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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 44-45
54. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Ein Hörort mit 1.000 Türen
Die Donaueschinger Musiktage 2005
Es ist schon ein gutes Gefühl. Die Existenz der Donaueschinger
Musiktage scheint vorerst einmal gesichert. Die baldige Ex-Kulturstaatsministerin
Chris-tina Weiss betonte dies freudig in ihrer mahnend verantwortungsvollen
Rede zur Verleihung des Karl-Sczuka-Hörspielpreises (und es
steht zu hoffen, dass auch der Nachfolger sich der Doppeldeutigkeit
der Amtsbezeichnung bewusst bleibt; also nicht nur Staatsminister
für Kultur, sondern auch: Minister eines Kulturstaats). Hierin
stimmten auch die Verantwortlichen beim Südwestrundfunk ein.
Denn es hat schon was, wenn man den ewigen Akzeptanz-Abzählern
entgegnen kann: „Kommt nach Donaueschingen und blickt auf
die bis zu den letzten noch der Feuerpolizei abgehandelten Stehplätzen
gefüllten Räume! Hier könnt ihr sehen, was Akzeptanz
ist“ – immer im Bewusstsein freilich, dass nicht die
Akzeptanzfrage allein entscheidend sein darf, sondern dass die Qualitätsfrage
die bestimmende Rolle spielen sollte, ja muss.
Und es ist nun mal so: Bei allen verunglückten Versuchen,
bei allen Durchhängern, die ein Festival für zeitgenössische
Musik zwangsläufig mit sich bringt, befinden wir uns hier (selbstredend
nicht nur in Donaueschingen) zumindest intentional an der Spitze
des abendländischen musikalischen Bewusstseins, der musikalischen
Sensibilität. Hier wird nicht Abseitiges in gestylter Verpackung
verkauft, hier ereignen sich Blicke und Entwürfe in die Zukunft.
Das Bedürfnis dafür wächst, und es macht nichts,
wenn es mitunter allein vom Sensationswunsch gespeist wird, einfach
erst einmal dabei gewesen zu sein.
„DW
17: Doubles/Schatten II“ nennt Bernhard Lang sein
Werk für E-Viola und E-Cello (vorn) und Surroundorchester.
Foto: Charlotte Oswald
Dabei waren die Donaueschinger Musiktage 2005 so unterschiedlich
im Niveau des Gebotenen wie selten zuvor. Und manche Stücke
spalteten die Geister in fast unversöhnliche Lager, was belegt,
dass die kritisch ästhetische Ausrichtung längst allen
Konformismus abgelegt hat (eine Beobachtung, die auch eine solide
und zugleich bequeme Kritik aushebelt: Ins neue Terrain darf man
nicht alte Maßstäbe mitbringen, man muss neue Eichungen
vornehmen). Da war zum Beispiel im Eröffnungskonzert Bernhard
Langs dreiviertelstündiges, großorchestrales Werk „DW
17: Doubles/Schatten II“ (das Kürzel DW steht für
eine Reihe von Werken, die dem Problem von Differenz und Wiederholung
nachgehen). Das war Musik an mehreren Rändern. Hochkomplexe
Repetitionsstrukturen, Gestalten, die sich wie Spiegelreflexe verfolgen,
standen neben griffigen Beats und geradezu provokant simplen Motivmodellen,
die ihre tonale Pop/Rock-Herkunft gar nicht verleugneten. Gibt es
so etwas wie spannende Plattheiten? Jedenfalls war hier nichts kopflastig
verquast, die Musik spürte ihrem eigenen Drive hinterher, packte
den Hörer und ließ ihn auch manchmal im allzu Griffigen,
allzu Geradlinigen allein. Donaueschingen jedenfalls bekam einen
Sound, der dorthin in der Meinung manch alter Sittenwächter
nicht passte. So stark war er dann vielleicht doch nicht, dass er
gleich die Ruder umzuwerfen vermochte. Der Dirigent Sylvain Cambreling
hatte seine Freude damit, die vom präzise agierenden Orchester
wohl nicht rundum geteilt wurde. Eine Gefälle-Frage.
Im gleichen Konzert erklang Caspar Johannes Walters Chorwerk „dunkle
Materie“, ein Stück, das faszinierend dem Suchen der
Menschheit nach Wissen über das Unendliche nachzugehen versuchte.
Dieses Stück aber, von Walter haben wir sonst schon viel Faszinierendes
gehört, blieb auf der Strecke hängen. Geleitet von den
Worten von Novalis „Alles Sichtbare haftet am Unsichtbaren
– das Hörbare am Unhörbaren“ stellte Walter
eine Textcollage mit Vermutungen der Menschheit (von der Antike
bis zu Einstein) über das eigene Wesen und das All zusammen.
