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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 13
54. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Erfolg lässt sich nicht pachten
Der Warschauer Herbst positioniert sich als Beispiel
Polen hat derzeit wahrlich andere Probleme, als sich modellhaft
an die Spitze kultureller Aktivitäten zu setzen. Zwanzig Prozent
Arbeitslose sprechen eine massivere Sprache. Und dennoch ist es
dem Festival für zeitgenössische Musik „Warschauer
Herbst“ gelungen, so einen Modellcharakter anzunehmen.
Vertragsaustausch:
Lawrence Okeyugwu (li.) und Ernst Folz. Foto: DMR
Es ist dabei nicht in erster Linie das Ereignishafte der einzelnen
Konzerte, was die Konzeption so faszinierend erscheinen lässt
(auch wenn man kontinuierlich immer wieder neue Talente vor allem
aus Polen und den benachbarten östlichen Ländern entdeckt).
Was fasziniert, ist die begeisterte Anteilnahme (man möchte
das Wort Akzeptanz hier gerne vermeiden) einer jungen und wohl auch
desillusionierten Jugend am Verlauf des Festivals. Seit 1999 leitet
der 1954 in Warschau geborene Komponist und Kontrabassist Tadeusz
Wielecki das Festival und es hat sich Erstaunliches getan. Es gelang
nicht nur, weit auseinander liegende ästhetische Lager zumindest
an einen Tisch (oder in eine Veranstaltungsserie) zu bringen, es
gelang auch, das öffentliche Interesse an diesem Festival (das
zu Zeiten des Sozialismus eine Ausnahmeerscheinung war und schon
deshalb als Sensation gefeiert wurde) neu zu beleben und wach zu
halten. Auf der seit fünf Jahren parallel zum Warschauer Herbst
veranstalteten Begegnung zwischen dem Deutschen Musikrat (der musikorganisatorisch
Verantwortliche mitbringt) und Vertretern des polnischen Musiklebens
berichtete Wielecki dieses Mal von seiner Sicht auf das Festival.
„Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit des Veranstalters.
Neue Musik soll nicht den Charakter einer Pflichtveranstaltung haben.
Der Rest ist Hoffnung und Liebe.“ Wielecki trägt seine
Überzeugung ganz unprätentiös und bescheiden vor.
Gerade aber das ist sein Erfolgsrezept. Und er relativiert sogleich:
Denn Erfolg lässt sich nicht pachten. Er muss von Festival
zu Festival neu und kreativ errungen werden. Die Warschauer Jugend
aber vertraut ihm und fährt in Scharen zu den oft weit entfernten
Veranstaltungsorten, hin in aufgelassene Fabriken, in Werkshallen,
in Sportzentren (und die Philharmonie ist auch dabei). Längst
hat der Warschauer Herbst sein Gesicht geändert. Früher
war er Treffpunkt aller neugierigen Musiker des Ostblocks, die hier
eine Drehscheibe und Austauschbörse zwischen Ost und West vorfanden
– es war im Grunde die einzige im sowjetischen Einflussgebiet.
Heute aber muss das Festival verstärkt vor Ort gehen, die Attraktion
des Ausbruchs aus kulturell reglementierten Zonen ist nach der Wende
geschrumpft, dem Warschauer Herbst drohte sogar das Aus. Jetzt aber
definierte er sich neu und ist auf dem Weg, zum Vorbild eines entkrampften,
sich nicht mehr in einer Ghettosituation befindenden Festivals zu
werden. Die gesellschaftlich verpönte Neue Musik schöpft
Atem, hat Züge des Selbstverständlichen. Die Stadt Warschau
scheint das zu registrieren und hat in diesem Jahr ihre Zuschüsse
erhöht.
Hiervon ist zu lernen. Zeitgenössische Musikfestivals müssen,
natürlich jedes seiner Funktion entsprechend, den Status von
Enklaven verlassen. Das hat nichts mit dem Design einer Veranstaltung
zu tun, auch nichts mit eventartiger Anbiederung. Es hat, wie Wielecki
betonte, mit der Ehrlichkeit des Angebots zu tun, mit dem Bestreben,
qualitativ Neues zu bieten, die Auseinandersetzung zu suchen, dem
Publikum Brücken anzubieten. In diesem Experimentierfeld akzeptiert
man dann gerne auch Ereignisse, von denen man annehmen darf, dass
sie den Tag kaum überleben.
Dass es Neue Musik dem Hörer nicht leicht macht, ja nicht
leicht machen darf (was wäre das für eine Verachtung des
Hörers!), wird weithin akzeptiert und es gibt auch die Bereitschaft,
sich dieser Herausforderung, es ist eine bereichernde, zu stellen.
Sobald aber das Gefühl entsteht betrogen zu werden (durch Billiges,
durch Unernsthaftigkeit, durch Marktschreierei), wird sich Misstrauen
einstellen. Und eines ist ebenso wichtig: Der Veranstalter darf
sich niemals auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen. Die Anforderungen
bleiben immer jung: an die Komponisten, an die Veranstalter, ans
Publikum. Diese Erfahrung nimmt man beim Warschauer Herbst mit.