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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 29
54. Jahrgang | November
Deutscher
Tonkünstler Verband
Zwischen Gebrauch und Missbrauch
Musik und Macht: D-A-CH-Tagung in der Musikakademie Basel
Die drei Berufsverbände für Musiker und Musikpädagogen
aus Deutschland, Österreich und der Schweiz luden, wie in jedem
Herbst seit 36 Jahren zur gemeinsamen Tagung ein. Das Thema lautete
„Musik und Macht – über die wunderbare Wirkung
der Musik und wie diese genutzt, gebraucht, gefürchtet, missbraucht
und verhindert wird“ . Der Tagungsort war die Musikakademie
Basel, mit schönem Ambiente nahe der Baseler Altstadt. Den
Verbänden war es gelungen, namhafte Referenten aus dem gesamten
deutschsprachigen Raum einzuladen, die Vorträge über musikalische,
pädagogische, kompositorische, politische, historische, wirtschaftliche,
soziale und medizinische Aspekte der Musik und ihrer Einbindung
in die Gesellschaft vorbereitet hatten. Ein interessantes und weitreichendes
Spektrum über Musik und Macht konnte so aufgefächert und
diskutiert werden.
In seiner Begrüßungsrede fasste der Rektor der Musikakademie
der Stadt Basel Dr. André Baltensperger die Ziele der teilnehmenden
Musiker, Wissenschaftler und Kulturschaffenden zusammen: „
... für uns sind Ihre Verbände starke Partner in einer
gemeinsamen Sache. Denn nur mit einer von Beginn an hohen Ansprüchen
verpflichteten Unterweisung der musikalischen Jugend können
wir den fruchtbaren Boden schaffen für eine Kulturgemeinschaft,
die dem Neuen wie auch dem Erbe innerlich gefestigt und mit handwerklichem
Können gegenübersteht, und dies in die Zukunft zu tragen
vermag.
Dies tönt vielleicht ein bisschen hoch gegriffen; wir sind
in der Regel in unseren Aussagen etwas zurückhaltender. Wenn
wir uns aber insbesondere das Wesen der Musik vor Augen führen,
als einer abstrakten, begriffslosen und vom Gegenständlichen
losgelösten Kunst, so wird uns bewusst, dass nicht nur das
Erlernen eines Instruments oder das Schulen der eigenen Stimme ein
langer, anspruchsvoller Prozess ist, sondern dass auch das bloße
Hören von Musik – und damit meine ich das verstehende
Hören – eine Aufgabe darstellt, die von langer Hand und
durch vertiefte Unterweisung geleitet werden muss. Dies gilt für
alle Stile und alle Kulturen, umso mehr, als in der heutigen Welt
sozusagen alles gleichzeitig auf einen einklingt und deshalb ein
kritisches, bebildetes Verständnis voraussetzt.“
In diesem Sinne war der Vortrag von Prof. Dr. Wolf Peschl aus
Wien mit Überlegungen zu gegenwärtigen Strömungen
der Musikpädagogik im gemeinsamen Europa mit dem Titel „Sine
musica scholam errorem esse puto“ von großer Wichtigkeit,
erläuterte dieser doch in sehr anschaulicher Form die Möglichkeiten
moderner Musikpädagogik, das Potential an Erziehung, Freizeit
und Kulturbedürfnis so zu nutzen, dass Jugendliche neben dem
Spaßeffekt bei der Beschäftigung mit Musik Kräfte
schöpfen für mehr Wissen, mehr Konzentration und mehr
soziales Verhalten.
„Die Macht der Musik über die Psyche“ hieß
der vielbeachtete Vortrag von Dr. Susanne Elsensohn, die am Beispiel
der Schamanen die bewusstseinsverändernde Wirkung von Musik
exemplifizierte und auch die magischen Aspekte mancher außereuropäischer
Musik beleuchtete.
Die „Manipulation von Gefühlen durch Musik: zwischen
Gebrauch und Missbrauch“ war das Thema des Referats von Dr.