Welch Staunen wäre hier möglich gewesen, welch Sinnlichkeit
des Tastens ins Unerforschte! Aber im mikrotonal ausformulierten
Werk mochte sich diese Gewalt des Ahnens nicht einstellen. Die Zeichen,
etwa ein Vierteltoncluster auf Gläsern als Sinnbild des unerkannten
Raums, blieben letztlich zu flach, ohne Überwältigung;
die Texte wurden aufgesagt, das Geheimnis des wissenden Raunens
tat sich nicht auf.
Beat
Furrers Hörtheater unter dem Titel „Fama“
versammelt das Publikum in einem großen geschlossenen
Spielkasten, dessen Seiten-und Stirnwände sich ebenso
wie die Decke mittels einer Lamellenkonstruktion immer wieder
öffnen und schließen lassen. Draußen agieren
die Musiker des Klangforums unter Leitung des Komponisten,
in einer Öffnung spricht hier die Schauspielerin Isabelle
Menke Texte aus Schnitzlers „Fräulein Else“.
Foto: Charlotte Oswald
Eine Brücke zum (ebenfalls vom SWR-Orchester, diesmal unter
Peter Hirsch, bestrittenen) Schluss-Konzert. Das war durchweg eine
Enttäuschung, wohl auch, weil eines der projektierten Hauptwerke
(Ferneyhough) ausfiel und durch zwei Verlegenheitswerke (Donatoni
und Ospald) ersetzt wurde. Es mag wie eine ironische Fußnote
wirken, dass gerade die eingesprungenen, gefällig-gefahrlosen
„Tschappina-Variationen“ von Klaus Ospald den Kompositionspreis
des SWR Sinfonieorchesters erhielten (nicht dotiert, aber ein Aufführungsversprechen,
mit dem wohl auch einige logistisch-prakische Argumente verknüpft
waren). Das ist eine gute Idee: Das Orchester einigt sich auf ein
Stück, das es noch öfter spielen will. Dieses Jahr aber
war hierfür ein recht schlechter Boden. Denn völlig aus
dem Ruder lief das schon wegen seiner großsinfonischen Dauer
zum Hauptwerk stilisierte Stück von Clemens Gadenstätter
und Lisa Spalt „powered by emphasis“. Im Visier sollte
die Welt der Werbesprachen, der an Markt und Verkauf orientierten
Vermittlungsmechanismen stehen: das Falsche der Sprache, das widersprüchlich
Aufgesetzte. Nun dechiffriert sich der Jargon der Werbung im Grunde
schon, wenn man ihn blank und rein auf die Bühne bringt. Ihn
zu überzeichnen, in Hüllkurven vieler klanglicher Schichtungen
zu bringen und dadurch zu überdeterminieren, bewirkt genau
das Gegenteil. Das Ergebnis wird in seiner Angestrengtheit lächerlich,
nimmt den Gestus von Angestrengtheit an, der ins Peinliche gleitet
(„peinlich!“ war auch der erste Publikumszwischenwurf
am Schluss). Wenn die Kritik das Kritisierte in seiner Prägnanz
und seinem Zynismus unterschreitet (hier müssen insbesondere
der Text, aber daneben auch die exaltiert überzeichnende musikalische
Umsetzung genannt werden), dann zerfällt sie hilflos. Gadenstätter
ist gewiss ein Komponist, der prägnant und differenziert zu
formulieren weiß. Dieses Stück aber scheiterte an der
Schräglage von Sujet und Auseinandersetzung.
Erfreulich einige neue Namen in Donaueschingen. Da war insbesondere
der Palästinenser Samir Odeh-Tamimi, der seit einigen Jahren
durch seine gnadenlos harten und selbstentäußernden Stücke
ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringt. Mit „Gdadrója“
(das meint Gefühl der Machtlosigkeit, nicht aber der Resignation)
hat er eine Partitur von stattlichem Ausmaße abgeliefert,
die gleichwohl nur sechseinhalb Minuten Musik festhält. Es
ist die höchst intensive musikalische Durchleuchtung des Aufschreis,
das zerrende Heulen von Klageweibern, das hier wie durch ein Stethoskop
ins Ohr dringt: Musik von einer Unmittelbarkeit, die man zwar ablehnen,
der man sich aber nicht entziehen kann. Die Dringlichkeit des Tons,
vor allem das genaue Durchhören seiner vielfältigen Schichten,
sitzt wie ein Nagel im Kopf (eindringlich: Kammerphilharmonie Hilversum
unter Peter Eötvös). Demgegenüber erzählte der
Norweger Lars Petter Hagen mit fast kindlicher Zitatfreude über
norwegische Volksmusikidyllen und ihre gebrochenen Hintergründe
und der Japaner Dai Fujikura ließ sich in „Vast Ocean“
von Lems Klassiker Solaris anstecken. Das, was dort die gallertartige,
riesige Intelligenzmasse machte – das Kopieren von Traumgestalten
einer Raumschiffbesatzung –, versuchte Fujikura musikalisch
nachzustellen. Ein Netzwerk von informellen Weitergaben von der
Soloposaune über Elektronik zum Orchester entstand, wurde aber
allenfalls am Schluss etwas kompakter. Das Spiel mit der Fiktion,
die im Buch so packend geriet, blieb hier aber wie in einer hölzernen
Nacherzählung weit dahinter zurück, vom Mysterium der
Ahnungen und Wahngestalten ganz zu schweigen.
