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nmz-archiv
nmz 2005/11 | Seite 3-4
54. Jahrgang | November
Magazin
„Es warten sicher noch ein paar Stürme auf uns“
Ein Interview mit dem Intendanten der Philharmonie Essen, Michael
Kaufmann
Seit den ersten Bauarbeiten im Herbst 2002 hat die neue musikzeitung
im Rahmen einer Medienpartnerschaft die Entstehung der Philharmonie
Essen aufmerksam verfolgt. Kulturpolitische Aspekte, Architektur
und Akustik, sowie das Entstehen des ersten Jahresprogramms und
dessen Vermarktung wurden von unterschiedlichen Autoren vorgestellt.
Inzwischen hat die Philharmonie ihr erstes Jahr hinter sich, Zeit
für Resümee und Ausblick. Neben einem ausführlichen
Interview mit dem Intendanten Michael Kaufmann beleuchtet diese
Ausgabe auch die größeren kulturellen und kulturpolitischen
Zusammenhänge in der neu entstandenen „Kulturmetropole
Ruhrgebiet“. Auf den folgenden sechs Seiten finden Sie Beiträge
über die Philharmonie Essen, das Konzerthaus Dortmund, die
RuhrTriennale und zur Kulturpolitik in Essen und Dortmund.
Zufriedener
Hausherr während einer Probe in „seiner“
Philharmonie: Michael Kaufmann. Foto: Philharmonie Essen
nmz: Nach spannenden Jahren des Auf- und Umbaus
haben Sie nun das erste Bespielungs-Jahr der Essener Philharmonie
hinter sich. Sie haben in den Vorbereitungsjahren – neben
den inhaltlichen Schwerpunkten – großen Wert auf das
richtige „Marketing“ gelegt. Also: ein anspruchsvolles
Programm zu machen und trotzdem Publikum anzulocken. Das ist auch
nötig, denn der ehemalige Saalbau fasst 2.000 Leute und will
gefüllt sein. Sind Sie mit der Auslastung im ersten Jahr zufrieden?
Michael Kaufmann: Wahrscheinlich ist man als Veranstalter
nie zufrieden, wenn das Haus nicht wirklich voll ist. In Anbetracht
des Angebotes, das es im Ruhrgebiet und speziell hier im mittleren
Ruhrgebiet gibt, bin ich insgesamt schon zufrieden. Aber die Zahl
der Kartenverkäufe darf sich schon noch weiter nach oben entwickeln.
Ich glaube, wir haben es für das erste Jahr ganz gut hingekriegt,
aber es ist schon möglich und auch notwendig, die Besucherzahlen
zu steigern, und daran werden wir auch arbeiten.
nmz: Können Sie da Zahlen nennen? Kaufmann: Wir hatten in der ersten Spielzeit, wenn
man den Eröffnungs-Zauber dazu rechnet, 265.000 Besucher. Ohne
den Eröffnungs-Zauber waren es 215.000. Bei ungefähr 180
Veranstaltungen im Großen Saal und 70 im RWE-Pavillon, der
ja nur 350 Plätze hat, gibt das einen guten Schnitt. Ich denke,
dass wir mittelfristig – in den nächsten drei oder vier
Jahren – pro Spielzeit auf ungefähr 300.000 Besucher
kommen sollten.
nmz: Sie haben von Anfang an besonderen Wert darauf
gelegt, neue Publikumsschichten anzusprechen: Kinder, Jugendliche
und solche Menschen, die bisher keine Konzertsäle besuchen.
Glauben Sie, dass dies gelungen ist? Kaufmann: Zum Teil auf jeden Fall. Die Ansätze
sind ganz eindeutig positiv. Beim Frank-Zappa-Projekt zum Beispiel
mit dem Ensemble Modern waren erkennbar Besucher im Haus, die sonst
nicht in die Philharmonie kämen. Auch bei unseren Jazzkonzerten
kann man ein Publikum beobachten, das nicht traditionell ein Konzerthauspublikum
ist. Und im Sommer, als zwei Wochen „Stomp“ gespielt
wurde, hatten wir ganz eindeutig ein anderes Publikum als bei den
klassischen Konzerten, insbesondere im Vergleich zum Abo-Publikum
der Essener Philharmoniker. Da glaube ich, kann man schon die ersten
guten Ergebnisse unserer Arbeit sehen. Aber wir befinden uns in
einem ziemlich starken Wettbewerb mit all den alternativen Spielstätten,
die es gibt. Ob es nun der Landschaftspark Duisburg oder die Zeche
Zollverein ist.