Stefanie Stadler Elmer, die darauf hinwies, dass gerade gemeinsames
Musizieren und Singen einen gesellschaftlichen Prozess befördert.
„....Singen ist die einfachste und am meisten verbreitete
Art des Musizierens. Gemeinsames Singen erzeugt Gefühle der
Zugehörigkeit. Diese erhöhen die Bereitschaft, sich mit
den Werten der Gruppe zu identifizieren. Lieder Singen wurde seit
jeher verwendet, um Werte zu vermitteln (in Religionen, Politik,
Erziehung), um Menschen zu vergemeinschaften und um Identität
zu stiften. Musik verbindet innerhalb der Gemeinschaft und grenzt
aus gegenüber Nichtmitgliedern.“
Prof. Mag. Ulrich Gabriel aus dem österreichischen Vorarlberg,
ein in Österreich prominenter Kaberettist, Autor und Interpret,
der bereits mehrfach vom Land Vorarlberg für seine kulturellen
Leistungen ausgezeichnet wurde, erinnerte in gleichermaßen
kompetenter und unterhaltsamer Weise an die Rattenfänger des
20. Jahrhunderts mit seinem Referat „MACHT zwei, drei. vier...“
Die New Yorker Komponistin Gloria Coates, die seit langen Jahren
in München lebt und arbeitet, trug essentielle Abschnitte aus
ihrer 1995 erschienen Publikation in der Reihe „Musica viva“
vor. Die Behandlung von Klängen in der Neuen Musik, die Innovationsfähigkeit
von Klanggebilden und Instrumentations- und Besetzungsformen, die
im 20. Jahrhundert kreiiert wurden, beispielsweise durch John Cage
in den USA und Karl Amadeus Hartmann in der BRD, sowie ein Exkurs
der Komponistin über ihre eigenen Werkstrukturen demonstrierte
den Zuhörern „Die Macht der Klänge in der Neuen
Musik“.
Anhand ausgewählter Beispiele aus der jüngeren Musikgeschichte
wies Prof. Dr. Klaus Hinrich Stahmer auf die „Verantwortung
des Komponisten“ hin. Da die Beeinflussung des Menschen durch
Musik ein seit Jahrtausenden bekannter Fakt ist, hat der Komponist
eine Verantwortung, die ihm bewusst sein sollte. Oft wittert er
nur die Chance, „berühmt“ zu werden und bedient
sich skrupellos der bewusstseinsverändernden Kräfte von
Musik. Doch es gibt eine ethische Dimension des Komponierens.
Dr. Adelheid Krause-Pichler berichtete in einem musikwissenschaftlichen
Vortrag von „fürstlichen Festen und musizierenden Fürsten
– über Musikkultur als Repräsentation von Macht“.
Am Beispiel des Berliner Hofes unter König Friedrich II. von
Preußen erläuterte sie an Musikbeispielen die typischen
Repräsentationsformen in den Sinfonien und Opernouvertüren,
die bei hohen Festen die Macht des Reiches widerspiegeln sollten.
Das Rahmenprogramm war mit einem Konzert der Pianistin Jelena
Dimitrijevic in der Aula der Musikakademie mit Werken von Franz
Liszt, sowie mit einem unterhaltsamen Abend im Jazzclub mit einem
kabarettistischen Programm von Mag. Ulrich Gabriel „Der endgültige
Tag der Blasmusik und andere Musiksatiren“ bestens abgerundet.
Zu guter Letzt gab es nach Tagungsende am Sonntagmittag ein wohltuendes
Konzert mit dem Baseler Musiker Volker Biesenbender und seiner Musikband
mit Kunst- und Volksmusik aus Europa.
Die D-A-CH-Tagung in Basel hat wiederum gezeigt, wie wichtig und
fruchtbar der Austausch von Wissen, Informationen und Gesprächen
ist, vor allem wenn, wie in diesem Fall, Fachleute aus drei Ländern
zusammentreffen.