„New
and Used Furniture Music“ nennt Gordon Monahan seine
Multimedia-Klangperformance. Unser Bild zeigt die Performance-Künstlerin
Junko Wada und Gordon Monahan bei einer Vorführung.
Foto: Charlotte Oswald
Das Klangforum Wien war gleich mit zwei Konzerten reichlich beschäftigt.
Sehr sensibel, hellwach und plastisch genau wirkte das Stück
„weit – weiter“ der in Berlin geborenen Komponistin
Juliane Klein: starke Musik aus zumeist zarten Gestalten, die wie
von draußen an die Existenz klopfen. Pierluigi Billone trieb
in „PA-Omaggio a Evan Parker“ meist einstimmig geführte
Linien, die immer wieder wie durch einen Spalt getrieben wirkten.
Und dann war da natürlich der Großmeister Salvatore Sciarrino,
der hellhörig, mit Witz, mit Genauigkeit gegenüber den
leeren Kommunikationsstrukturen in gut zehn Minuten die Welt der
Handy-Verständigung durchleuchtete. Musik kann das: die Leere
vieler mit Wichtigkeit vorgetragener Worte (was einem in jeder S-Bahn
enervierend auffällt) nachzuzeichnen. Wunderbar präzise
und erfrischend schön!
Auch von entlegeneren Stellen kam Positives. Da war die gewagte
Jazz(?)-Session einer Improvisationsgruppe um den japanischen Gitarristen
und Turntable-Bediener Otomo Yoshihide (mit Sachiko M, Axel Dörner
und Martin Brandlmayr), die ein Hörgespinst feiner und feinster,
gleichwohl penetrierend sich festsetzender Klänge in größter
Behutsamkeit hervorzauberte, da war Johannes S. Sistermanns’
Klangplastik „AutoAutoAuto“, die die Besucher in ganz
Donaueschingen irritierend, quäkend, Nachrichten sprechend
und mit allerlei Rat oder Unrat beladen in Form einer ganzen Flotte
von Autos umlagerte, und da war nicht zuletzt die wunderbare, luftig
leichte, selbstironische Performance „New and Used Furniture
Music“ von Gordon Monahan, der mit elektronischen Signalen
Wassertropfen und andere Mechanismen in Bewegung setzte. Die Tropfen
fielen zum Beispiel auf Topfdeckel (mit Kontaktmikros), anderswo
wurden lang gespannte Saiten in Resonanz versetzt. Das Ergebnis
war keineswegs beliebig, sondern fein vorstrukturiert. Musik kam,
fast wie in einer Séance, aus rätselhafter, faszinierender
Welt.
In diese Umgebung mit hohem ästhetischem Gefälle war
schon vorab ein Hauptwerk platziert: Beat Furrers Hörtheater
„FAMA“ in der szenischen Einrichtung durch Christoph
Marthaler. Fama Haus mit tausend Türen, so erzählte Ovid,
liegt an einem Ort in der Mitte des Erdkreises, gleich weit von
allen Dingen entfernt. Und alle Laute der Welt finden dort zusammen
und halten das aus tönendem Erz gebaute Haus in Schwingung.
Welch gewaltiger Vorwurf für ein Musikstück – und
dieses hielt grandios stand. Eine Person, narzisstisch, spiegelverliebt
(Fräulein Else von Arthur Schnitzler), wird herausgefiltert,
das Ohr vermag solche Konzentration, solches Wegblenden. Gleichwohl
zieht die Welt aller Geräusche in der verfließenden Zeit
vorbei, Drehtüren, die kurz nach draußen geöffnet
werden (es ist ein Raum, der in den Raum der Donauhalle mit eben
diesen Drehtüren gebaut ist. Ein genialer Einfall Marthalers!),
schaffen Durchblicke und Durchhörmöglichkeiten zu dieser
Außenwelt. Am Schluss sind die Musiker auf der anderen Seite
des Außenraums angelangt. Die Zeit ist weiter geschritten,
nur der Dirigent (der sie im Blick auf das Individuum Elsa für
sich anhielt?) steht noch am alten Platz. Das Stück hinterließ
nachhaltigen Eindruck, die Stärke der Musik, die vom Getümmel
des Weltlärms ausgeht und selbst auch die im Geschehen angelegte
Fokussierung nachzeichnet, die Vielschichtigkeit der philosophischen
Aspekte, die Gewalt der ganz einfachen Bilder, ihre Richtungen,
ihre Orte, all dies fügte sich grandios zusammen. Das Stück
musste wegen des Andrangs vier Mal gegeben werden. Die Donaueschinger
Musiktage dürfen stolz sein.