„Die
Philharmonie ist wahnsinnig schön, der Klang auf der
Bühne ist sehr gut. Aus dem Publikum habe ich die Akustik
bisher nicht wahrgenommen, aber das Feedback vom Publikum
ist durchweg positiv. Vom Anblick und vom Empfinden her
ist der Saal ein Wohlfühlraum. Man fühlt sich
als Solist auf der Bühne sehr wohl, weil man den Eindruck
hat, dass der Klang aus dem Raum wieder zurückkommt.
Meine einzige kleine Kritik betrifft die Lichtgestaltung.
Für mich muss es immer ,bauchartig’ sein. Ich
ziehe ein eher dunkles dem grellen Licht vor.“
Christian Tetzlaff, Violinist
nmz: Sie haben viel über Ihre Werbung, teilweise
auch unkonventionelle Werbung, nachgedacht. Gelingt es dadurch,
neues Publikum für „alte Programme“ zu gewinnen?
Sprich: auch ein neues Publikum in Sinfoniekonzerte zu bekommen,
durch attraktive Werbung oder besondere Formen der Vermittlung? Kaufmann: Das glaube ich ganz sicher. Man kann
das sehen, wenn man in die Konzerte zum Beispiel der Essener Philharmoniker,
die einfach ihr traditionelles Abo-Publikum haben, oder in die Konzerte
von Pro Arte geht, die ja früher schon eine Konzertreihe in
Essen veranstaltet haben. Bei unseren Konzerten gibt es da durchaus
einen anderen Altersdurchschnitt. Und da spielt sicher unsere Bewerbung
eine Rolle: Sie vermittelt einen unkomplizierten Eindruck.
Was aber ganz wichtig ist: Wenn wir nur einen frischen und frechen
Werbeauftritt hätten oder intensives Marketing betreiben würden,
würde das nicht ausreichen, um auch erfolgreich zu sein. Wenn
man sich aber zum Beispiel unseren Beethoven-Zyklus anguckt, der
erste vollständige Beethoven-Zyklus in historischer Aufführungspraxis,
dann sieht man viele jüngere Leute im Konzert. Da spielt auf
jeden Fall die Werbung eine Rolle, andererseits aber auch die Tatsache,
dass die Werbung zu der zupackenden Art des Musizierens und Musikmachens
passt. Damit können junge Menschen meist mehr anfangen als
mit der Routine „Klassiker“. Für jüngere Leute
ist es wichtig, dass sie an einem außergewöhnlichen,
einem authentischen Ereignis teilgenommen haben. Und das gilt nicht
nur für New York Philharmonic oder für Anne Sophie Mutter,
sondern auch für das ganz normale Programm.
nmz: Zum Programm: Sie hatten angekündigt,
eine Mischung aus großer Weltkultur und regionaler Kultur
anzubieten. Haben Sie das durchgehalten? Kaufmann: Das glaube ich schon. Wenn das Haus neu
ist, dann probiert man unterschiedliche Dinge aus und stellt fest,
was geht und was nicht geht. Wir sind da auf einem guten Weg, gerade
auch, was Kooperationen betrifft. Neben auf Mehrjährigkeit
angelegten Kooperationen wie mit den Bochumer Symphonikern haben
wir etwa mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und
mit der Folkwang Hochschule, mit der wir ja permanent zusammenarbeiten,
gemeinsam ein Projekt durchgeführt, bei dem 14 Tage lang ein
indischer Guru und Musiklehrer mit seiner kompletten „Mannschaft“
in einem interkulturellen Lehr- und Lernprojekt mit Studenten und
Professoren der Folkwang Hochschule gearbeitet hat. Bei uns hat
dann ein Abschlusskonzert stattgefunden. Ich finde Kooperationen
mit professionellen Partnern wichtig um sich sozusagen strategisch
zu ergänzen und damit die eigene Leistungsfähigkeit zu
steigern – im Interesse der Künstler und des Publikums.
„In
der Zeit von drohenden Orchesterschließungen und anderen
kulturpolitisch desaströsen Plänen ist die Nachricht
von der Eröffnung eines neuen, großen Konzertsaales
in Essen eines der schönsten Signale der letzten Zeit.
