoren
und Musikverlegern, das zugleich deren Rechte umfassend wahrt. Welche
Brücken können sie hier für Ihren ehrenamtlichen
Einsatz bei der Jeunesses Musicales und im Europäischen Musikrat
schlagen?
Geyer: Ein tragender Verbindungspfeiler zwischen
meinem beruflichen und ehrenamtlichen Wirken ist gewiss die prägende
Erfahrung und Überzeugung eines Vertreters der deutschen Musikautorengesellschaft
GEMA, dass musikalische Kreativität einen besonderen Wert hat,
einen Wert, der sowohl eine kulturelle als auch eine gesellschaftliche
und nicht zuletzt eine wirtschaftliche Dimension hat. Und für
den Schutz dieses besonderen Wertes musikalischer Kreativität
in meinem Beruf wie in meinen Ehrenämtern einzutreten, verstehe
ich als einen umfassenden Auftrag. Zudem erschöpft sich die
von mir wahrgenommene Verantwortung für unser Musikleben nicht
in der Pflege des musikalischen Erbes, sondern ist stets verbunden
mit einem nachdrücklichen Einsatz für das zeitgenössische
Musikschaffen.
Die positiven Wechselwirkungen zwischen den Aktivitäten der
GEMA, der Jeunesses Musicales und des Europäischen Musikrates
liegen hier auf der Hand.
Ich empfinde es als ein persönliches Glück, ein wenig
dazu beitragen zu können, dass die Musikautoren Rahmenbedingungen
erhalten, die sie für ihre kreative Arbeit beanspruchen können.
Die Leitlinien der Jeunesses Musicales
Unsere Philosophie
Die JMD setzt sich in langer Tradition für die Vision ein,
der Welt durch Musik eine humane Gestalt zu geben. Fundament unserer
Arbeit ist die Überzeugung, dass musikalische Bildung und
die verbindende Kraft der Musik wesentliche Grundlagen der Persönlichkeitsbildung
und des sozialen Miteinanders bilden.
Unser Handeln wird motiviert durch die Einsicht, dass die erlebnishafte,
von Wahrhaftigkeit und Qualität geleitete Auseinandersetzung
junger Menschen mit Musik der entscheidende Zugang zur musikalischen
Bildung ist. Dies setzt JMD mit ihren Kursen und Projekten und
ihrer Musikakademie Schloss Weikersheim um und trägt durch
innovative Impulse, Partnerschaften und internationale Vernetzung
aktiv dazu bei, das Musikleben lebendig und kraftvoll zu entwickeln.
Unsere Werte
Für die JMD ist der Mensch Mittel- und Ausgangspunkt aller
Musik. Das unmittelbare Erleben und Wahrnehmen von Musik –
als Komposition, als Interpretation und als Aufführung –
ist der Quell für Lebendigkeit und Wahrheit, durch die Musik
den Menschen zu sich und über sich hinaus zu führen
vermag. Authentizität im Künstlerischen, Pädagogischen
und Menschlichen ist darum unser höchster Wert.
In seiner Begegnung mit Musik erlebt der Mensch diese als eine
absolute Größe, an der er sich selber misst. Neugier,
Begeisterung, Initiative und Selbstverantwortung der musikalischen
Jugend zu wecken, ist neben hoch kompetenter Anleitung unser Weg,
um Musik als kulturelles Gut, als menschliche Äußerung
und als Klanggestalt zu begreifen. Um der Musik gerecht zu werden,
ist Qualitätsbewusstsein unser zweiter Anspruch. Die Stiftung
von Gemeinschaft durch die verbindende Kraft der Musik ist insbesondere
für junge Menschen ein prägendes soziales Moment und
damit eine gesellschaftsbildende, ja weltbürgerliche Kraft.
Das Bekenntnis zu Freiheit und Verantwortung, Respekt und Offenheit,
Freundschaft und Begegnung über alle Grenzen hinweg begründet
die weltweite Community der Jeunesses Musicales.