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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 14
54. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Wie kommt Kultur an die Schule?
Zum 8. Landeskongress der Musikpädagogik in Stuttgart
Vom Donnerstag, den 6. bis Sonntag, den 9. Oktober öffneten
sich den Kongressbesuchern die Pforten der Staatlichen Hochschule
für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Medizin und Musikpädagogik,
Stimme-Sprache-Musik oder die Zusammenarbeit mit Kirchenmusik, Musikschule
und Musikbünden: wie sich beim diesjährigen Landeskongress
der Musikpädagogik zeigte, bietet das Thema Schulmusik und
Musikerziehung in Deutschland einen erfreulichen Facettenreichtum.
Wer
genug Praxiseindrücke gesammelt hatte, vertiefte sich
in die Theorie.
Mit über 170 Workshops, Vorträgen und Podiumsdiskussionen
war dieser Kongress der bisher größte seiner Art. 1.400
zahlende Teilnehmer waren angereist, mit Gästen kamen an die
3.000 Interessierte aus beinahe allen Bundesländern und dem
Ausland zusammen. Die Besucher schätzten vor allem die unterrichtspraktischen
Kurse. Ein Rhythmikworkshop, bei dem der eigene Körper zum
Perkussionsinstrument wurde, sprengte gar das Raumangebot der Hochschule
und musste auf den Platz vor dem Haus der Geschichte ausgelagert
werden. Und auch das Klassensingen mit rhythmischer Gestik und Aktion
erfreute die Teilnehmer so, dass sämtliche Wiederholungskurse
gut besucht waren. Die Schulpädagogik, so scheint es, setzt
im musikalischen Bereich zunehmend auf sinnlich erfahrbare Lerninhalte.
Und die lassen sich mit rhythmischer Unterstützung besonders
leicht vermitteln. Als Hit des Klassenmusizierens wurden etwa in
mehreren Kursen die „Boomwhackers“ vorgestellt, bunte
Kunststoffröhren unterschiedlicher Tonhöhe, durch die
sich das Erlernen rhythmischer und harmonischer Strukturen miteinander
verbinden lässt.
Viele Teilnehmer wanderten durch das Angebot, das als Pendant zu
den praktischen Kursen Vorträge und kulturpolitische Diskussionsforen
bereithielt. Auch hier galt dem Musizieren in der Gruppe besondere
Beachtung: Empfohlen wurde die gezielte kammermusikalische Arbeit
bereits im Vorschulalter mit dem jeweils vorhandenen Instrumentarium
und geeigneter Literatur. Und da sich mit dem Alter der Schüler
auch das Repertoire ändert, standen auch das mittlerweile klassische
Musicalprojekt und die Big Band auf dem Plan. Am oberen Ende der
Skala rangierte das Konzert mit einem Orchester aus Schülern
und Musikstudenten, das Werke des Griechen Minas Borboudakis aufführte.
Der Komponist hatte die Stücke erst während des Kongresses
mit den jungen Musikern einstudiert.
Schöne Projekte und Pläne, die aber, das zeigte sich
in den Podiumsdiskussionen, vor allem erst einmal finanziert werden
müssen. Auch ehrenamtliches Engagement von Musikvereinen und
-verbänden vor Ort in der Schule ist – je nach musikalischer
Infrastruktur – nur begrenzt einsetzbar. Schon die musikalische
Grundversorgung ist nach wie vor ein Thema mit Diskussionsbedarf,
wie sich auch in der Runde zum Thema „Wie kommt Kultur an
die Schule?“ herausstellte. Hier tauchte gar die Frage auf,
inwieweit eine musikalische Grundbildung überhaupt von der
Schule und damit vom Land getragen werden könne und nicht vielmehr
von kommunalen Einrichtungen wie etwa der Musikschule übernommen
werden solle. Völlig außer Acht wurde dabei gelassen,
dass gerade die musikalische Bildung von Erzieherinnen und Grundschullehrkräften
verstärkt werden müsste, da die musikalische Prägung
vor allem im frühen Kindesalter stattfindet – was umso
mehr in Erwägung gezogen werden sollte, als in vielen Familien
das Singen mit Kindern keineswegs zum Alltag gehört. Auch so
lobenswerte Projekte wie etwa das Programm der Jungen Staatsoper
Stuttgart, das in Schulklassen vorgestellt und inhaltlich erarbeitet
wird, oder das „Ohrenspitzer“-Projekt des Landesmedienzentrums
Baden-Württemberg und der Stiftung Medienkompetenz-Zentrum
Süd-West (beide wurden auf dem Kongress vorgestellt) können
nur ein, wenn auch hochwertiges, Ergänzungsprogramm bieten.
Einen ganz anderen Bereich der Musikpädagogik berührte
das Schwerpunktthema Musik und Medizin. Der Zusammenhang etwa zwischen
Sprache und Singen oder musikalischer Aktivität und Bewegung
sowie die Gesetzmäßigkeiten musikalischen Lernens kamen
zur Sprache. Belegt wurde mit Hilfe von Videos auch die mittlerweile
gut erforschte Wirkung von gesanglicher und/oder instrumentaler
Unterweisung auf Kinder mit eingeschränkten körperlichen
und kognitiven Fähigkeiten.
Noch benommen von der Flut an Informationen, Erfahrungen und Forschungsergebnissen
entspannten sich die Teilnehmer bei den Konzerten, zu denen auch
ein Wandelkonzert durch die Räume der Musikhochschule gehörte.
Musik als Schulfach, soviel wurde nach den langen Sitzungs- und
Veranstaltungstagen klar, wird auch in Zukunft keinen leichten Stand
im Bildungsprogramm haben.