Die Aura des Saales, seine wunderbare Akustik, seine kammermusikalische
Intensität sind ein Fest für die Musik: sie kann
ganz sie selbst sein.“
Jörg Widmann, Klarinettist und Komponist
nmz: Sie standen und stehen für eine Offenheit
gegenüber kulturellen Angeboten der Region. ChorWerk Ruhr und
Klavierfestival Ruhr sollten einen festen Platz in der Philharmonie
bekommen, die RuhrTriennale findet überall statt. Auch für
Kooperationen mit dem Konzerthaus Dortmund waren Sie aufgeschlossen.
Was ist von diesen Plänen geblieben? Sind Sie gegen Wände
oder eher auf Interesse gestoßen? Kaufmann: Ich denke, wenn man neu als Veranstalter
in so eine unglaublich vital bespielte Region kommt, dann ist es
geradezu unvermeidlich, dass man sich überlegt, mit wem man
Projekte oder Dinge gemeinsam machen kann. Das geht im einen Fall
ein bisschen schneller und leichter, im anderen Fall ist es ein
bisschen komplizierter. Wir haben zum Beispiel mit dem Klavierfestival
ganz wunderbare Dinge zusammen gemacht und gemeinsam mehr erreicht,
als jeder für sich hätte erreichen können. Mit der
RuhrTriennale war es bisher eher schwierig. Das liegt auch an der
grundsätzlichen Ausrichtung der Triennale und vielleicht auch
an dem Grundverständnis, dass sie sich nicht unbedingt als
Kooperationspartner der vor Ort befindlichen Anbieter versteht,
sondern als ein eigenständiges Festival. Das verstehe ich zum
großen Teil auch, und ich finde es richtig, dass die Triennale
ein eigenes Profil findet. Manchmal würde ich mir wünschen,
mit der Triennale etwas zu machen – aber es ist auch nicht
dramatisch, wenn es nicht passiert. Das, was alle am meisten erwartet
haben, die Kooperation mit dem Konzerthaus in Dortmund, ist noch
nicht wirklich gelungen. Das finde ich schade, aber ich muss wohl
auch akzeptieren, dass zwei Häuser, die beide relativ jung
und neu sind, erst mal ihr eigenes Profil definieren müssen,
bevor sie zusammen arbeiten. In einer Situation, in der alle anderen
darüber reden, dass wir Wettbewerber sind, sollen wir plötzlich
Kooperationspartner sein! Worüber ich wirklich sehr glücklich
bin, ist, dass die Orchester, ob in Duisburg, Dortmund oder Bochum,
sich von uns gern auch mit gezielten Programmwünschen einladen
lassen, so dass wir eigene programmatische Linien mit diesen tollen
Klangkörpern der Region entwickeln können. Das hat nicht
nur beim Schönberg-Festival funktioniert, sondern setzt sich
in der nächsten Spielzeit fort: In unserer dritten Spielzeit
wird Mauricio Kagel „Artist in Residence“ sein und daran
werden sich die Orchester aus Duisburg und Dortmund beteiligen.
Und mit den Bochumern sind wir sowieso mit dem Mahler-Zyklus eine
mehrjährige Kooperation eingegangen.
Oder, um noch ein anderes Beispiel zu nennen: Hier in Essen gibt
es seit vielen Jahren die Reihe „Jazz in Essen“, die
vom Kulturamt gefördert wird, die aber inhaltlich eigenständig
ist. Auch mit denen machen wir jetzt Konzerte und Projekte zusammen.
Und wenn ich darüber nachdenke, welchen Jazzer wir „in
Residence“ nehmen, dann rede ich mit denen. Das empfinde ich
als eine tolle Situation. Ich bin zwar jemand, der Entscheidungen
durchaus auch gerne selber trifft, aber ich muss es nicht, wenn
ich weiß, dass ich tolle Partner um mich herum habe.
nmz: Wenn Sie eine Gesamtbilanz für das erste
Jahr ziehen: Ist es Ihnen gelungen, ein eigenes Profil für
das Haus zu entwickeln? Kaufmann: Ich würde auf jeden Fall sagen:
Ja. Das Haus hat ein erkennbares Gesicht entwickelt. Es ist sowohl
für Künstler als auch für das Publikum und das Medienumfeld
wahrzunehmen als ein Haus, das zwar viele Dinge so macht wie jedes
andere Konzerthaus, das aber durchaus auch in der Lage ist, Schwerpunkte
zu setzen, die sich von anderen Häusern unterscheiden. Es ist
mir sehr wichtig, dass wir die Musik vielfältiger wahrnehmen
und präsentieren, als das in vielen anderen Häusern der
Fall ist. Ich glaube, dass viele Menschen in der Stadt auch diese
Wahrnehmung zu dem Haus haben, selbst, wenn sie noch nicht drin
waren. Die große Wertschätzung, die unsere Arbeit erfährt,
ist ganz wichtig, denn in den ersten drei bis fünf Jahren warten
sicher noch ein paar Stürme auf uns. Der eine oder andere,
der sich bisher mit kritischen Fragen zurückgehalten hat, wird
vielleicht noch aus der Reserve kommen. Da ist es wichtig, dass
man eine grundsätzliche Verankerung des Hauses und seines vielgesichtigen
Profils schafft und nicht wie ein kleines Schiffchen auf großer
See hin- und hergerissen wird.
nmz: Zum Konzept des Hauses gehört auch die
Fremdvermietung. Wird das zu Ihrer Zufriedenheit angenommen? Kaufmann: Im ersten Jahr muss man damit sehr zufrieden
sein. Ich bin sehr froh darüber, dass wir insgesamt drei Abo-Reihen
privater Veranstalter haben, aber auch viele Einzelbuchungen, von
Nigel Kennedy bis Herman van Veen oder Klaus Hoffmann. Aber auch
da kann man natürlich noch besser werden.
nmz: Die Akustik hat im Vorfeld für Aufsehen gesorgt, weil
sie als besonders herausragend angekündigt wurde. Da gibt es
viele begeisterte Stimmen, aber auch einige Kritiker. Gibt es da
Nachbesserungsbedarf, oder ist alles so, wie Sie es sich vorgestellt
haben?
Kaufmann: Ich kenne nur einen einzigen Menschen, der die Akustik
nicht für gut hält. Der hat zufälligerweise die Macht
des Bleistifts, schreibt für unterschiedliche Presseorgane
und verbreitet immer wieder die Nachricht, dass die Akustik nicht
gut sei. Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen!
Alle Menschen, egal ob im Publikum oder auf der Bühne, sind
von der Akustik begeistert. Sie ist sehr klar und transparent. Das
macht es hin und wieder bei beschallten Konzerten oder bei Sprachbeschallung
schwierig, weil dann relativ viel von dem verstärkten Schall
von den Wänden zurückkommt. Aber alles, was mit natürlicher
Akustik zu tun hat, sei es ein Liederabend oder ein großes
Sinfoniekonzert: da gibt es keinen Nachbesserungsbedarf. Im Gegenteil:
Ich freue mich sehr über unsere Akustik.
nmz: Wie stehen Sie – in Zeiten knapper
Kassen – mit Ihrem Haus finanziell da? Kaufmann: Ich bin sehr froh und auch ein wenig
stolz darauf, dass wir nicht nur im Rahmen unseres Wirtschaftsplanes
geblieben sind, sondern sogar 250.000 Euro aus dem Wirtschaftsplan
der ersten Spielzeit nicht ausgeschöpft haben.
nmz: Was machen Sie mit den 250.000 Euro? Dürfen
Sie die behalten? Kaufmann: Ich fürchte, die Stadt wird sie
einbehalten. Der Kampf wird sein, dass wir nicht in Zukunft grundsätzlich
weniger Geld bekommen, sondern dass man uns so weiterarbeiten lässt.
nmz: Wie ist Ihre Perspektive für die nächsten
Jahre? Kaufmann: Sicher gemischt. Künstlerisch hat
das Haus eine wunderbare Zukunft vor sich. Es hat sich gut aufgestellt,
und unsere Planungen machen sehr viel Lust, die Spielzeiten, die
wir bereits geplant haben, auch zu erleben. Andererseits liegt noch
viel Arbeit vor uns. Insbesondere geht es darum, die Region stärker
zu erobern und die Menschen vor allem zwischen Düsseldorf und
Bochum zu gewinnen, die nicht über die Tageszeitung mitkriegen,
was wir tun. Aufgrund dessen, was wir bisher schon erreicht haben,
können wir aber mit Optimismus und Freude in die Zukunft blicken.